Versicherungsunternehmen erleiden jedes Jahr Millionenschäden durch eigene Mitarbeiter, wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zu berichten weiß. Die BaFin ist in Kenntnis aller „Unregelmäßigkeiten“ von Versicherungsmitarbeitern, zu deren Meldung alle Versicherungsunternehmen verpflichtet sind. Derartige Unregelmäßigkeiten von Versicherungsmitarbeitern wurden der BaFin im Jahr 2014 genau 373 Mal zugetragen. In 89 Fällen der „Unregelmäßigkeiten“ waren fingierte Verträge das Motiv. Alles in allem also wurden 124 Strafanzeigen erstattet.

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Aussagen darüber, in welchem Umfang Kunden Schäden durch diese Praxis "unregelmäßiger" Aktivitäten von Versicherungsmitarbeitern entstanden sind, liegen keine vor, so bedauert Stiftung Warentest und zitiert einen BaFin-Sprecher: „Es liegen keine Zahlen vor“. Der Grund dafür ist, dass ein Fehlverhalten dieser Art in der Regel dem Versicherer zugerechnet wird, so dass der Kunde von dem Tohuwabohu hinter seinem Rücken gar nichts merkt und nur „in Ausnahme­fällen ... auf dem Schaden sitzen bliebt.“

Versicherungen von innen und außen beklaut

Nun betrügen aber nicht nur Versicherungsmitarbeiter die Versicherungen, sondern auch noch die Kunden. Bei vielen sei der Gedanke tragend, wer seine Versicherung betrügt, begehe nur einen kleinen Kavaliersdelikt. Laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage hält es jeder zehnte Bürger für verzeihlich, seine Versicherung zu betrügen, jeder vierte sogar gibt zu, es schon einmal getan zu haben.

Anders als beispielsweise Schwarzfahren ist Versicherungsbetrug ein Akt, dem in weiten Teilen der Gesellschaft mit Verständnis, Solidarität, ja mit Zustimmung begegnet wird. Der Gedanke, dass der Betrug einer Versicherung strafbar ist, steht dabei meist hinten an. So kommt es, dass sich pro Jahr allein im Segment Schaden- und Unfallversicherung Summen anhäufen, die sich auf etwa vier Milliarden Euro belaufen – für Schäden, die es gar nicht gab.

Bei erfundenen Schäden gibt es laut GDV Klassiker und Neuheiten. Relativ neu, aber mit steigender Tendenz, werden manipulierte Schäden am Smartphone gemeldet. Die „kaputte Brille“ hingegen ist schon ein richtiger Klassiker in der Privaten Haftpflichtversicherung. Ein weiterer Klassiker sind Schäden im Zusammenhang mit Autos. Hier werden Schäden oft aufgebläht, oder bereits vorhandene Schäden werden bei einem kleinen Crash gleich mit abgerechnet.

So werden Unfälle mit Bekannten arrangiert, vorgetäuscht oder mit Absicht herbeigeführt. Manchmal kommen dann auch ahnungslose Fahrer anderer PKW ins Spiel, die ungewollt für den fingierten Schaden herhalten sollen. So wollen die Täter möglichst viel Geld von der Unfallversicherung des Opfers erschleichen. Der GDV nennt diesen Menschenschlag, der aus Gier auf den Straßen auf Raufhändel aus ist: „Autobumser“.

Schreibtischtäter und Brutalos. Versicherungsbetrug hat viele Gesichter

Doch nicht nur auf den Straßen wird Versicherungsbetrug begangen, nein, auch am Schreibtisch. So werden häufig Belege gefälscht, um den Kaufpreis eines erworbenen und nun beschädigten Objekts nach oben zu „korrigieren“. Damit will der Versicherungsnehmer eine höhere Schadenssumme von seinem Versicherer einfordern.

Falsche Rechnungen sind aber so häufig, dass Versicherer hier inzwischen einiges an Expertise entwickelt haben, um Fälschungen zu erkennen. Nun zeichnet sich ab, dass die Versicherungen, welche am meisten unter der Phantasie ihrer Versicherungsnehmer zu leiden und entsprechende Mehrausgaben haben, die Private Haftpflicht und die Hausratsversicherung sind. So nehmen vierzig Prozent der Bürger hier das Spiel mit dem Betrug auf, weil sie es in dieser Sparte für besonders einfach halten. Ein Unrechtsbewusstsein, so klagt der GDV, gehe den Versicherten hier häufig ab.

Wie der GDV schätzt, würden der deutschen Versicherungswirtschaft jedes Jahr etwa vier Milliarden Euro abhanden kommen, die allein dafür aufgewendet würden, um Versicherungsbetrug in der Schaden- und Unfallversicherung abzudecken. Dabei setzt sich diese Summe aus vielen kleinen, unscheinbaren Betrügereien zusammen, nicht etwa aus großen Fällen, schreibt der GDV.

Einer von zehn Fällen fingiert

So geht man in der Schaden-und Unfallversicherung davon aus, dass von zehn Fällen eines Schadens einer manipuliert ist, oder frei erfunden. Konsequenzen eines Betruges können der Entzug der Versicherung oder sogar zivilrechtliche Folgen sein, droht der GDV. In sehr schweren Fällen könne man sogar für zehn Jahre ins Gefängnis kommen. Aber wie der GDV selbst sagt, meist seien es "Peanuts", nämlich Schäden mit einem Wert von unter 1.000 Euro, die nur in der Summe einiges hermachen.

Versicherungsbote hat mit der Diplom-Volkswirtin und Journalistin Vanessa Köneke gesprochen. Gemeinsam mit Professor Horst Müller-Peters vom Institut für Versicherungswesen an der Fachhochschule Köln und Detlef Fetchenhauer, Professor für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Universität zu Köln, hat sie das Buch „Versicherungsbetrug verstehen und verhindern“ verfasst (erschienen 2015 bei Gabler Springer).

Versicherungsbote fragte, warum Versicherungsbetrug bei den Bundesbürgern als Kavaliersdelikt gilt, wobei laut einer Emnid-Umfrage jeder zehnte Bundesbürger es für verzeihlich hält, seine Versicherung zu betrügen. Warum gibt es hierbei so ein geringes Unrechtsbewusstsein?

Köneke antwortete: Die meisten Menschen entschuldigen Versicherungsbetrug nur unter bestimmten Umständen. Vor allem wenn es nicht um Habgier geht, sondern darum, einen tatsächlich entstanden Schaden ersetzt zu bekommen.

Ein Beispiel: Aus einem Fahrradkeller wird ein Rad gestohlen und der Besitzer meldet fälschlicherweise, der Keller sei abgeschlossen gewesen. Oder einem Urlauber fällt der Fotoapparat ins Wasser und das mitgereiste, befreundete Pärchen gibt seiner Haftpflichtversicherung gegenüber an, den Schaden verursacht zu haben. In diesen Fällen wollen sich die Versicherungskunden auf den ersten Blick nicht bereichern, sondern „nur“ einen Verlust vermeiden.

Versicherungsbetrug gilt nicht als kriminell

Das passt nicht zu unserem Stereotyp von finanzieller Kriminalität und deswegen scheint es manchen Bürgern eher ein Kavaliersdelikt. Aber niemand gibt eine Generalabsolution. Für einen Versicherungsbetrug, den jemand macht, um sich einen neuen Porsche zu kaufen, haben die meisten Bürger kein Verständnis. Ebenso wenig für serienmäßigen Versicherungsbetrug oder Betrug, der andere Menschen gefährdet wie bei provozierten Autounfällen. Doch sei Versicherungsbetrug zwar ein großes Problem, aber kein Volkssport, so Köneke.

Sparten, in denen besonders häufig betrogen wird, sind Haftpflicht-, Hausrat- und Kfz-Versicherungen. Die Aufklärungsquote insgesamt lässt sich aber nicht genau benennen. Bei der Befragung des GDV aus dem Jahr 2011 gaben 17 Prozent der Personen, die sich zu einem Versicherungsbetrug bekannten, an, dass jener entdeckt worden war. Bei einer anderen, etwas älteren Studie waren es vier Prozent.
 Vielleicht ist das schon ein Indiz dafür, dass die Versicherer ihre Kontrollen verstärkt haben. Zur Anzeige gebracht werden jährlich nur etwa 5.000 Fälle, sagte Köneke.

Aber Abschreckung durch Kontrolle sei nicht die beste Vorbeugung. Versicherer vergessen, einen Schritt vorher anzusetzen und die Betrugsmotive zu reduzieren. So seien einfache Möglichkeiten zur Betrugsprophylaxe Bonus-Malus-Verträge, bei denen Schadenfreiheit belohnt wird, und Mikrokollektive wie Friendsurance, bei denen direkt deutlich wird, dass nicht der Versicherer, sondern andere Kunden die Kosten eines Betrugs tragen.

Betrug ist vis à vis viel schwerer

Im persönlichen Gespräch sind Lügen übrigens viel schwerer zu postulieren , deshalb ist Kundenkontakt ein probates Mittel, um Betrug vorzubeugen. Eine Herausforderung für die Schadensregulierung ist die Digitalisierung. Einbrüche und Diebstahl ohne Einbruchspuren sind nun möglich, und ein technischer Wettlauf zwischen professionellen Betrügern und der Versicherungsbranche die Folge? Jein, so Köneke, die Digitalisierung sei Fluch und Segen zugleich. So lassen sich Schadenfälle beispielsweise nun automatisch auf Betrugshinweise prüfen.

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Und was können nun eigentlich die Versicherungsnehmer tun, die zu Unrecht des Versicherungsbetrugs verdächtigt werden? An wen können sie sich wenden und welche Schritte sollten sie einleiten? Dazu Köneke: Wie bei allen Streitigkeiten mit Versicherern oder Versicherungsvermittlern können sich Versicherungsnehmer an den Ombudsmann wenden. Das ist eine von der Versicherungsbranche bezahlte Schlichtungsstelle. Bei einem falschen Betrugsverdacht wird man aber wohl nicht darum herumkommen, einen Anwalt zu beauftragen.

test.de, versicherungsbote.de, GDV.de

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