“Was kostet ein Beamter?“ Mit dieser Frage macht heute groß das Handelsblatt auf und erhebt erneut den Skandal um gekaufte Adressen bei der Debeka zur Titelstory. Bereits die Überschrift zeigt: Längst geht es bei den Enthüllungen nicht mehr nur um den Versicherungsvertrieb des Traditionskonzerns. Auch die beteiligten Staatsdiener sehen sich mit dem Vorwurf der illegalen Hehlerei konfrontiert.

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Wie das Handelsblatt am Freitag enthüllt hatte, haben Debeka-Angestellte rund drei Jahrzehnte lang Adressen etwa von Lehrern und Polizisten erworben, um angehenden Staatsdienern Krankenversicherungen zu verkaufen. Anfangs hätten die Staatsdiener für eine Adresse 5 Mark erhalten, später seien bis zu 25 Euro pro Datensatz geflossen.

Auch die Vermittler konnten von der Dealerei profitieren. Die Erfolgsquote für einen Vertragsabschluss habe dank des direkten Kundenkontaktes bei 70 Prozent gelegen, berichten Debeka-Mitarbeiter. Handelte es sich um wenige Einzelfälle, wie der Konzern beteuert?

Eine Abendveranstaltung bei der Bereitschaftspolizei

Nach dem Artikel von Freitag hätten sich zahllose Mitarbeiter und Kunden der Debeka in der Redaktion gemeldet, schreibt das Handelsblatt. Was sie berichteten, läuft der offiziellen Verteidigungslinie des Konzerns zuwider. Denn der Versicherer will das Ausmaß der Dealerei herunterspielen. Zwar sei nicht zu leugnen, dass Vertriebsmitarbeiter Adressen von Beamtenanwärtern gekauft hätten, erklärte Unternehmenssprecher Gerd Benner. Doch dieses Fehlverhalten beziehe sich auf „einige Fälle in den 1980er und 1990er Jahren“. Der Konzern habe den Adresshandel „zu keinem Zeitpunkt gewünscht, gefordert oder angewiesen“.

Entgegen dieser Beteuerungen musste sich noch am 27. Juli 2010 das Amtsgericht Tübingen mit einem Fall von Adresshandel bei der Debeka befassen. Ein Organisationsleiter der Geschäftsstelle in Balingen hatte mit einem Mitarbeiter des Tübinger Regierungspräsidiums eine Vereinbarung getroffen, die beide als „Betreuungsvergütungserklärung“ bezeichneten. Zwischen 2005 und 2009 habe der Beamte unzählige Daten von Lehramtsanwärtern an den Debeka-Vertreter gespitzelt. Für beide war die Sache ein lohnendes Geschäft: Der Staatsdiener habe 16.000 Euro für seine Dienste erhalten und der Versicherungsvertreter strich 19.000 Euro Courtage für die Verträge ein. Beide Männer wurden zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.

Die Aussagen von Betroffenen lassen sogar vermuten, dass das System der Neukunden-Werbung mancherorts bis tief in die staatlichen Institutionen hineingreift. So berichtet ein ehemaliger Polizeibeamter aus Rheinland-Pfalz, wie Debeka-Vermittler in den 60er Jahren nach Polizeianwärtern fischten. “Es gab eine Einladung zu einer Abendveranstaltung in den Räumen der Bereitschaftspolizei. Ergebnis war, dass die Mehrzahl der angehenden, auf dem Gebiet der Krankenversicherung absolut ahnungslosen Beamten einen Vertrag bei der Debeka abschloss“, zitiert das Handelsblatt den Polizisten. Es gibt ähnliche Darstellungen aus anderen Einrichtungen. So berichtet beispielsweise eine junge Juristin, sie habe mit ihrem Examenszeugnis zugleich Unterlagen des Versicherers zugeschickt bekommen.

Dies rückt auch die beteiligten Beamten in den Fokus der Aufmerksamkeit. Schulämter, Finanzdirektionen, Polizeidienstellen und Gerichte müssen sich die Frage stellen lassen, ob ihre Mitarbeiter mit Adressen dealen und dafür Geld erhalten. Denn ohne die Bereitschaft der Staatsdiener, sensible Daten weiterzugeben, würde das ganze System nicht funktionieren.

Behörden und Debeka haben Überprüfungen eingeleitet

Sowohl für die betroffenen Vertreter als auch die Beamten könnte die Weitergabe der Adressen noch bittere Konsequenzen haben. Gleich mehrere Behörden, darunter die Staatsanwaltschaft Koblenz, haben sich nach Informationen des Handelsblattes bereits eingeschaltet.

Edgar Wagner, der Datenschutzbeauftragte von Rheinland-Pfalz, ermittelt seit dem Wochenende in zwei Richtungen: „Zum einen, dass sich öffentliche Bedienstete über Jahre hinweg für den Bruch des Personalgeheimnisses haben bezahlen lassen; zum anderen, dass Debeka-Mitarbeiter auf unterschiedlichen Ebenen Kontaktdaten erworben, weiterverkauft und zur Vertragsanbahnung eingesetzt haben“, sagte Wagner der Zeitung. Beides seien Straftaten, die von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden müssten.

Doch es wäre falsch, die Debeka bzw. deren Vermittler allein an den Pranger zu stellen. Konkurrenten der Debeka melden sich zu Wort, dass ein derartiger Handel mit Adressen in der Branche akzeptiert und verbreitet sei. Die Debeka will nun die Aufklärung unterstützen und hat in einer Pressemeldung interne und externe Prüfungen angekündigt, inwiefern es Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen gegeben hat.

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Für die externen Über­prüfungen hat die Debeka die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verständigt und darüber hinaus Kontakt mit der Staatsanwaltschaft Koblenz aufgenommen. Zusätzlich stehe sie seit Montagmorgen in Kontakt mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz Rheinland-Pfalz. Um die internen Prüfungen zu unterstützen, habe die Debeka zudem die unabhängige Wirt­schaftsprüfungsgesellschaft KPMG damit beauftragt, eine eingehende Prüfung der Prozessabläufe durchzuführen.

Handelsblatt

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