„Die KI-Transformation ist eine Führungsaufgabe, kein Tech-Projekt“
Künstliche Intelligenz (KI) stellt die Versicherungsbranche vor einen Paradigmenwechsel. Ob die Transformation gelingt, entscheidet sich auf der Führungsebene – insbesondere im mittleren Management, sagt Dr. Thorsten Voith von Voithenberg ist Head of Insurance bei Sopra Steria Next.
Herr Dr. Voith von Voithenberg, viele Versicherer nutzen Künstliche Intelligenz, doch häufig bleiben die Anwendungen im Projektstatus stecken. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe dafür?
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Dr. Thorsten Voith von Voithenberg: Ein wesentlicher Grund ist die Unsicherheit vieler Unternehmen angesichts wirtschaftlicher Volatilität und des Kostendrucks, ob und wie sie größere Investitionen in KI nachhaltig stemmen können. Hinzu kommt: KI erfordert nicht nur eine technologische Implementierung, sondern auch kulturelle Veränderungen. Diese Transformation aktiv zu gestalten, ist eine Führungsaufgabe, die derzeit noch unterschätzt wird.
Brauchen Entscheider ein neues Rollenverständnis? Welche Funktionen müssen sie im Kontext von KI übernehmen?
Führungskräfte müssen sich künftig viel stärker als bisher als Enabler, Übersetzer und Netzwerker verstehen. Als Enabler schaffen sie eine offene Lernkultur und normalisieren den Umgang mit Fehlern. Als Übersetzer transformieren sie die strategischen Ziele des Vorstandes in konkrete Maßnahmen und klären die Mitarbeitenden über den Nutzen von KI auf. Und als Netzwerker bringen sie Abteilungen zusammen, um Silos aufzubrechen und Synergien zu erschließen. Vor allem dem mittleren Management kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Es ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Veränderung.
Können Sie etwas genauer erklären, warum gerade das mittlere Management so wichtig für die Transformation ist?
Das mittlere Management ist das Bindeglied zwischen Vorstand und Belegschaft – genau hier entscheidet sich, ob die strategischen Vorgaben im Alltag wirklich greifen. Gerade bei KI-Initiativen kommt es auf diese Führungsebene an. Sie muss einerseits die Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Blick behalten und andererseits die unternehmensweite Skalierung vorantreiben. Das erfordert Kommunikationsstärke, die Bereitschaft zur Selbstreflexion und vor allem eines: echten Gestaltungswillen.
Haben Sie ein Beispiel für uns?
Nehmen wir ein KI-Tool, das den Beratungsprozess im Vertrieb unterstützt. Dessen Potenzial wird nur dann vollständig gehoben, wenn Führungskräfte frühzeitig überlegen: Wie kann die Lösung auch den Schadenprozess optimieren? Wie hilft sie beim Onboarding neuer Kollegen? Ohne dieses „Mitdenken in Wechselwirkungen“ scheitert die Skalierung bereits an der Abteilungsgrenze.
Gibt es weitere Kompetenzen, die Führungskräfte künftig noch stärker benötigen?
Von Grund auf entscheidend ist ganzheitliches Denken. KI darf nicht als technologisches Projekt verstanden werden, sondern muss als Hebel für neue Geschäftsmodelle und Unternehmenskulturen gesehen werden. Führungskräfte müssen bereichsübergreifend Synergien schaffen und den Nutzen von KI klar kommunizieren. Hierfür bieten sich beispielsweise Business Cases an, die zeigen, welche Kosten konkret durch KI eingespart oder welche Synergien gehoben wurden. Das unterstützt die Akzeptanz von Veränderungen, die Künstliche Intelligenz in Unternehmen anstößt, und stärkt den Blick auf die Chancen, die sie bietet, enorm. Führungskräfte sollten darüber hinaus Trainings priorisieren und den Ansatz des kontinuierlichen Lernens systematisch in die Organisation einbetten.
Es geht also auch darum, jede und jeden einzelnen Mitarbeitenden fit für KI zu machen?
Richtig. Strategic Workforce Planning ist essenziell. Unternehmen müssen frühzeitig analysieren, welche Kompetenzen künftig benötigt werden, welche Mitarbeitenden qualifiziert werden müssen – und wo neue Rollen entstehen. Nur so lässt sich der Fachkräftebedarf im KI-Zeitalter langfristig sichern. Führungskräfte, die hier vorausschauend handeln, machen ihr Unternehmen fit für die Zukunft, denn sie bestimmen ja maßgeblich die Personalpolitik des Unternehmens.
Sie fordern, dass KI-Transformation zur Führungsdisziplin wird. Was bedeutet das konkret im Unternehmensalltag?
Die Transformation kann man nicht nebenbei managen – wie ein Projekt, das man aus gutem Willen übernimmt und dann mit halbem Einsatz verwaltet. Ob ein Unternehmen wirklich KI-fit wird, entscheidet schon mittelfristig über seinen Erfolg. Dafür braucht es klare Verantwortlichkeiten, ein eigenes Budget, ausreichend Ressourcen – und vor allem Zeit und persönlichen Einsatz. Wer führt, muss diese Veränderung bewusst gestalten: technisch, organisatorisch und kulturell. Wer das ernst nimmt, positioniert sich auch selbst als aktiver Gestalter des Wandels.
Zum Abschluss: Was raten Sie Versicherern, die jetzt KI großflächig ausrollen möchten?
Setzen Sie auf technologisches Know-how, aber ebenso auf die richtige Führung. Eine erfolgreiche KI-Transformation nimmt die Menschen mit und etabliert eine innovationsfreundliche Kultur im Unternehmen. Das erfordert Geduld, Mut und die Bereitschaft, Führungsrollen neu zu denken. Wenn das gelingt, wird KI nicht zum Selbstzweck, sondern zu einem echten Wettbewerbsvorteil.
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