Mit einer Branchenstudie hat Oliver Wyman die Entwicklung des Versicherungssektors in Deutschland von 2005, also vor Ausbruch der Finanzkrise, bis 2011 auf Basis von quantitativen und qualitativen Brancheninformationen analysiert. Während sich einzelne Unternehmen sehr erfolgreich am Markt behaupten konnten, zeigen die Analysen eine Reihe von Problemfeldern der Branche allgemein auf:

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  • Neue Wachstumsfelder identifizieren. Kein Sektor kann auf Dauer ohne Wachstum prosperieren. Aber in der Sachversicherung in Deutschland sind seit 2005 die Prämieneinnahmen inflationsbereinigt um 9% geschrumpft, ebenso sind die Stückzahlen um ca. 3% zurückgegangen. 2012 entwickelte sich die Schaden- und Sachversicherung besser, es bleibt allerdings offen, ob dieses Wachstum bereits eine nachhaltige Trendwende bedeutet. In der Lebensversicherung wuchsen die Prämieneinnahmen seit 2005 inflationsbereinigt nur um 3%, getrieben von volatilen Einmalprämien mit oft kurzer Laufzeit. Dieses Wachstum ist angesichts der niedrigen Penetration relativ zum Bruttoinlandsprodukt gering, insbesondere angesichts des Potenzials von betrieblicher Altersvorsorge und Risikoschutz.

  • Kosteneinsparungen in Stückkostenverbesserungen übersetzen. Versicherer haben mit entschiedenen Effizienzprogrammen auf die Stagnation reagiert. Seit 2003 fielen ca. 29.000 Stellen im Sektor weg, ca. 12% der Mitarbeiter. Die Verwaltungskostenquoten sind seit 2005 in der Lebensversicherung deutlich um 24% gesunken. In der Sachversicherung ist die Quote stabil geblieben. Jedoch bedeutet dies in vielen Sparten immer noch steigende Stückkosten. Von allen Unternehmen konnten seit 2005 67% der Lebensversicherer und immerhin 44% der Sachversicherer die Verwaltungskostenquote verbessern – dies gelang jedoch zu allererst jenen Unternehmen, die in stagnierendem Marktumfeld dennoch weiterhin Wachstum erzielten.

  • Vertriebskosten senken. Problematisch ist, dass zwar die Verwaltungskosten verbessert wurden, die Provisionen aber weiter gestiegen sind: seit 2005 in der Sachversicherung um ca. 10%, in der Lebensversicherung um ca. 13%. Insgesamt macht der Anteil der Provisionen in der Sachversicherung knapp 50%, in der Lebensversicherung knapp 60% der gesamten Betriebskosten aus. Bedingt durch die Niedrigzinsentwicklung gibt es vor allem in der Lebensversicherung weniger Volumen, um das hohe Provisionsniveau zu finanzieren. Dieser Trend gefährdet die Attraktivität der Produkte für Kunden. Die aktuellsten Entwicklungen zeigen, dass die Versicherer diese Schwierigkeit erkannt haben, denn im Bereich Leben bahnt sich eine Kehrtwende an. Die Versicherer diskutieren eine gesetzliche Höchstgrenze für Provisionszahlungen, um die Vertriebskosten zu senken und gleichzeitig ein Totalverbot von Vermittlerprovisionen wie in anderen Ländern zu umgehen.

  • Steigerung der Schadenstückkosten zurückdrehen. Die gesamten Schadenkosten sind seit 2005 in etwa mit der Inflation gewachsen. Weil aber die Zahl der Schäden um 5% gesunken ist, bedeutet dies einen überproportionalen Anstieg der Kosten pro Schaden, insbesondere bei Personenschäden. Innovationen über die laufende Optimierung des Schadenmanagements sind anzustoßen, die die gesamte Wertschöpfungskette eines Schadens sowie neue Datenlösungen einbeziehen.

  • Trendwende aus 2012 festigen – Combined Ratio in der Schaden- und Sachversicherung weiter senken. Die wichtige Kennzahl der Combined Ratio hat sich von 90,4 in 2005 auf 97,5 in 2012 um ca. 7 Prozentpunkte verschlechtert. Ursache ist die Kombination aus real schrumpfendem Gesamtmarkt und steigenden Provisionen, die die Einsparungen in der Verwaltung aufwiegen, sowie zumindest mit der Inflation ansteigenden Schadenkosten. Wenn die Umkehr dieses Trends, die in 2012 begann, nicht nachhaltig weiter getrieben wird, besteht das Risiko einer wieder weiter steigenden Combined Ratio.

  • Attraktivität der Lebensversicherung erhöhen. Lebensversicherungsprodukte sind in ihrer derzeitigen Ausgestaltung häufig zweifach unerfreulich: für den Kunden mangels attraktiver Renditechancen und für den Versicherer aufgrund der hohen Kapitalbelastung. Diese Kombination verspricht weitere Probleme in der Lebensversicherung, in einem Umfeld, das private Vorsorge immer wichtiger werden und deswegen attraktive Marktchancen erwarten lässt. Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden, um der Lebensversicherung neue Absatzchancen zu sichern. Dies braucht gesellschaftliche und gesetzliche Veränderungen ebenso wie grundsätzliche unternehmensinterne Weichenstellungen hin zu Einfachheit, Transparenz und neuen Garantielösungen (die aber weiterhin echte Garantien vom Versicherer an den Kunden sein können).

  • Kapitalanlageergebnisse stabilisieren. Die Kapitalanlageergebnisse sinken im aktuellen Zinsumfeld und bei der dominierenden Veranlagung in risikoarmen, festverzinslichen Wertpapieren unvermeidlich. Damit fehlt ein wichtiger Ergebnisbeitrag und eine Kompensation der hohen Combined Ratio durch die Kapitalanlage ist nicht mehr möglich. In der Lebensversicherung bestehen zudem die Herausforderungen aus dem de facto nicht mehr bestehenden Renditeabstand zwischen langfristiger Rendite auf Staatsanleihen und Garantieverzinsung. Dies wird insbesondere Versicherer mit geringen Puffern bei Fortschreibung des aktuellen Umfelds in Bedrängnis bringen. Bei vielen Marktteilnehmern besteht Potenzial zur Verbesserung der Asset Liability Management- und Kapitalanlageprozesse, um die Risiko-Rendite-Profile zu verbessern. In der Asset-Allokation kann eine Stärkung illiquider Asset-Klassen bis hin zu einer Stärkung der Aktienquote unter Dividendengesichtspunkten die Kapitalanlageergebnisse stabilisieren.

  • Attraktivität am Arbeitsmarkt erhöhen und neue Talente gewinnen. 2011 waren ca. 25% aller Innendienstmitarbeiter älter als 50 Jahre, im Außendienst lag der Anteil sogar bei 27%. Diese Anteile sind deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften läuft jedoch Gefahr, nicht gedeckt werden zu können, denn am Arbeitsmarkt sind Versicherungen nicht sehr attraktiv. Zum Beispiel findet sich unter den 100 beliebtesten Arbeitgebern für Wirtschaftswissenschaftler erst auf Rang 33 eine Versicherung.

Fünf zentrale Handlungsfelder

Für den Sektor insgesamt identifiziert die Studie fünf zentrale Handlungsfelder, um die diese mögliche Negativspirale zu durchbrechen und die Chancen im deutschen Versicherungsmarkt auszuschöpfen:

  1. Nachfrage nach Risikoabsicherung gezielt dort bedienen, wo sie emotional entsteht und somit Wachstumsimpulse auslösen;
  2. Neue Vertriebsformen und Vergütungsmodelle einführen, um Vertriebskosten in den Griff zu bekommen, Compliance-Anforderungen zu gewährleisten und Wachstumsvoraussetzungen zu schaffen;
  3. Die Wertschöpfungskette grundsätzlich hinterfragen, um in alternative Kostenstrukturen zu gelangen;
  4. Am Kapitalmarkt Alternativen zu niedrig verzinsten Staatsanleihen suchen, wie z.B. die verstärkte Investition in Sachwerte oder Anlagen, die mit Sachwerten besichert sind, um bei vertretbarem Risiko die Rendite zu steigern;
  5. Forciert um Talente werben und ältere Mitarbeiter aktiv halten, um der Demographie-Falle zu entkommen.

Die Studie fasst die Daten von 2005 bis Ende 2011 zusammen. In der Zwischenzeit hat in der Sachversicherung eine Trendwende in den quantitativen Ergebnissen der deutschen Versicherungswirtschaft stattgefunden. Auch im Bereich Leben kommt durch die Diskussion um eine Provisionsdeckelung Bewegung in das Thema der Vertriebskosten und erhöht den Handlungsdruck auf die Versicherer.

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„Entscheidend ist jetzt für viele Versicherer, nicht weiter abzuwarten und in Klein-Klein zu arbeiten, sondern offensiv die Herausforderungen anzupacken“, fasst Bernhard Kotanko, Partner und Leiter der Insurance Practice in Europa, die Ergebnisse zusammen.

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