Kleinanlegerstrategie: Provisionsverbot kommt nicht
Die Europäische Union hat sich auf eine neue Kleinanlegerstrategie geeinigt. Dabei wird auf das von Verbraucherschützern geforderte Provisionsverbot verzichtet. Dafür sollen deutliche Verschärfungen für Vermittler kommen. Kosten, Beratung und Produktinformationen werden stärker reguliert.

Die EU hat sich in einer langen und politisch heiklen Trilog-Verhandlung auf eine gemeinsame Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy, RIS) verständigt. Ziel: Privatanleger sollen besser geschützt, Kapitalmarktinvestitionen erleichtert und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Finanzmärkte gestärkt werden. Ein generelles Provisionsverbot, dass von Verbraucherschützern vehement gefordert wurde, kommt derweil nicht. Doch die Kompromisslösung hat es in sich. Denn Vermittler müssen ab Mitte 2028 mit verschärften Transparenz- und Rechtfertigungspflichten rechnen.
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Mehr Transparenz für Verbraucher, mehr Regulierung für Vermittler
Die EU will erreichen, dass private Anleger leichter verständliche Informationen erhalten und Kosten sowie Nutzen eines Produkts besser vergleichen können. Dafür werden Anbieter verpflichtet, sämtliche Kosten vollständig offen zu legen und nach europaweit einheitlichen Standards zu bewerten, ob Preis und Leistung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Produkte, deren Kosten als unverhältnismäßig gelten, sollen künftig nicht mehr vertrieben werden dürfen.
Auch die Key Information Documents (KIDs) werden überarbeitet: stärker standardisiert, klarer formuliert und langfristig maschinenlesbar, um digitale Vergleiche zu erleichtern. Damit soll das häufig bemängelte Informationschaos im Markt eingedämmt werden.
Provisionsverbot verhindert
Während die EU-Kommission ursprünglich ein Provisionsverbot bei bestimmten Vertriebssituationen ohne Beratung vorgesehen hatte, wurde dieses Vorhaben sowohl im Rat als auch im Parlament gestoppt. Die Finanzbranche hatte vor Wettbewerbsverzerrungen und einem Rückzug kleinerer Vertriebsformen gewarnt.
Doch die Erleichterung hält sich in Grenzen. Denn die RIS bringt neue, weitreichende Anforderungen:
- Provisionsbestandteile müssen künftig einzeln ausgewiesen werden.
- Vermittler müssen nachweisen, welchen konkreten Kundennutzen eine Provision stiftet.
- Mitgliedstaaten können nationale Provisionsverbote weiterhin einführen.
„Wir begrüßen, dass es kein Provisionsverbot auf EU-Ebene geben wird“, erklärt AfW-Vorstand Frank Rottenbacher. „Der Einsatz des AfW und vieler anderer für eine Regulierung mit Augenmaß hat sich in Punkt zumindest gelohnt. Ob und wie nun die neuen Anforderungen in der Praxis umsetzbar und für Vermittlerinnen und Vermittler sachgerecht sind, können wir jedoch erst beurteilen, wenn uns der endgültige Richtlinientext vorliegt.“
Eine wichtige Neuerung: Bei nicht-komplexen, kostengünstigen und breit gestreuten Produkten entfällt künftig die Pflicht, Kenntnisse und Erfahrungen der Kunden abzufragen. Ziele und finanzielle Situation müssen aber weiterhin berücksichtigt werden. Damit soll laut EU-Gesetzgeber ein besserer Zugang zu einfachen Produkten ermöglicht werden, ohne den Anlegerschutz grundsätzlich zu schwächen. Für die tägliche Beratungspraxis bedeutet das spürbare Anpassungen.
„Diese neue Regelung zur Geeignetheitsprüfung wird Auswirkungen auf die tägliche Beratungspraxis haben – sowohl im Hinblick auf die Dokumentation als auch auf die Auswahl geeigneter Produkte“, erklärt Rottenbacher. „Positiv ist, dass der Gesetzgeber den Vermittlern in bestimmten Fällen mehr Flexibilität einräumt. Gleichzeitig muss genau beobachtet werden, ob dadurch auch regulatorische Unsicherheiten entstehen.“
BVK: Regulierung wird massiv verschärft
Auch der BVK bewertet den Kompromiss zweischneidig. Zwar sei die Regulierung von „Finfluencern“ ein Erfolg. Damit müssen Unternehmen künftig Social-Media-Kooperationen schriftlich fixieren und überwachen. Doch der Verband kritisiert die Vielzahl neuer Verpflichtungen, darunter:
• Geeignetheitsprüfung von Finanz- und Versicherungsanlagen für Kunden
• Angemessenheit von Preis-Leistung von Produkten („value for money“) und dazugehörige Entwicklung von Benchmarks sowie eine Vergleichbarkeit
• Strengere Regeln für Zuwendungen („inducement“) für Vermittler und an die Beratung
• Anpassung von Produktinformationsblättern („key information document“) für Versicherungsanlageprodukte
„Allein an dieser Aufzählung sieht man, dass unsere Beratungsarbeit nicht einfacher, sondern schwerer, komplizierter und regulierter wird“, betont BVK-Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang Eichele. „Ob das im Sinne des Verbraucherschutzes ist und dem Ziel der EU-Kleinanlegerstrategie entspricht, die breite Masse stärker an den Potenzialen der Finanzmärkte partizipieren zu lassen, bezweifeln wir sehr. Umso wichtiger ist unsere Präsenz durch ein eigenes BVK-Büro in Brüssel, um dynamisch vor Ort agieren zu können. Das werden wir in 2026 noch intensivieren.“
Finanzbildung, Social Media und Finfluencer im Fokus
Die RIS zielt erstmals ausdrücklich auf die Rolle sozialer Medien im Anlageverhalten. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, Finanzbildung zu stärken und faire Marketingregeln zu entwickeln. Außerdem sollen Finfluencer-Vertriebsaktivitäten regulatorisch eingehegt werden.
Die endgültigen Rechtstexte werden 2026 erwartet. Danach laufen:
- 24 Monate nationale Umsetzung,
- 30 Monate bis zur Anwendung (18 Monate für PRIIPs).
Die Trilogeinigung ist vorläufig und muss noch formell vom Europäischen Parlament und vom Rat gebilligt werden, bevor die neuen Regeln in Kraft treten.
