Oliver Bäte (51 Jahre) ist seit Mai 2015 Vorstandsvorsitzender der Allianz SE Gruppe. Für das Management des größten deutschen Versicherers bekam er im vergangenen Jahr fünf Millionen Euro. „Die Marktkapitalisierung der Allianz SE an der Börse schwankt immer ein bisschen stärker. Derzeit liegt sie zwischen 60 und 70 Milliarden Euro,“ charakterisiert Bäte quantitativ den Konzern. Auf die Frage, ob seine Vergütungssumme demgegenüber angemessen sei oder nicht, antwortet er: „Das entscheiden der Aufsichtsrat und der Wettbewerber.“

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„Broadcast Yourself“: Jung & Naiv

Tilo Jung, der Interviewer, der Bäte eine bunte Vielfalt an Fragen stellte, spielt für seine Interviews einen naiven jungen Mann, der seinen Gästen entsprechend unvoreingenommen begegnet. In der Facebook-Beschreibung des Formates ist zu lesen: Er (Tilo Jung) stellt dabei „einen Durchschnittsahnungslosen auf dem intellektuellen Niveau eines 14-Jährigen“ dar, der grundsätzlich jegliche räumliche und sprachlich formale Distanz zu seinem Gesprächspartner missachtet. So wird der Interviewpartner geduzt, darf keine Fremdwörter benutzen und muss Fachbegriffe von Grund auf erklären. Die Interviews werden ohne genau abgesteckten zeitlichen Rahmen aufgenommen und in voller Länge veröffentlicht.

„Gegen was kann man keine Versicherung bei euch kaufen?“

Jung stellte zunächst Fragen zur Aufstellung der Allianz im Allgemeinen und zur Person Bätes. Etwa so: Gegen was kann man keine Versicherung bei euch kaufen? Bäte antwortet darauf gekonnt knapp: „Für alles, was kein Zufalls-, sondern ein systematisches Risiko ist.“ Sogleich erklärt es Bäte noch ein bisschen verständlicher: So könne man niemanden versichern, der einen Extremsport betreibt, bei dem es relativ wahrscheinlich ist, dass diese Person irgendwann einen tödlichen Unfall davon erleiden könnte. Ein Sprung mit einem Fallschirm von einem Berg sei hierfür ein Beispiel. Diese Fälle könne man nicht diversifizieren.

Die Allianz versichert demnach nahezu alles, wo sich viele Menschen zusammentun, um ein individuell großes Risiko zu teilen (zum Beispiel beim Autofahren). Eine Gesellschaft wie die Allianz könne so erreichen, dass die Kosten für dieses Risiko für jeden kalkulierbar sind und klein gehalten werden. Intern im Hause der Allianz werde dies auch unter dem „Gesetz der großen Zahlen“ geführt.

„Um die Beine von Fußballspielern zu versichern, ist das Kollektiv unzureichend“

Jung sprach Bäte auch auf Spezial-Versicherungen an, wie die Versicherung der Beine von Fußballspielern. Hierfür reiche das Kollektiv bei der Allianz nicht, gab Bäte zu. Man bekäme nicht genug Versicherungsnehmer zusammen. Dafür gebe es allerdings Spezialisten, die das können.

Im Grunde liefere die Allianz SE für die Mehrheit der Bevölkerung einen Beitrag zum Thema Sicherheit im Land. Das Unternehmen macht mehr als 20 Millionen Kunden sehr zufrieden. Man brauche Unternehmen, die die Risiken - an dieser Stelle sandte er symbolisch Grüße an die Attentäter in Brüssel - bewältigen. Ängste und Sorgen, die schon immer da waren und die menschlich sind, würden gerade in Zeiten von Terror wieder virulent. In solchen Phasen braucht der Mensch, Bäten zufolge, Bereiche im Leben, auf die er sich verlassen kann. So einen Anspruch habe die Allianz.

Verantwortung gegenüber den Eigentümern

Im Interviewteil, der sich mit der Gesellschaftsform der Allianz SE beschäftigte, erklärte Bäte, wer der eigentliche Besitzer des Unternehmens sei. „Es wird besessen von vielen vielen Aktionären.“ Der größte Investor ist BlackRock. Außerdem haben unter anderem der Norwegische Öl-Fond und der chinesische Staatsfond (drei Prozent) Anteile an der Allianz. Man treffe sich regelmäßig mit den Hauptinvestoren, um Feedback von ihnen zu sammeln. Bäte wies darauf hin, dass die Investoren bisher zufrieden waren. Die Allianz sei im schwierigen Kapitalmarkt-Umfeld ein sicheres Investment. Als Jung daraufhin anmerkte, dass Sicherheit immer etwas Langweiliges habe, antwortete Bäte „Ja, aber langweilig ist im Moment echt sexy“.

Letztlich sei Bäte an erster Stelle verantwortlich gegenüber den Eigentümern. Die „Nummer Eins“-Priorität im Moment liege darin, der Fragestellung auf den Grund zu gehen: Wie werden wir wirklich zu einem kundenzentrierten Unternehmen? Die Allianz möchte die Kundenzufriedenheit noch mehr steigern und dies auch messbar machen, verriet er. So wolle man hinsichtlich des Niveaus der Kundenzufriedenheit von einer „80 Prozent- in eine 95 Prozent-Welt“, erklärte der 51-Jährige.

„Wir müssen uns vermehrt mit der Komplexität unserer Produkte beschäftigen.“ Der Kunde wüsste durch die Komplexität der Bedingungen gar nicht genau, was er eigentlich bekommt und was diese Leistung kostet. Die nächste Dekade in unserer Industrie werde zeigen, so Bäte, dass die Produkte schrittweise einfacher werden, leichter verständlich und aus kostentechnischer Sicht günstiger. „Der Mensch wird nur dann sparen, wenn der Ertrag, den er aus einer Kapitalanlage erhält, in irgendeinem Verhältnis zum Konsumverzicht steht.“

In einer Marktwirtschaft ist auch keine Allianz „too big to fail“

Ob die Allianz „too big to fail“ sei, wusste Bäte sehr prägnant zu beantworten: „ Nein, das wäre in einer Marktwirtschaft auch schwierig.“

Der Vorstandsvorsitzende sprach in diesem Zusammenhang auch über den Verkauf der Dresdner Bank, 2008, die vormals zur Allianz SE gehörte. „Da hatten wir ein bisschen Glück“, gab Bäte zu. „Den Verkauf der Bank hatten wir aber schon mehr als ein Jahr vorher verhandelt.“ Als Bäte 2009 Finanzvorstand wurde, musste die Allianz SE einen Jahresfehlbetrag ausweisen. „Das war keine lustige Zeit. In einer Finanzkrise die Bilanz managen zu müssen, ist nicht zum Lachen.“

Kapital für unwahrscheinliche Ereignisse wird bei einem Rückversicherer gekauft

Auch wurde das globale Thema Klimawandel debattiert. Aktuelle Auswirkungen des Klimawandels, etwa die Gefahr eines Tsunamis, könne die Allianz SE in Teilen auch versichern, bestätigt Bäte. „Wir versichern in ganz Europa Menschen gegen die Folgen von Sturm - Abdeckung von Häusern, kaputte Fenster etc. ....“ Für solche Fälle rechnet die Allianz SE bestimmte Szenarien durch. Annahmen also, denen zugrunde liegt, wie viele Stürme es in einem Jahr in Europa geben könnte. Im schlimmsten Fall würde die aufaddierte Schadensumme zu groß werden. Den Verlust, den die Allianz SE daraus verbuchen müsste, wäre relativ zum eingesetzten Kapital zu teuer. „Die Aktionäre würden an dieser Stelle kritisieren, dass die Gesellschaft dafür so viel Kapital vorhalten müsste, mit sehr hohen Kosten, dass sich ein Investment für sie nicht mehr rechnen würde". Dafür gehe der Versicherer zu seinem Nachbarn, der Münchener Rück. „Für den Fall, dass es zwanzig Fluten gleichzeitig gibt, kaufen wir uns dort für alle Schäden ab einer gewissen Höhe zusätzliches Kapital ein. Für ein sehr unwahrscheinliches Ereignis also. Wir verteilen das Risiko in der Welt über die Rückversicherer so, dass die Kapitalkosten dafür immer kleiner werden,“ erklärt der 51-Jährige.

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„Solange Einfluss in der Politik von Versicherungsgesellschaften, Gewerkschaften etc. ... für den Bürger transparent gemacht wird, finde ich das richtig und gut.“

Wie bei jedem Jung & Naiv-Interview kamen auch diesmal die Zuschauer mit individuellen Fragen zum Zug. Circa zwanzig Minuten wendete Tilo Jung für 21 Zuschauerfragen auf. Tom Weidling bezog sich mit seiner Frage auf einen Text aus dem Tagesspiegel, in dem geschrieben stand, dass es fünf Bundestagsausweise für die Allianz gebe und somit auch entsprechend viele Lobbyisten der Allianz im Bundestag gleichzeitig rein- und rausgehen könnten, wie es ihnen gerade passt. Er wollte von Bäte wissen, was für Themen dort speziell kommuniziert werden? Bäte erkannte, dass der Kern der Frage darin liegt, inwiefern es möglich ist, als Konzern wie die Allianz die Politik zu beeinflussen. Auf der einen Seite findet es der Vorstandschef sinnvoll, dass Politiker sich informieren, etwa beim komplexen Thema Altersvorsorge. "Der Bundestagsausschuss befragt uns beispielsweise hier. Wir sitzen in siebzig Ländern und wissen wie Altersvorsorgesysteme aussehen. Es wäre ziemlich dumm, wenn sich die Entscheidungsträger nicht darüber informieren, was wir dazu denken.“ Allerdings, so findet Bäte, sollte diese Kommunikation vollständig transparent sein.

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