Gemeinsam mit der Versicherungskammer Bayern und ihren Agenturen hat die Selli AG ein Pilotprojekt gestartet, um die KI-gestützte Vertriebssoftware „move“ zu testen. Können Sie das Projekt kurz vorstellen? Wie kommt das Programm konkret bei den Vermittlern zum Einsatz - und was kann es?

Anzeige

Jürgen Hatz: Nach einer vorangegangenen Pilotphase haben wir „move“ zu Beginn des vergangenen Jahres auf 50 Agenturen der Versicherungskammer Bayern ausgerollt. Das Programm ist eine KI-gestützte Assistenz, die den Vertriebsmitarbeitenden auf dem Computer und zukünftig auch in Form einer mobil nutzbaren App zur Verfügung steht. In einer persönlichen Nutzeroberfläche werden alle wichtigen Informationen über bestehende und mögliche neue Geschäftskund*innen zur Verfügung gestellt. Alles, was für die Vertriebsarbeit wichtig ist, wird hier gesammelt: allgemeine Daten zum Unternehmen, Firmenstruktur, die fachlichen Ansprechpersonen inklusive dienstlicher Kontaktdaten usw. Zusätzlich wird auf einen Blick ersichtlich, ob es Verbindungen zum bestehenden Kundennetzwerk gibt, über das man auf das Unternehmen zugehen könnte.

Auf welche Daten greift „move“ zurück und woher beziehen Sie diese? Oder ein wenig polemisch gefragt: Finden Vermittlerinnen und Vermittler diese nicht auch bei Google?

Das stimmt genau genommen sogar. Denn „move“ sammelt und kuratiert öffentlich zugängliche Daten aus verschiedenen Quellen. Diese werden zum Beispiel aus Unternehmenswebseiten, Pressetexten, Handelsregistereinträgen, Social-Media-Profilen und weiteren im Netz veröffentlichten Quellen zusammengetragen und den Mitarbeitenden übersichtlich zur Verfügung gestellt. Und genau hier liegt auch der Mehrwert: Denn die Informationsbeschaffung im Vertrieb ist sehr zeitintensiv. Diese Zeit können die Vermittler*innen nun für die Beratung und Interaktion mit den Kund*innen nutzen. Wir bemerken einen deutlichen Anstieg der Effizienz im gesamten Team, seit wir das Tool im Einsatz haben. Zudem motiviert es die Mitarbeitenden, sich stärker den individuellen Kundenanliegen zu widmen.

„move“ ist ein Tool auch zur Neukundengewinnung. Nun wissen wir, dass der Kaltakquise enge rechtliche Grenzen gesetzt sind. Was ist hier erlaubt - etwa mit Blick auf Kontaktaufnahme und Datensammeln? Und was sollte unterlassen werden?

Um DSGVO-konform zu sein – und das ist bei „move“ der Fall – müssen die Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen stammen. Ansonsten ändert sich an unseren bisherigen Vertriebstätigkeiten nichts und diese bewegen sich natürlich im Rahmen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).

…und wie erfolgt dann die Ansprache und Kontaktaufnahme zu potenziellen neuen Kunden mit Hilfe der KI? Können Sie dies an einem Beispiel veranschaulichen?

Anzeige

Die KI selbst ist nicht an der Kontaktaufnahme beteiligt. Man darf es sich nicht so vorstellen, dass eine Computerstimme bei den Kund*innen anruft und sie hinsichtlich Versicherungen berät. Schnittstelle zu Kund*innen ist und bleibt der Mensch. Es ist wichtig zu verstehen, dass sich durch den Einsatz des Tools nichts an unserer eigentlichen Tätigkeit ändert. Die KI übernimmt lediglich die Recherchearbeiten und aktualisiert die Informationen über das Unternehmen der Kund*innen kontinuierlich. An allen weiteren Abläufen hat sich nichts verändert. Die Mitarbeitenden kommen nur schneller an die Informationen, die sie für ihre Arbeit brauchen. Und so können sie effektiv und umfassend informiert auf interessante Kontakte zugehen.

Bestandskunden: "Informationen werden aktualisiert"

„move“ wird bisher für Geschäftskunden eingesetzt, um Informationen über kleine und mittlere Unternehmen zu erhalten. Ist eine Ausweitung auf Privatkunden denkbar oder sogar geplant? Was wären die Informationsquellen für private Daten?

Ziel des Vertriebsservice war immer eine Unterstützung für die Vertriebsmitarbeitenden im KMU-Geschäftsfeld. Eine Ausweitung ist zwar grundsätzlich denkbar, jedoch noch nicht konkret geplant.

Anzeige

Wie kann ein solches Programm bei Bestandskunden genutzt werden? Hier sollten die Vermittlerinnen und Vermittler doch bereits über eine Fülle von Daten verfügen. Was sind weitere Anwendungsbeispiele?

Daten und Informationen der KMU-Kund*innen im Bestand sind durch vertragsgebundene Informationen abgedeckt und werden in der Regel bei Bedarf aktualisiert. „move“ komplettiert ein regelmäßiges, zeitnahes und aktuelles Gesamtbild der Kund*innen mit externen Informationen und ergänzt diese, zum Beispiel um aktuelle Ereignisse und Veränderungen. Diese werden den Vertriebsmitarbeitenden proaktiv ausgewiesen und zur Verfügung gestellt.

Denkbar ist auch, dass KI bei der Meldung und Regulierung von Schäden unterstützt. Wird dies mit „move“ bereits praktiziert - und wie?

Bei der Versicherungskammer Bayern sind KI-gestützte Anwendungen z. B. im Bereich des Schadensmanagement bereits seit Längerem im Betrieb. Dies betrifft aber andere organisatorische Einheiten. Eine Verknüpfung und Harmonisierung der Systeme wird ggf. zukünftig ein Szenario sein.

Wo sehen Sie die Grenzen von künstlicher Intelligenz im Vertrieb? Wo vielleicht sogar Gefahren ihres Einsatzes?

Ich persönlich glaube nicht, dass KI jemals den persönlichen Kontakt zu den Kund*innen ersetzen kann. Technisch wird dies zwar möglich sein, allerdings zählt gerade im Versicherungsvertrieb Menschlichkeit, Vertrauen und Empathie. Und das wird KI nicht leisten können. Eine unmittelbare Gefahr explizit für den Vertrieb sehe ich nicht. Hier gelten die gleichen Grundsätze wie in allen anderen Bereichen, in denen mit KI gearbeitet wird: Das KI-basierte Programm muss schlussendlich von Menschen mit fachlicher Eignung überwacht werden. Eine Anwendung von KI darf nicht mit dem Verlust von Expertise einhergehen.

Die Fragen stellte Mirko Wenig

Seite 1/2/

Anzeige