Es gibt Fälle von Anlageberatung, die sind so dreist, dass sie sich selbst mit größtem Wohlwollen nicht rechtfertigen lassen. Ein derartiger Fall hat sich in Bochum ereignet, wie DerWesten Online (Dienstag) berichtet. Demnach hat ein Berater der Commerzbank einer 82jährigen Rentnerin den Lebensversicherungsfonds ProRendita 4 aufgeschwatzt. Mindestlaufzeit der Geldanlage: 14 Jahre.

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Rentnerin von Commerzbank „mehr oder weniger über den Tisch gezogen“

“Es war eine herbe Enttäuschung für die Frau, als sie feststellen musste, dass sie mehr oder weniger über den Tisch gezogen worden ist“, sagt Neffe Elmar Knipp dem Onlineportal. Denn dass die Geschädigte die Auszahlung der Versicherungssumme noch erleben wird, ist unwahrscheinlich. Immerhin 96 Jahre alt müsste die kranke Rentnerin werden, um von dem Vertrag zu profitieren. Einen fünfstelligen Betrag investierte die mittlerweile 87jährige Seniorin, die sich über die lange Laufzeit zunächst nicht bewusst war.

Dabei habe die Frau nur eine Möglichkeit gesucht, ihr Geld für das Alter sicher zu parken, berichtet ihr Neffe. Etwa für den Fall, dass sie einmal pflegebedürftig werden sollte. Eine vernünftige Geldanlage wäre also derart gestaltet gewesen, dass die Rentnerin kurzfristig darauf hätte zugreifen können – etwa ein Tagesgeldkonto oder ein Banksparplan, der „nur“ eine dreimonatige Kündigungsfrist vorsieht. Ein Fonds mit jahrzehntelanger Mindestlaufzeit ist hingegen für diese Kundin völlig ungeeignet.

“Die Banken arbeiten provisionsgesteuert“

Doch der Hamburger Rechtsanwalt Ernst J. Hoffmann hat einen Verdacht, warum der Frau ein unpassendes Finanzprodukt empfohlen wurde. „Die Banken arbeiten provisionsgesteuert“, kritisierte er gegenüber DerWesten. „Sie verkaufen das, was den Beratern am meisten einbringt“. Tatsächlich habe es für die Vermittlung des Fonds ProRendita 4 eine besonders hohe Provision geben, erklärt seine Anwaltskanzlei.

Deshalb hat Hoffmann nun eine Klage auf Schadensersatz vor dem Landgericht Bochum eingereicht. Ziel der Seniorin sei es, ohne Verluste aus dem Vertrag herauszukommen. Der Berater der Commerzbank habe einen „Beratungsfehler“ begangen, als er die Anlage mit der enorm langen Laufzeit empfahl, argumentieren die Juristen. In ähnlichen Fällen hätten Gerichte bereits zugunsten der Rentner entschieden.

Commerzbank argumentiert: auch Rentner erbitten Geldanlagen mit langer Laufzeit

Die Commerzbank hingegen will kein Fehlverhalten ihres Beraters erkennen. Das Alter der Rentnerin sei nicht der springende Punkt, erklärte ein Sprecher auf Anfrage. Schließlich gebe es Senioren, die Anlagen mit langer Laufzeit tätigen, um sie dann in ein Erbe einfließen zu lassen. Die Commerzbank stellte einen Vergleich in Aussicht, ohne Details zu nennen.

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Ob es tatsächlich das Ziel der Rentnerin gewesen ist, das Geld für die Erbmasse zurückzulegen, hätte der Bankberater allerdings im Beratungsgespräch herausfinden müssen. Schließlich ist es die wichtigste Aufgabe des Vermittlers, Wünsche und Bedürfnisse seines Kunden zu erfragen und bei der Produktauswahl zu berücksichtigen. Dies ist hier offenbar nicht geschehen.
Erst vor wenigen Monaten erregte ein Fall in Leipzig Aufsehen, bei der einer 80jährigen Rentnerin ein Bausparvertrag vermittelt wurde (Versicherungsbote berichtete exklusiv).

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