Zimmermann: Nein. Das ist ein uraltes Argument mancher Juristen. Wie ich in meinem Beitrag „Verständlich und doch gerichtsfest“ (VersicherungsJournal Extrablatt 4/15) gezeigt habe, ist die transparente und rechtssichere Textsorte nicht der Rechtstext, sondern der einen Risikotransfer beschreibende Laientext. In diesem Sinne hat der Jurist Hans-Peter Schwintowski zum Thema „Rechtssicherheit“ Stellung genommen. Danach sei nach Versicherungsvertragsgesetz (VVG § 1) eine Versicherung ein Vertrag, durch den jemand ein wirtschaftliches Risiko auf einen Versicherer überträgt; hierfür zahle er ein Entgelt. (ZfV 12/2014, 369). Ein solcher Risikotransfer müsse nicht mit Mitteln der Rechtssprache formuliert werden; „es ist viel naheliegender, die Übernahme des Risikos mit den Wörtern der Alltagssprache zu umschreiben“ (ebda.).

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Im Übrigen: Das Transparenzgebot des § 307, Abs. 1 Satz 2 BGB sagt: „Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.“ Und das Versicherungsvertragsgesetz bestimmt in § 6 (2): „Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer den erteilten Rat und die Gründe hierfür klar und verständlich vor dem Abschluss des Vertrags in Textform zu übermitteln (kursive Hervorhebungen durch Zimmermann)".

Die Versicherer wehren sich gegen den Vorwurf, sie würden den Kunden vorsätzlich Leistungen verweigern. 78 Prozent der Leistungen würden problemlos bewilligt und viele Renten nur deshalb nicht ausgezahlt, weil sich der Antragsteller nicht wieder meldet, argumentiert der GDV. Sind derartige Einwände nicht begründet, so dass auch Vorurteile gegenüber der Branche zur fehlenden BU-Abschlussbereitschaft beitragen?

Gorr: Nahezu alle BU-Versicherer verschicken im Leistungsfall über 30 DIN A4 –Seiten an Fragen. Berufsunfähige sind damit völlig überfordert und geben ohne die Hilfe eines sachkundigen Vermittlers, Leistungsfallbegleiters oder Rechtsanwalts oftmals auf. Aber selbst wenn dieser erste Schritt erfolgreich geschafft ist, dann sind viele BU-Versicherer sehr kreativ, wenn es um Ablehnungsgründe geht. Mal findet sich kein Gutachter, dann ist die Befundtiefe der Gutachten nicht ausreichend, der Leidensdruck nicht deutlich genug, der Versicherte habe sich nicht an gesetzliche Arbeitszeiten gehalten oder man teilt mit, dass sogenannte Arbeitsplatzkonflikte nicht versichert seien. Vieles davon ohne AVB-Grundlage.

Die Zahl der „Bewilligungen“ – die Bezeichnung des GDV steht ja schon für sich – in Höhe von 78 Prozent ist nach unserer Erfahrung aus zahlreichen Projekten und der aktiven Leistungsfallbegleitung überhaupt nicht nachvollziehbar. Der GDV verkündet zwar seit Jahren eine Leistungsquote um die 75 Prozent. Mehr aber auch nicht. Es gibt keine weiteren Angaben darüber, wie hoch die Erst-Ablehnungs-Quote ist, wie viele Kunden erst nach einer gewonnen Klage ihre Leistung erhalten und wie viele Vergleiche im Rahmen eines zeitlich sehr lange dauernden Leistungsprozesses erfolgt sind. Die BU-Verträge sind alles andere als transparent und für Kunden und Vermittler in ihren Auswirkungen kaum kalkulierbar.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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