Parametrische Versicherungen: Zukunftsmodell für Cyber- und Supply-Chain-Risiken
Parametrische Versicherungen gewinnen rasant an Bedeutung. Das gilt nicht nur bei Naturkatastrophen, sondern zunehmend auch bei Cyber- und Lieferkettenrisiken. In einer Zeit wachsender digitaler Abhängigkeiten könnten sie zu einem zentralen Baustein moderner Risikosteuerung werden, erklären Amir Amini und Claudia Iordan von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Forvis Mazars.

In einer Welt, die zunehmend von Klimawandel, Naturkatastrophen und disruptiven wirtschaftlichen Risiken geprägt ist, gewinnen innovative Versicherungsmodelle an Bedeutung. Eine dieser Innovationen ist die parametrische Versicherung (englisch: Parametric Insurance). Sie stellt einen modernen Ansatz dar, der traditionelle Deckungskonzepte erweitert und besonders dort Anwendung findet, wo schnelle Liquidität und objektive Messbarkeit essenziell sind – etwa in Landwirtschaft, Energie, Katastrophenschutz und zunehmend auch bei digitalen und betrieblichen Risiken.
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Parametrische Versicherungen unterscheiden sich grundlegend von klassischen Modellen. Während bei herkömmlichen Policen die Auszahlung erst erfolgt, nachdem ein tatsächlicher Schaden geprüft und bewertet wurde, basiert die parametrische Versicherung auf vordefinierten, messbaren Parametern.
Das Prinzip ist einfach: Eine Auszahlung wird nicht durch den Nachweis eines Schadens, sondern durch das Eintreten eines bestimmten Ereignisses ausgelöst. Beispielsweise kann eine Police festlegen, dass eine Entschädigung ausgezahlt wird, wenn die Windgeschwindigkeit eines Sturms 120 km/h übersteigt.
Der Versicherungsvertrag definiert im Voraus:
- Parameter (z. B. Niederschlagsmenge)
- Schwellenwert, ab dem die Zahlung ausgelöst wird
- Datenquelle, die das Ereignis objektiv misst (z. B. Wetterstationen, Satellitendaten)
Sobald das festgelegte Ereignis eintritt und die Datenquelle dies bestätigt, erfolgt automatisch eine Auszahlung an den Versicherten – ohne aufwändige Schadensbegutachtung oder bürokratische Verzögerungen.
Vorteile und Herausforderungen
Die Vorteile liegen auf der Hand: Schnelle, transparente Prozesse und geringere Verwaltungskosten. Dennoch gibt es Grenzen. Ein zentrales Problem ist das sogenannte Basisrisiko: Der definierte Parameter spiegelt den tatsächlichen Schaden nicht immer exakt wider. Zum Beispiel kann ein Landwirt schwere Ernteverluste erleiden, obwohl der Regen nur knapp über der festgelegten Grenze lag – in diesem Fall würde keine Auszahlung erfolgen. Zudem erfordert das Modell eine verlässliche Datenbasis und präzise Messsysteme, um fair und wirksam zu funktionieren.
Parametrische Versicherungen stehen für einen Paradigmenwechsel in der Versicherungsbranche. Durch den Fokus auf objektive, messbare Ereignisse bietet sie schnellere, transparentere und effizientere Lösungen für Risiken, die bisher schwer versicherbar waren. In Zeiten zunehmender Naturgefahren und globaler Unsicherheiten stellt die parametrische Versicherung ein Instrument dar – nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu traditionellen Versicherungsmodellen.
Warum Cyber- und Supply-Chain-Risiken besonders geeignet sind
Cyberangriffe und Lieferkettenunterbrechungen weisen spezifische Eigenschaften auf, die parametrische Lösungen prädestinieren:
- Ein plötzlicher, messbarer Ausfall – z. B. Produktionsstopp, IT-Systemausfall, Lieferverzug.
- Weitreichende Auswirkungen über mehrere Ebenen einer Wertschöpfungskette hinweg.
- Anspruch auf Liquidität und schnelle Reaktion, weil etwa Zulieferer oder Dienstleister finanziell unter Druck geraten.
- Schwierigkeit, exakte Schadenhöhe unmittelbar zu ermitteln und rechtssicher zu dokumentieren.
Parametrische Versicherungen setzen genau hier an: Sie lösen Zahlungen anhand objektiver Trigger aus – z. B. Ausfallzeiten kritischer Systeme oder definierte Produktionsunterbrechungen – und überbrücken damit die oft lange Dauer klassischer Schadenregulierung. So schließen sie Versicherungslücken und stabilisieren Wertschöpfungsketten.
Beispiel: Der Cyberangriff bei Jaguar Land Rover – Potenzial einer parametrischen Absicherung
Im August/September 2025 wurde der Automobilhersteller Jaguar Land Rover (JLR) Opfer eines massiven Cyberangriffs, der die IT-Systeme in mehreren Werken lahmlegte. Die Folgen waren gravierend: Produktion und Lieferketten kamen zum Stillstand, die Fertigung blieb bis mindestens 1. Oktober ausgesetzt.
Die Auswirkungen reichten weit über das Unternehmen hinaus: Tausende Beschäftigte konnten nicht weiterarbeiten, Zulieferer konnten nicht beliefert werden, Lieferketten stockten. Ein Teil des Problems war, dass Zahlungen an Zulieferer nicht mehr wie gewohnt verarbeitet wurden – das Finanz-/Invoicing-System war betroffen.
Eine parametrische Cyber-/Supply-Chain-Police hätte in diesem Fall wirksam unterstützen können:
- Definition eines Trigger-Events: Beispielsweise hätte eine Police für JLR/zuliefernde Unternehmen festgelegt werden können: „Bei einem Produktionsstopp an > X Tagen oder einem IT-Systemausfall im globalen Teile-Logistikzentrum > Y Stunden wird eine Auszahlung ausgelöst.“
- Schneller Auszahlungseffekt: Statt wochenlang auf Schadenprüfung und Kostenanalyse zu warten, hätte eine parametrische Absicherung dafür gesorgt, dass unmittelbar Mittel bereitgestellt worden wären – z. B. für alternative Lieferquellen oder Überbrückung von Zahlungsverzögerungen.
- Stabilisierung der Lieferkette: Zulieferer, die durch Ausfall des Hauptkunden JLR in Cash-Flow-Probleme geraten wären, hätten durch eine solche Absicherung schnelle Liquidität erhalten – damit reduziert sich der Domino-Effekt in der Supply Chain.
- Flexibilität und Klarheit: Die parametrische Lösung hätte den Vorteil gehabt, dass der Auszahlungsprozess nicht durch langwierige Schadensfeststellungen behindert wird – gerade bei großflächigen Cyber- oder IT-Unterbrechungen ist das ein entscheidender Vorteil.
Wesentliche Herausforderungen
- Auslösekriterien (Trigger) müssen sorgfältig definiert werden: Bei Cyber- ist es schwieriger als etwa bei Wetter- oder Erdbebenparametern, weil Cyberangriffe vielfältiger und heterogener sind.
- Datenqualität und Messbarkeit: Es braucht verlässliche, objektive Datenquellen (z. B. Dauer eines Systemausfalls).
- Rest-Risiken und Basisrisiko: Auch hier besteht das Risiko, dass der Trigger erfüllt ist, aber der tatsächliche Schaden höher (oder niedriger) ist – oder dass der Schaden eintritt, aber der Trigger nicht exakt greift.
- Integration in bestehende Policen: Parametrische Produkte ersetzen nicht zwingend die klassischen Policen, sondern ergänzen diese als schneller Liquiditätsmechanismus.
Parametrische Policen im Cyberbereich sind relativ neu, aber sie nutzen objektiv messbare technische oder betriebliche Kennzahlen als Trigger. Beispiel: Eine E-Commerce-Plattform schließt eine Police ab, die automatisch eine Zahlung auslöst, wenn ihre Website länger als 6 Stunden offline ist oder mehr als 80 % der Zahlungs-APIs ausfallen.
Fazit und Ausblick
Im Umfeld von zunehmender Digitalisierung, hoch vernetzten Lieferketten und wachsender Cyberbedrohung wird die Rolle von parametrischen Versicherungslösungen weiter an Bedeutung gewinnen. Sie ermöglichen schnelle, objektive und planbare Liquidität in Stresssituationen und stärken damit die operative Resilienz von Unternehmen. Für Organisationen, die kritische Systeme und Lieferketten digital vernetzt haben, sollten parametrische Policen ein strategischer Baustein moderner Risikosteuerung werden – als Ergänzung, nicht als Ersatz, traditioneller Absicherungsmodelle.


