Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel binnen fünf Jahren um 22 bzw. 30 Prozent gestiegen. Allein die Hilfsmittelausgaben legten im letzten Jahr um 4,7 Prozent auf insgesamt 6,3 Milliarden Euro zu. Die Aufwendungen für Heilmittel kletterten sogar um 6,6 Prozent auf 4,9 Milliarden Euro. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der BARMER GEK, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker stellt fest: "Wir haben es mit einem Wachstumsmarkt erster Güte zu tun. Allerdings sollten Transparenz und medizinische Evidenz mitwachsen. Denn trotz einer insgesamt guten Versorgungslage gerät der Einsatz von Heil- und Hilfsmitteln noch oft zum wohlgemeinten therapeutischen Streuschuss."

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Mehr Patientensicherheit bei Medizinprodukten angemahnt

Als Reaktion auf den PIP-Skandal und schadhafte Endoprothesen fordert Schlenker eine umfassende Reform des Zulassungsrechts für Hilfsmittel und Medizinprodukte. In den letzten Jahren sorgten mehrfach minderwertige Produkte für Empörung: Bis zu 10.000 deutsche Frauen hatten defekte Brustimplantate erhalten, die eine Bedrohung für die Gesundheit darstellen. Auch waren tausenden Patienten Hüftimplantate der Firma DePuy eingesetzt worden, bei denen Metallpartikel in die Blutbahn gelangen und zu Vergiftungen führen können. Die Behörden hatten die fehlerhaften Medizinprodukte nicht bemerkt.

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Nach dem Vorbild des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes AMNOG sollte nach Ansicht der Barmer GEK deshalb auch bei Hilfsmitteln und Medizinprodukten eine patientenorientierte Nutzenbewertung vor der Marktzulassung erfolgen: "Nicht nur um Produktsicherheit, sondern um Patientennutzen muss es gehen. Wir brauchen ein modernes Medizinprodukterecht – niedergeschrieben in einem Gesetz zur Neuordnung des Medizinproduktemarktes, kurz MEMNOG!", argumentiert Schenker. Für risikoreiche Medizinprodukte bedürfe es eines strengen behördlichen Zulassungs- und Überwachungsverfahrens sowie obligatorischer klinischer Prüfungen.

ADHS bei Kindern und Jugendlichen: Mehr Ergotherapie statt Pillen

2010 stellten Ärzte bei elf Prozent aller BARMER GEK Versicherten zwischen sieben und 17 Jahren eine psychische Erkrankung fest. Aber nur jeder siebte der betroffenen Kinder und Jugendlichen erhielt eine Ergotherapie-Verordnung (14 Prozent). Über die Hälfte der Psycho-Diagnosen entfielen dabei auf die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ADHS. Auch hier kamen Ergotherapien nur bei 20 Prozent der Kinder zum Einsatz. Dies ist schon deshalb bedenklich, weil die Diagnose ADHS oft zu unrecht gestellt wird: Forscher der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Basel haben in einer Studie festgestellt, dass Jugendpsychiater zu schnell und zu häufig ADHS diagnostizieren.

Reportautor Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen erklärt: "Für die Arzneimitteltherapie gegen psychische Erkrankungen von Kindern gibt es Leitlinien und Studienergebnisse, die ärztliche Entscheidungen unterstützen. Beim Einsatz von Ergotherapie herrscht dagegen medizinische Unsicherheit, noch immer fehlen evidenzbasierte Entscheidungshilfen. Gerade die Behandlung von ADHS braucht neben Ritalin & Co ergänzende oder alternative Therapieoptionen."

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Massagen allein helfen kaum

Klassische Massagen gehören zu den umsatzstärksten Heilmitteln. Für rund 280.000 BARMER GEK Versicherte wurden letztes Jahr rund 400.000 Verordnungen ausgestellt. Dabei ist die Bedarfsgerechtigkeit oftmals fraglich. Rund 85 Prozent der Ausgaben für klassische Massagen entfallen auf Wirbelsäulenerkrankungen, davon rund die Hälfte für Beschwerden mit akutem Behandlungsbedarf (Blockaden, Haltungsstörungen, Arthrosen). Die andere Hälfte geht auf das Konto von chronischen Beschwerden (Bandscheibenvorfall, Rheuma etc.). Das ist laut Glaeske problematisch, denn die klassischen Massagen ("hands-on") reichen als alleinige Therapie bei chronischen Beschwerden nicht aus. Sie wirken nur in Kombination mit manualtherapeutischen oder aktivierenden Ansätzen.

Lückenhafte Versorgung von Pflegeheimbewohnern

Eine Unterversorgung mit Heilmitteln dürfte bei Patienten in Pflegeheimen bestehen. So erhalten 36 Prozent Physiotherapie und nur fünf Prozent Ergotherapie, die stärker auf eine körperliche Aktivierung des Patienten zielt. Alarmierend ist, dass die Behandlungen mit zunehmendem Alter abnehmen: von 40 Prozent bei den 65- bis 74-Jährigen auf 31 Prozent bei den über 85-Jährigen (Physiotherapie) und von 11 auf 2,5 Prozent in denselben Altersgruppen für Ergotherapie.

Dabei erscheint körperliche Aktivierung insbesondere bei Demenzpatienten sinnvoll. Dennoch ist der Verordnungsanteil von Physiotherapie und Ergotherapie bei Demenzkranken über den Beobachtungszeitraum von zwei Jahren konstant niedrig geblieben – sowohl im ambulanten (Physiotherapie: 25 bis 27 Prozent; Ergotherapie: 5 Prozent) als auch im klinischen Bereich (Physiotherapie: 21 bis 23 Prozent; Ergotherapie: 3 Prozent).

Medizinische Massenprodukte falsch eingesetzt

Zu den Hilfsmitteln mit den höchsten Versorgungsanteilen gehören Bandagen und Orthesen. Für über 500.000 BARMER GEK Versicherte wurden letztes Jahr entsprechende Verordnungen im Gesamtwert von 77 Millionen Euro ausgestellt. 4,7 Prozent aller Frauen erhielten Bandagen, ebenso wie 3,5 Prozent aller Männer. Bei Orthesen, wie zum Beispiel Stützschienen, liegt der Versorgungsanteil bei 1,4 Prozent aller Frauen und 1,8 Prozent der Männer.

Auch auf diesem Gebiet kommt es immer wieder zur Fehlversorgung: So liegen die größten Ausgabenanteile bei Produkten für Knie und Rücken, obwohl sie in den bestehenden Leitlinien praktisch keine Rolle spielen. Zudem zeigen sich viele Beispiele für schlechte Anpassung und mangelnde Beratung. "Das beeinträchtigt wiederum die Therapiemitarbeit der Patienten", so Glaeske.

"Tennisellenbogen" schlecht behandelt

Bei 240.000 Versicherten der BARMER GEK wurde 2010 Epicondylitis, eine schmerzhafte Erkrankung des Sehnenansatzes des Ellenbogens, diagnostiziert. Die Analysen zeigen, dass Betroffene vor allem mit Arzneimitteln (rd. 50 Prozent) behandelt werden. Bei 19 Prozent werden Arzneimittel mit Physiotherapie kombiniert, etwa ein Drittel bekommt gar keine Heil- und Hilfsmittel. Nicht-Behandlung und der Mangel an medizinischer Evidenz zeigen hier erhebliches Verbesserungspotential.

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Der Heil-und Hilfsmittelreport 2012 steht auf der Webseite der Barmer GEK zum Download bereit.

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