Es war einer der größten Medizinskandale in Europas Geschichte: Der französische Hersteller Poly Implant Prothèse SA (PIP) hatte minderwertige Brustimplantate verkauft, rund 400.000 Frauen waren betroffen. Die Silikonkissen wurden mit billigem Industrie-Gel befüllt, das für die medizinische Verwendung nicht zugelassen war: Durch die Panscherei sparte das Unternehmen Millionen Euro ein. Die Folge für die Frauen: teils Schmerzen, Entzündungen, erhöhtes Krebsrisiko. Die Implantate drohten zu platzen und mussten ausgetauscht werden.

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Auch zehn Jahre nach dem Auffliegen des Skandals ringen die Betroffenen um Schadensersatz. Oft vergebens, obwohl das Leid der Frauen aus dem Versagen mehrerer Institutionen resultierte. Nicht nur Aufsichtsbehörden und Ärzte hatten weggeschaut, eine unrühmliche Rolle spielte auch der deutsche TÜV Rheinland. Die Prüfer hatten die minderwertigen Implantate europaweit zertifiziert.

Allianz-Klausel sah Haftpflicht nur in Frankreich vor

Eine deutsche Frau musste nun vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erneut eine Niederlage akzeptieren, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Die Patientin hatte vor dem Oberlandesgericht Frankfurt auf Schadensersatz geklagt: Sie forderte Schmerzensgeld vom französischen Haftpflicht-Versicherer des inzwischen bankrotten PIP-Konzerns. Doch der Versicherer berief sich auf eine Klausel, wonach er nur für Operationen in Frankreich für Schäden einspringen müsse. Wie aus einem früheren Pressetext des Gerichtshofes hervorgeht, handelt es sich bei dem Versicherer um eine französische Allianz-Tochter.

2018 baten die Frankfurter Richter den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg um Rat (Rechtssache C-581/18). Sie wollten klären, ob die Gebietsklausel gegen das Diskriminierungsverbot in Artikel 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstoße. Demnach darf innerhalb der EU niemand aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert werden.

Generalanwalt Michal Bobek hat in seinen Schlussanträgen vom 06.02.2020 ausgeführt, dass der vorliegende Fall in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Insbesondere seien die Medizinprodukte, durch die der Schaden der Patientin begründet sein solle, unionsweit vertrieben worden. Der Schaden sei somit gewissermaßen eine Folge des Warenverkehrs innerhalb der Union gewesen. Dass die Patientin nicht selbst von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, sei für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts irrelevant.

Regionalklausel keine Diskriminierung

Eine solche Diskriminierung aber wollten die Richterinnen und Richter des EuGH nicht erkennen, berichtet dpa. Und sie gingen sogar noch darüber hinaus. Die Haftpflicht für Schäden aus Medizinprodukten sei europaweit nicht geregelt, betonte das Gericht. Denn es gebe im sekundären EU-Recht keine Versicherungspflicht für Hersteller von Medizinprodukten. Im Umkehrschluss können Betroffene auch nicht immer auf Entschädigung hoffen, wenn ihnen ein solches fehlerhaftes Produkt eingepflanzt wurde - und ihnen dadurch ein gesundheitlicher Schaden entstand.

Die Richtlinie 85/374 über die Produkthaftung (ABl. 1985, L 210, 29) sehe zwar eine strenge Haftungsregelung für Hersteller vor, enthalte aber keine Vorschriften über eine Pflichtversicherung, betonte der Europäische Gerichtshof. Die Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, 1) wiederum verlange nur von benannten Stellen den Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Für Hersteller derartiger Implantate gelte diese Pflicht hingegen nicht.

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In Ermangelung einer EU-weiten Harmonisierung sei es daher Sache der Mitgliedstaaten, die Versicherung für die in ihrem Hoheitsgebiet verwendeten Medizinprodukte zu regeln, auch wenn diese Produkte aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt seien.

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