Anspruch auf Wohngeld: Es zählt stets der Einzelfall

Hat ein Ehepaar, das zwar über geringe Einkünfte, jedoch zugleich über 115.000 Euro Bankvermögen verfügt, Anspruch auf Wohngeld? Zu dieser Frage fällte jüngst das Verwaltungsgericht Berlin ein Urteil (Az. 21 K 901.18), das in zweierlei Hinsicht aufklärend wirkt. Zum einen nämlich ist die Frage nach der Vermögenshöhe falsch gestellt, sobald man sich pauschale und starre Grenzwerte erhofft – jede Klärung des Anspruchs auf Wohngeld muss "im Lichte der individuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" geschehen, wie es in den Urteilsgründen heißt. Somit gilt als wichtiger Grundsatz bei der Beurteilung des Schonvermögens: Bewertet werden muss stets der Einzelfall.

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Zum anderen aber gibt das Urteil mit seinen Entscheidungsgründen auch Fragen für ein mögliches Berufungsverfahren vor. In diesem Sinne thematisiert das Urteil Rechtsunsicherheiten, die durch den weiteren Gang des Verfahrens geklärt werden könnten. Diese zwei Einwände seien vorangestellt bei Beantwortung der Frage, ob mit 115.000 Euro Bankvermögen Anspruch auf Wohngeld besteht.

Wohngeldbezug bei "erheblichem Vermögen": Missbräuchlich

Um was geht es konkret in dem Verfahren? Geklagt vor dem Verwaltungsgericht hatte ein 78 Jahre alter Rentner, der mit seiner 75-jährigen Ehefrau zusammen über folgende monatlichen Einkünfte verfügt: 770 Euro nimmt das Paar durch Rentenzahlungen ein, 130 Euro zudem über Kapitalerträge. Hinzu kommen 400 Euro, die dem Paar durch künstlerische Tätigkeiten der Ehefrau zufließen.

Mit diesen Einnahmen muss das Paar unter anderem eine Warmmiete von rund 653 Euro schultern, erhoffte sich folglich Wohngeld – jedoch wurde der Antrag durch das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf abgewiesen. Auch ein Widerspruch der Eheleute gegen den ablehnenden Bescheid führte nicht zum Erfolg. Der Grund: Das Ehepaar verfügt über Vermögen.

Das Amt berief sich in seiner Begründung auf Paragraph 21 Wohngeldgesetz. Dieser Paragraph definiert Ausschlussgründe für die Beziehung von Wohngeld. Unter anderem gibt Nummer 3 des Paragraphen vor: Ein Anspruch besteht nicht, soweit die Inanspruchnahme „missbräuchlich“ wäre, insbesondere wegen „erheblichen Vermögens“.

Näheres zur Vermögenshöhe regeln Verwaltungsvorschriften, jedoch – darauf wird in dem Urteil des Verwaltungsgerichts mehrfach verwiesen – nur über Orientierungs- und Richtwerte. Die maßgebende Wohngeld-Verwaltungsvorschrift, auf die sich das Amt Charlottenburg-Wilmersdorf berief, nannte für das Paar eine Vermögensfreigrenze von 90.000 Euro. Da jedoch das Paar über ein Bankvermögen in Höhe von 115.000 Euro verfügt, lehnte das Amt den Antrag auf Wohngeld als „missbräuchlich“ ab.

Maßgaben des WoGG verbieten "starre Vermögensgrenzen"

Der Rentner hingegen befand, die individuellen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehepaares seien für die Prüfung des Wohngeldanspruchs unzureichend berücksichtigt worden. Hätten er und seine Frau doch Schwierigkeiten, ein auskömmliches Einkommen zu erzielen und damit auch die Mietkosten zu bewältigen – der Mann bezieht Rente als Literaturwissenschaftler und Philosoph, seine Frau wirkt als freischaffende Künstlerin. Dieses Argument führte zur Klage vor dem Verwaltungsgericht. Hierbei berief sich der Kläger darauf, dass jene in den Verwaltungsvorschriften genannten Werte nur grobe Richtwerte seien und einer Wohngeldbewilligung bei höherem Vermögen nicht entgegen stünden. Zumindest bei letzterer Sichtweise stützt ihn das Gericht, wie es in den Entscheidungsgründen mehrfach herausstellte.

Denn in welchem Maße Vermögen zur Deckung des Wohnbedarfs einzusetzen ist, muss laut Gericht stets „im Lichte der individuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ beurteilt werden. Die Anforderung hat Folgen. So würde sich laut Gericht eine Bestimmung des zumutbaren Vermögens anhand „einer pauschalen und starren Vermögensgrenze“ sogar „verbieten“. Orientierungswerte dürfen aus diesem Grund auch nicht „die Bedeutung einer starren Vermögens(-unter-)grenze mit Bindungswirkung“ entfalten.

Ein solcher Grundsatz ist bei Auslegung des aktuellen Urteils stets zu bedenken. Meldungen zum Gerichtsverfahren wie bei Spiegel Online betreffen demnach auch den Einzelfall. Pauschalisierende Aussagen über Vermögensgrenzen lassen sich hingegen aus dem Urteil nicht ableiten.

Prüfung des Einzelfalls: Vermögen steht zur freien Verfügung

Für die Urteilsfindung galt es demzufolge, den Einzelfall und damit die wirtschaftlichen Verhältnisse des klagenden Rentners und seiner Frau zu prüfen. Diese Prüfung gab jedoch letztendlich dem Amt Recht: Obwohl die Werte der Verwaltungsvorschrift nur Orientierungswerte sind, hat der Mann dennoch mit seiner Frau keinen Anspruch auf Wohngeld. Das zeigte sich durch mehrere Bedingungen:

So haben weder der Mann noch seine Ehefrau zum Beispiel gesundheitliche Probleme – die finanzielle Situation wird demnach nicht durch zusätzliche Gesundheitsausgaben erschwert. Auch lebt das Paar nicht mit Kindern oder sonstigen unterhaltsberechtigten Haushaltsmitgliedern zusammen. Ein Teil des Vermögens ließ sich außerdem nicht unter dem Aspekt der Altersvorsorge geltend machen, obwohl der Rentner dies versuchte. Sicher war für das Gericht, dass eine Zweckbestimmung des Vermögens für die Altersvorsorge bei dem Paar überhaupt nicht zu erkennen war – schon deswegen hielt der Einwand des Mannes einer Überprüfung des Gerichts nicht stand. Jedoch musste das Gericht mit seinem Urteil grundsätzlich offen lassen, ob überhaupt Schonvermögen für die Altersvorsorge nach Erreichen des Rentenalters Berücksichtigung finden kann.

Nach Prüfung der Verhältnisse urteilte das Gericht letztendlich: Dem Ehepaar ist zuzumuten, zur Deckung des Wohnbedarfs auf das eigene Vermögen zurückzugreifen. Denn das Vermögen steht dem Paar zur freien Verfügung. Der monatliche Fehlbetrag, der durch das Vermögen zu decken ist, beträgt laut Berechnungen des Gerichts zudem nur 100 Euro monatlich. Aufgrund der individuellen Situation kann dem Paar zugemutet werden, diese 100 Euro im Monat (und demzufolge 1.200 Euro im Jahr) für die Wohnkosten einzubringen.

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Wohnbedarf: Vermögen muss nicht aufgebraucht werden

Die Zumutbarkeit ist laut Gericht auch Bedingung, das Vermögen des Paares als "erheblich" zu bewerten. Demnach ist die Klage des Rentners abzuweisen – ein Bezug von Wohngeld durch das Ehepaar wäre nach Paragraph 21 WoGG tatsächlich "missbräuchlich". Das Gericht sieht sich jedoch zu einer wichtigen Ergänzung gezwungen: Zwar schmilzt nun das Vermögen durch die Wohnkosten ab. Keineswegs wird durch das Gesetz aber zugemutet, das gesamte Vermögen zur Deckung des Wohnbedarfs aufzubrauchen. Sobald das Vermögen des Ehepaars weniger als 90.000 Euro beträgt, würde ein weiterer Wohngeldantrag nach jetzigem Stand positiv beschieden.

Durch Rechtsunsicherheit: Hoffnung auf das Berufungsverfahren

Ist mit dem Urteil die Angelegenheit nun erledigt? Keineswegs. Denn obwohl die Urteilsgründe des Gerichts überzeugend wirken, setzt nun sogar das Verwaltungsgericht auf die nächsthöhere Instanz – und hat demnach auch eine Berufung zugelassen, um Unsicherheiten auszuräumen. Geht es doch um die „grundsätzliche Bedeutung der Frage“, wie „der Begriff des erheblichen Vermögens in Paragraph 21 Nr. 3 WoGG auszulegen ist.“

Schonvermögen zur Altersvorsorge auch für Rentner?

Eine Rechtsunsicherheit ergibt sich aus der Frage, ob überhaupt Schonvermögen für die Altersvorsorge nach Erreichen des Rentenalters Berücksichtigung finden könnte. Hätte also das Gericht – trotz des stattlichen Alters der Klagenden – Schonvermögen zur Vorsorge ansetzen können, falls eine Zweckbestimmung erkenntlich gewesen wäre? Diese Frage wird bewusst durch das Gericht offen gelassen.

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Auch weitere Fragen sind ungeklärt, die allerdings für das Urteil selbst „dahinstehen“ konnten. Diese Fragen betreffen Orientierungswerte für eine Vermögensfreigrenze – das Verwaltungsgericht nennt verschiedene Urteile, die mit weiteren Werten (von 60.000 Euro, 61.000 Euro und 80.000 Euro) argumentieren. Solche Orientierungswerte stellen zwar keine festen Vorgaben dar – eine Ablehnung des Wohngeldes kann auch bei Unterschreiten der Schonvermögens-Grenzen erfolgen, ein Zusprechen des Wohngeldes hingegen auch bei Überschreiten der Grenzen. Muss doch stets für jeden Einzelfall die finanzielle Situation geprüft werden.

Und dennoch problematisiert das Gericht auch Fragen, die diese Orientierungswerte betreffen. Müssen Richtwerte für das Schonvermögen zum Beispiel durch Entwicklung des Verbraucherpreisindexes fortgeschrieben werden? Fließen Werte in die Berechnungen ein, die Paragraph 6 des Vermögensteuergesetzes (VStG) als "Freibeträge für natürliche Personen" definiert? Solche Fragen sind zwar laut Verwaltungsgericht für das Urteil gar nicht maßgebend. Und doch fällt auf: Übergangen werden sie durch die Urteilsgründe nicht. Dieser Widerspruch des online verfügbaren Urteils könnte darauf hindeuten: Vielleicht erhofft sich das Verwaltungsgericht Berlin von der nächsthöheren Instanz doch konkretere Vorgaben, wie Orientierungswerte der Verwaltungen für die Gerichtsentscheide bedacht oder eigene Orientierungswerte geschaffen werden müssen.

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