Hintergrund: Solvenz- bzw. SCR-Quoten sind aufsichtsrechtlich relevante Kennzahlen des Solvency II-Aufsichtsregimes: Sie entscheiden darüber, in welchem Maße die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den Geschäftsbetrieb der Versicherungen eingreifen darf. Für SCR-Quoten wird allerdings nicht das Verhältnis der Eigenmittel zu Verpflichtungen im „Normalbetrieb“ ermittelt. Stattdessen wird ein Extremereignis mathematisch simuliert, das einmal alle 200 Jahre auftritt. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis beträgt also 0,5 Prozent.

Anzeige

Jedoch: Mehrere Paragrafen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) erleichtern noch bis Ende 2031, auf höhere Solvenzquoten zu kommen (und damit die aufsichtsrechtliche Hürde zu überwinden):

  • So ermöglicht Paragraf 82 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) die Volatilitätsanpassung (VA): Anleihen dürfen höher bewertet werden, wenn sie nur vorübergehend an Wert verlieren – etwa, weil sie zu einem festen Wert später wieder verkauft werden. Die Volatilitätsanpassung (VA) wird zwar häufig verwendet, ist aber nicht so wirkungsvoll wie weitere Hilfsmaßnahmen. Sie hebelt die Netto- bzw. Basisquote des Marktes (324,06 Prozent) in 2023 um 33,11 Prozentpunkte nach oben.
  • Paragraf 351 VAG ermöglicht eine Maßnahme für risikofreie Zinssätze: Versicherungsunternehmen dürfen eine vorübergehende Anpassung der maßgeblichen risikofreien Zinskurve vornehmen (der Anteil, für den dies möglich ist, sinkt schrittweise: In 2016 startete er mit 100 Prozent und liegt in 2032 bei null Prozent). Diese Maßnahme spielt allerdings die geringste Rolle und wird kaum genutzt.
  • Und Paragraf 352 VAG ermöglicht Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen (Ü): Die BaFin kann Versicherern die Genehmigung erteilen, ihre Rückstellungen nicht sofort auf Grundlage von Solvency II zu bewerten, sondern erst nach und nach mit mehrjähriger Verzögerung. Dies ist die wirkungsvollste Maßnahme: sie hebt die Nettoquote plus VA (357,17 Prozent in 2023) um durchschnittlich 215,79 Prozentpunkte nach oben (auf eine aufsichtliche Bruttoquote von 572,96 Prozent).

Nettoquote, Nettoquote plus VA, Bruttoquote – welche Quoten unterschieden werden

Die SCR-, Basis- oder Nettoquote ist jene Quote, die ohne Übergangsmaßnahmen erreicht wird. Beträgt sie 100 Prozent, können Unternehmen aus Sicht der Aufsichtsbehörden das simulierte Krisen-Szenario genau ein Mal mit ihrem Eigenkapital stemmen. Die Bruttoquote hingegen ist jene Quote, in die sowohl Volatilitätsanpassung als auch Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen (und in seltenen Fällen die Maßnahme für risikofreie Zinssätze) eingeflossen sind.

Wichtig ist aber noch eine weitere Quote: Jene, die sich ergibt, wenn man Nettoquote und Volatilitätsanpassung summiert. Schafft es ein Unternehmen nämlich nicht, seine Nettoquote mit der Volatilitätsanpassung über 100 Prozent zu heben, muss es sich in "enge Manndeckung" der BaFin begeben. Das bedeutet: Das Unternehmen muss Maßnahmen vorstellen, wie es die Finanzstabilität garantieren will.

Versicherungsbote zeigt die größten Differenzen zwischen Netto- und Bruttoquote

Nettoquoten (ohne Hilfen) und Bruttoquoten (mit Hilfen) unterscheiden sich zum Teil stark. In der Spitze beträgt der Unterschied zwischen Nettoquote und Bruttoquote in 2023 insgesamt 782,13 Prozentpunkte. Versicherungsbote stellt vor, bei welchen Unternehmen beide Quoten am stärksten auseinander streben. Alle Zahlen sind einer Übersicht der Experten von Assekurata entnommen. Diese ist online verfügbar.

Wichtig ist: Für die Solvenzquoten spielen auch die Größe des Leben-Geschäfts sowie die Bestandszusammensetzung eine Rolle. So landen häufig Unternehmen bei den Basisquoten ganz vorn, die einen hohen Bestand an Risikolebensversicherungen haben – hier ist kein hohes Polster für Zinsgarantien nötig. Solche Unternehmen verzichten auch häufiger auf Übergangsmaßnahmen. Hingegen nutzen jene Unternehmen besonders die Übergangsmaßnahmen zur Verbesserung der Quote, die einen sehr "klassischen" Bestand haben.

Zur Veranschaulichung werden demnach auch noch ausgewählte Zahlen zu der Bestandszusammensetzung aus dem Branchenmonitor Lebensversicherung 2023 der V.E.R.S. Leipzig GmbH sowie aus dem MAP-Report 931 von Franke und Bornberg genannt. Wichtig hierbei ist: Die Solvenzquoten beziehen sich auf den aktuellen Stand für das Geschäftsjahr 2023, sind also die aktuellsten Zahlen der Lebensversicherer. Angaben zur Bestandszusammensetzung und zu Marktanteilen hingegen dienen nur der groben Einordnung und sind auf dem Stand von 2022.