Versicherungsbote: Welche Auswirkungen hat das Vorhaben von Lemonade auf die deutsche und europäische Versicherungslandschaft? Inwiefern wird sich die Branche verändern?

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Gian Casanova: Lemonade adressiert einen Trend, der vor allem von den sogenannten Digital Natives getrieben wird. Das Konzept einer Versicherung mit lebenslanger Vertragslaufdauer passt nicht zu einem Lifestyle, bei dem Flexibilität in der Lebensplanung ein sehr wichtiger Faktor ist. Zudem erwartet diese Zielgruppe, dass die Kommunikation mit der Versicherung möglichst direkt digital erfolgt, die Produkte flexibel und einfach verständlich sind – was bei den Produkten von Lemonade der Fall ist.

Beim klassischen Vertrieb von Versicherungsprodukten in Deutschland über Makler stellt sich natürlich die Frage, wie diese junge Zielgruppe gut angesprochen werden kann. Die notwendige Digitalisierung in der Kundenkommunikation und der Versicherungsprodukte wird deshalb auch für die etablierten Player immer wichtiger, um im Markt relevant zu bleiben. Gelingt dieser Schritt in der Digitalisierung, könnten die Produkte auch bei klassischen Anbietern zukünftig auch preiswerter angeboten werden.

Hat der Versicherer auf dem deutschen Markt überhaupt Zukunft?

Die Stärken von Lemonade liegen natürlich in der Aussicht auf die besseren Kundenbeziehungen und die technischen Innovationen, die zum Beispiel eine schnelle Schadensmeldung ermöglichen. Entscheidend wird jedoch auch sein, ob Lemonade die klassischen Elemente des Versicherungsgeschäftes effizient und profitabel betreiben kann.

Falls ja, wie sollten die etablierten Versicherer hierzulande idealerweise auf die Einführung reagieren?

Ich denke, es ist den meisten Assekuranzen klar, dass sie sich neu erfinden müssen und sie tun es auch mit unterschiedlichem Erfolg. Ein positives Beispiel stellt die Schweizer Lebensversicherung Baloise dar, welche 2017 die digitale Tochter FRIDAY mit Sitz in Berlin gründete. Innerhalb von 9 Monaten wurde eine monatlich kündbare digitale Autoversicherung entwickelt, welche eine kilometergenaue Abrechnung erlaubt. FRIDAY hat mit diesem Geschäftsmodell in 9 Monaten circa 15.000 Neukunden gewonnen. Kürzlich hat hat das Unternehmen zusätzlich Investitionen von mehr als 100 Millionen Euro erhalten – damit ist der Grundstein gelegt sich zum populärsten digitalen Versicherer in Deutschland zu entwickeln.

Wo liegen überhaupt die Unterschiede zu etablierten Versicherern?

Nebst den bereits erwähnten Unterschieden, spielt vor allem auch der verstärkte Einsatz von sogenannten Chatbots in der Kundenkommunikation eine immer wichtigere Rolle. Durch die dadurch gewonnen Daten und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz können die Produkte stetig optimiert werden. Wir bei Futurice tragen dieser Entwicklung dadurch Rechnung, dass wir unsere Expertise in künstlicher Intelligenz massiv ausgebaut haben und so unsere Kunden besser unterstützen können.

Ist zu erwarten, dass auch die etablierten Versicherungen in naher Zukunft Elemente von digitalen Versichern wie Lemonade in ihr Portfolio integrieren werden?

Ich bin davon überzeugt und dahingehend ist auch die Empfehlung an unsere Kunden, dass daran kein Weg vorbeiführt. Wie das Beispiel FRIDAY zeigt, kann auch eine etablierte und traditionelle Versicherung ein vergleichbares Produkt innerhalb kürzester Zeit erfolgreich etablieren. Wichtig ist, dass der neuen Einheit die notwendigen Freiheiten eingeräumt werden und digitale Kompetenz und das Know-how im Bereich neuer Arbeitsmethoden vorhanden ist oder von außen ins Unternehmen geholt wird.

Wie wird die Versicherungslandschaft im Jahr 2030 aussehen?

Die wichtigste Veränderung wird der verstärkte Einsatz von künstlicher Intelligenz sein. Dadurch werden viele klassische Prozesse wie z.B. die Bertrugseindämmung automatisiert. Eine Folge davon ist, dass das Produkt, die Versicherungspolice, deutlich flexibler und in einem höheren Maße an die Kundenbedürfnisse angepasst wird. Spannend wird es auch sein zu sehen, welches der zahlreichen Fintechs den Markt aufmischen.

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Die Fragen stellte Björn Bergfeld

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