Manchmal bedarf es nicht viel, um in Deutschland zu einem Rebell ernannt zu werden. Diese glückliche Erfahrung machte gestern eine Gruppe jüngerer CDU-Abgeordneter um Jens Spahn und Philipp Mißfelder, die von der konservativen Tageszeitung „Welt“ kurzerhand zu Rebellen ausgerufen wurden. Grund ist ein Thesenpapier, mit dem die Politiker eine „Agenda 2020“ einfordern – und sich damit indirekt gegen die große Koalition stellen. Andere Zeitungen griffen das Thema dankbar auf, auch wenn die Positionen in der CDU derzeit keine Mehrheit finden.

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Heftige Kritik an der SPD

Das Thesenpapier übt heftige Kritik an der SPD, deren Einfluss auf die aktuelle Regierungspolitik den CDU-Abgeordneten gar nicht gefällt. Rente mit 63, Mindestlohn – das alles schmeckt dem christdemokratischen Nachwuchs nicht.

Und so beschwören die Revoluzzer im Nadelstreifenanzug den Geist von Gerhard Schröder herauf, dessen Regierung die Hartz-Reformen und die Absenkung des Rentenniveaus durchgeboxt hatte. Vor diesen Strukturreformen sei Deutschland "der kranke Mann Europas" gewesen, mit hohen Lohnnebenkosten, aus dem Ruder laufenden Sozialsystemen und über 5 Millionen Arbeitslosen. „Statt sich zu den Erfolgen der Agenda 2010 zu bekennen, will die SPD sie nun in Teilen verschämt zurückdrehen. Wir müssen aber in einer Agenda 2020 das Richtige tun, damit es uns auch noch in vier, acht oder in zehn Jahren gut geht", heißt es in dem Grundsatztext. Negative Begleiterscheinungen wie den explodierenden Niedriglohnsektor verschweigt das Papier.

So manches, was die 60 Verfasser nun vorschlagen, liest sich wie von der FDP abgeschrieben. Weniger Geld für Sozialleistungen, dafür mehr für den Straßenbau. Haushaltskonsolidierung soll oberste Priorität haben. Steuern sollen gesenkt werden. Man muss Angst haben, dass FDP-Chef Christian Lindner den jungen Wilden eine Abmahnung wegen Copyright-Verstoßes schickt. So richtig neu ist das alles nicht. Es fällt nur auf, dass die Liberalen im Bundestag fehlen.

Pflicht zur kapitalgedeckten Altersvorsorge

Und doch könnten die Vorschläge der „CDU-Rebellen“ für den Versicherungsvertrieb eine kleine Revolution bedeuten. Eine Revolution freilich, die den Anbietern ordentlich Gewinn und den Vermittlern Courtage bringen wird. Um der Alterung der Gesellschaft zu begegnen, soll „eine kapitalgedeckte Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung für jeden obligatorisch werden“, heißt es in dem Thesenpapier. Dass die Verfasser dabei die private Versicherungswirtschaft im Blick haben, daran lassen sie kaum Zweifel. Explizit betonen sie: „Bei der betrieblichen und privaten Altersvorsorge wurde in den letzten Jahren schon viel erreicht.“

Die Bürger sollen also per Gesetz gezwungen werden, eine Riester-Rente, eine Lebensversicherung oder einen ähnlichen Altersvorsorgevertrag abzuschließen? Die Versicherungswirtschaft wird das mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen. Fällt doch der Vorschlag in eine Zeit, in der das Neugeschäft drastisch einbricht. Seit Januar 2013 gibt es keinen Zuwachs bei der staatlich geförderten Altersvorsorge, netto haben die Versicherungen sogar Kunden verloren. Was wäre in dieser Situation besser als eine Art Riester-Pflicht?

Und es kommt sogar noch besser: auch Geringverdiener sollen privat für das Alter vorsorgen und „gezielt dabei unterstützt werden“, heißt es in dem Thesenpapier. Das könnte zum Beispiel darauf hinauslaufen, dass Niedriglöhner unter den Riester-Sparern Zuschüsse erhalten. Aus dem Staatssäckel, wohlgemerkt. Der Steuerzahler würde also die Riester-Renten der Geringverdiener subventionieren. Damit hätte die Assekuranz eine eierlegende Wollmilchsau gefunden.

CDU-"Rebellen" greifen Vorschläge der Versicherungslobby auf

Warum diese Vorschläge aber rebellisch sein sollen, wird wohl das Geheimnis der Medien bleiben. Was die jungen Abgeordneten hier in die Debatte einbringen, entspricht fast eins zu eins Forderungen, die zuvor Versicherungsvorstände erhoben haben. Markus Faulhaber, Vorstandsvorsitzender der Allianz Leben, sprach sich etwa in einem Interview mit Welt Online für eine Erhöhung der staatlichen Riester-Förderung aus. Der Versicherungsfunktionär regte auch an, dass alle Beschäftigten zu einer betrieblichen Altersvorsorge verpflichtet werden. Es sind Forderungen von Lobbyisten, die sich der CDU-Nachwuchs zu eigen macht.

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Kleine Fußnote am Rande: CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn, einer der Wortführer der jungen Wilden, saß schon im Aufsichtsrat privater Versicherungen wie der Signal Iduna. Aktuell ist er im Verwaltungsrat der Sparkasse Westmünsterland in Ahaus/Dülmen tätig. Vielleicht kann er deshalb auch erklären, ob ein Kapitalstock nicht besser bei der gesetzlichen Rentenversicherung angesiedelt wäre, hätte diese doch nach Ansicht des früheren Bundesarbeitsministers Norbert Blüm (CDU) deutlich niedrigere Verwaltungskosten. Diese Lösung wäre für die Versicherungswirtschaft der Gau: Bei Einführung eines gesetzlichen Kapitalstocks würden zukünftig wohl weniger Menschen eine Riester-Police abschließen. Wer dann für die Abschaffung der Riester-Förderung plädiert, wird in den Medien vielleicht zum "Rebellen" ausgerufen.

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