Ein Renten-Betrugsfall sorgt derzeit bundesweit für Aufmerksamkeit. Ein Psychiater aus dem Ruhrgebiet soll mit Hilfe von drei Komplizen einen Handel mit gefälschten Erwerbsunfähigkeits-Gutachten, Krankschreibungen und Rezepten betrieben haben. Wenn die Patienten bereit waren, zwischen 2.000 und 7.000 Euro in bar zu zahlen, so stellte der Arzt ihnen ein Erwerbsunfähigkeits-Gutachten aus. Zwischen 2009 und 2014 wurde die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Westfalen so um große Summen betrogen, berichtet die Tageszeitung „Welt“ – der Gesamtschaden wird auf 400.000 Euro geschätzt.

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Bis zu 7.000 Euro bar für 1.200 Euro Erwerbsunfähigkeits-Rente

Der Betrugsskandal wird seit dieser Woche vor dem Landgericht Bochum verhandelt, angesetzt sind hierfür 20 Behandlungstage. Und die bisherige Anklage offenbart ein ausgeklügeltes Betrugssystem. Hauptangeklagter ist der 66jährige Theodor S., der als Facharzt für Psychiatrie auch jahrelang Gutachter für die Rentenversicherung gewesen ist. Das heißt, er kennt sich mit den Vorgaben der Rentenkasse bestens aus. Dieses Wissen soll er genutzt haben, um den Betrügern zu einer Erwerbsunfähigkeitsrente zu verhelfen.

Denn mit der Ausstellung einer psychiatrischen Diagnose war es nicht getan. Um etwa eine Erwerbsunfähigkeitsrente wegen „paranoider Schizophrenie“ durchzusetzen, soll der Arzt Patientenakten gefälscht, Medikamente verschrieben und stationäre Aufenthalte angeordnet haben. So soll der Arzt seinen Patienten zu einer Erwerbsunfähigkeitsrente von bis zu 1.200 Euro im Monat verholfen haben – ein Leben lang.

Die „Patienten“ erhielten zudem laut Anklage ein „Verhaltens-Coaching“, wo sie lernten, wie sie sich im Kontakt mit begutachtenden Ärzten und medizinischen Diensten der Rentenkasse zu verhalten haben. Dabei zeichnete sich laut den „Westfälischen Nachrichten“ ein wiederkehrendes Muster ab. Die mehrheitlich türkischstämmigen Kunden des Arztes sollen mit der Rentenkasse fast ausschließlich über Anwälte in Kontakt getreten sein und behaupteten, die deutsche Sprache kaum zu beherrschen. Gutachter, die als besonders kritisch galten, seien abgelehnt wurden.

Verdacht nur zufällig

Wie perfekt diese Masche funktionierte, zeigt der Umstand, dass die Polizei nur zufällig auf die mutmaßlichen Betrüger aufmerksam wurde. Als bei einem Patienten die Masche nicht funktioniert haben soll, sei er vor Gericht gezogen und habe geklagt, berichtet die „Welt“. Zwei Gutachter konnten keine Erwerbsunfähigkeit feststellen. Doch der Betroffene habe immer neue Gutachter hinzugezogen. So sei das Netzwerk ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Und nicht nur auf diese. Gegen weitere verdächtige Ärzte werde nun gesondert ermittelt.

Seit 2015 sammelte die Staatsanwaltschaft Beweise, hörte unter anderem Telefone ab und setzte verdeckte Ermittler ein. Und auch die Deutsche Rentenversicherung hatte einige Arbeit, musste unter anderem tausende Befunde und Gutachten prüfen. Dennoch bleibt die Frage, wieso der Arzt so lange nicht überführt werden konnte: Diagnosen und Biographie der Patienten zeigten auffällige Gemeinsamkeiten.

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Bei der Überprüfung ähnlicher Fälle durch die DRV ist laut den "Westfälischen Nachrichten" mittlerweile auch ein Arzt aus Münster ins Visier der Ermittler geraten. Im Fall der Ruhrgebietspraxis seien bisher 2.200 Fälle geprüft uns 700 Neubegutachtungen veranlasst worden. Oft seien Zahlungen eingestellt und Geld zurückgefordert worden. Nun würden unter anderem 600 neue Verdachtsfälle untersucht.

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