Das OLG Köln (Urteil vom 02.09.2016, Az. 20 U 201/15) untersagte es einem Lebensversicherer, den Riesterkunden doppelte Abschlußkosten zu berechnen – einmal Kosten mit Höchstzillmmersatz von 2,5 Prozent (früher 4,0 Prozent) des Prämienvolumens über fünf Jahre verteilt, und zudem weitere Kosten über die gesamte Laufzeit. Zweierlei Abschlusskosten in der Lebens- und Rentenversicherung sind demnach in den ersten 5 Vertragsjahren illegal.

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Jahrzehntelange Praxis führt zum Anspruch auf Neuabrechnung

Dr. Johannes Fiala, RA (München), RB, VB, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann © Dr. Johannes FialaDer Versicherungsmathematiker Kleinlein fand in der Veröffentlichung zum Jahr 2015 eines Versicherungsverbandes 7,2 Milliarden Euro Abschlusskosten, was 4,9 Prozent der vertraglichen Beitragssumme entspräche – nach dem Höchstzillmersatz hätten es jedoch (seit 2015) nur 2,5 Prozent sein dürfen. Demnach hätten Versicherer damit bis zu mehr als 3 Milliarden Euro allein 2015 zu viel und zu eigenen Gunsten berechnet. Der Verband möchte jedoch hierbei noch Vertriebskosten verrechnen – und meint, daß nur die einmaligen Abschlusskosten limitiert wurden, jedoch laufende Abschlusskosten in beliebiger Höhe den Kunden zusätzlich belastet werden könnten.

OLG Köln korrigiert die Kalkulationsmethoden der Lebensversicherung

Auch das OLG Köln kennt zwar keine Grenze für die Höhe der laufend verrechneten Abschlusskosten. Es lässt diese indes nicht in den ersten 5 Vertragsjahren zu, damit dort die Rückkaufswerte der frühzeitig Kündigenden nur durch die auf 5 Jahre verteilten Abschlusskosten bis zur gesetzlichen Höchstgrenze der Zillmerung belastet werden. So habe es der Gesetzgeber zum Schutz der Versicherten vor einem Vermögensverlust in den ersten 5 Jahren gewollt. Ab dem 6. Jahr bis Ende können dann die Lebensversicherer soviel Abschlusskosten verrechnen, wie sie wollen. Kaum ein Versicherungsmathematiker hat dies bisher so gesehen, wie ihm der Richter nun sagt.

Kundentäuschung bei bis zu mehr als 15 Millionen Riesterverträgen?

Vermittler, insbesondere Versicherungsmakler, haften meist neben dem Versicherer, wenn sie die Kunden nicht ordentlich aufgeklärt, informiert und beraten hatten – einschließlich der Dokumentation, welche der Kunde vor dem Vertragsabschluss bekommen haben muss. So sehen es die Paragraphen §§ 60 ff. des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) vor. Der Bundesjustizminister hatte die Praxis bereits vor Jahren wissenschaftlich untersuchen lassen: In bis zu mehr als 85 Prozent der Fälle wurden Beratungen gar nicht erst dokumentiert; so dass Obergerichte die Beweislast bei Fehlberatung seither meist umkehrten.

Die Beweislast liegt im Zweifel beim Makler (BGH, Urteil vom 10.03.2016, Az. I ZR 147/14), der seine umfassende Beratung im Einzelfall durch übliche Formulare aus dem Versicherungsvertrieb und zur Vermittlung kaum nachweisen kann. Erfolgte die Vermittlung durch einen Agenten, so haftet dieser von Hause aus ebenfalls, § 63 VVG.

Aufgeklärt werden müssen Kunden beispielsweise über die eingeschränkte Vererbbarkeit, die bis zu vollständige Verrechnung mit der Grundsicherung sowie dass nur volle Beitragszahlung – je Kalenderjahr oft in unterschiedlicher Höhe – zur vollen Riesterzulage führt. Wer ab 2030 unter die dann bis zu mehr als 52 Prozent Neurentner mit Aufstockungsanrecht durch die Grundsicherung fällt, kann seine Riestersparleistung rückblickend wirtschaftlich bis hin zum Totalverlust empfinden. Vielleicht gehört man nicht zu den Spitzenverdienern mit bis zu mehr als 10 Jahren an zusätzlicher Lebenserwartung und hätte besser einen Anspar- und Auszahlplan gewählt? Oder es wurde eine Rendite durch Zulagen vorgespiegelt, die bei nur durchschnittlicher Lebenserwartung beim Versicherer verbleiben oder die Renten der Besserverdiener subventionieren – als Sterblichkeitsgewinn. Und schließlich könnte der Kunde argumentieren, dass er über das unethische Investment (z.B. in Klimasünder, Waffenhersteller, Profit durch Kinderarbeit oder Menschenrechtsverletzungen - Der Spiegel, 47/2016, S. 78 f.) manches Anbieters bzw. Investmentfonds nicht informiert wurde?

Jede Art einer Lebensversicherung kann betroffen sein

Diplom-Mathematiker Peter A. Schramm ist Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt) und Aktuar DAV. Eine Verteilung der den Höchstzillmersatz übersteigenden Abschlusskosten auf die gesamte Laufzeit und von Beginn an kommt bei vielen Riesterverträgen unterschiedlichster Anbieter vor. Es ist aus der Argumentation des OLG Köln erkennbar, dass bei vergleichbarem Sachverhalt nicht nur dieser eine Versicherer betroffen wäre. Wenn Lebensversicherer in der Abwicklung sich auf diese Form der zweigeteilten Abschlusskosten-Verteilung nicht berufen können, heißt dies letztlich, dass sie dann mindestens in den ersten fünf Jahren höhere Rückkaufswerte auszahlen müssen. Bestand der Lebensversicherungsvertrag bis zu weniger als fünf Jahre, so fällt bei Neuabrechnung das Kundenguthaben im Verhältnis höher aus.

Aus der Argumentation des OLG Köln betreffend die Deckungsrückstellungs-Verordnung sowie § 169 Versicherungsvertrags-Gesetzes (VVG) ergibt sich indes sogar, dass von dieser Problematik die Lebensversicherung insgesamt über Riester hinaus betroffen ist. Damit hätten Kunden solcher gekündigter Lebens- und Rentenversicherungen die Möglichkeit, unter Verweis auf das Urteil des OLG Köln vom Versicherer eine Neuabrechnung des Rückkaufswertes und Auszahlung der unzulässig zusätzlich abgezogenen Abschlusskosten zu verlangen.

Zertifizierung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)?

Zu fragen wäre aber auch, was denn von der deutschen Finanzaufsichtsbehörde BaFin eigentlich geprüft wird, wenn Riester-Rentenversicherungen von ihr zertifiziert werden? Ist es unverständlich, wenn die BaFin einerseits zu hohe Abschlusskosten beklagt, andererseits aber trotz der nun vom OLG Köln untersagten Kalkulationsmethodik Riester-Rentenversicherungen ohne weiteres eine Zertifizierung erteilt? Nicht alles, was die BaFin erlaubt oder sogar ausdrücklich fordert, ist rechtlich auch zulässig. Doch wenn es kein höchstrichterliches Urteil gibt, hat die BaFin keine Handhabe, eine Zertifizierung zu verweigern.

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Wenn der Versicherungsmathematik der rechtliche Boden entzogen wird

So werden auch künftig immer wieder Verfahrensweisen der Versicherer gerichtlich als unzulässig beurteilt werden, die zuvor Juristen und Mathematikern der Branche für (weiter) zulässig hielten, niemals von der BaFin beanstandet wurden, ggf. sogar von ihr gefordert oder genehmigt waren. Mathematiker müssen sich bei der Tarifkalkulation nicht selten für etwas entscheiden, von dem sie sich unmöglich rechtlich sicher sein können – selbst wenn es die „herrschende Meinung“ oder vielleicht eher eine Wunschvorstellung ist. Wer es sich – z.B. als mathematischer Gerichtssachverständiger – leisten kann, tut indes gut daran, das fragwürdige rechtliche Fundament der Versicherungsmathematik in Kranken- und Lebensversicherung stets in Frage zu stellen, und dessen Wertung den dazu berufenen Gerichten zu überlassen.

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