Versicherungsbote: Es gibt auch weniger seriöse Influencer und Buchautoren zum Thema Finanzen, die schnellen Reichtum versprechen und eine Art Schneeballsystem betreiben. Woran erkennt man seriöse Influencer und Buchautoren? Haben Sie da Tipps?

Anzeige

Celine Nadolny: Das ist meiner Meinung nach eines der größten Probleme: Als Einsteiger wird man diese Menschen nicht entlarven können und gefundenes Fressen sein. Ich sehe jeden Tag unzählige Influencer, die auf die perfidesten Arten das Vertrauen ihrer Communitys erschleichen und ihnen den größten Müll verkaufen. Das wird sich meiner Meinung nach auch niemals ändern, solange das Niveau der finanziellen Bildung in Deutschland weiterhin derart ausbaufähig bleibt.

Wir müssen uns finanziell weiterbilden, erst dann werden wir die Expertise haben, Wissen von Halbwissen und Halbwissen von leeren Behauptungen zu unterscheiden.

Bei Sachbüchern achte ich stets auf Quellangaben. Wenn ein Buch keine enthält, dann ist das schon eine erste Alarmglocke. Darüber hinaus ist es bei Influencern schon ein gutes Indiz, ob sie ihr Gesicht zeigen und ein sauberes Impressum pflegen. Ist beides nicht gegeben, sollte man lieber Abstand halten. Und dann gibt es immer wieder prädestinierte Produkte, bei denen ich schon bei der ersten Anfrage erkenne, dass es sich um Abzocke handelt, sie kurze Zeit später aber wieder bei den einschlägigen Profilen beworben sehe.

Fakt ist: Bei den allerwenigsten Menschen können wir mit Gewissheit behaupten, dass sie über das nötige Know-how verfügen. Wir mögen es vielleicht erahnen, aber was heißt das schon. Nur, weil jemand in sein Profil schreibt, dass er 20 Jahre bereits an der Börse handelt oder Screenshots von unglaublich tollen Trades präsentiert, muss das gar nichts bedeuten.

Sie sind selbst Unternehmerin. In Deutschland werden immer noch 75 Prozent der Unternehmen von Männern gegründet. Was sind aus Ihrer Sicht Gründe für dieses Ungleichgewicht? Wo haben es Frauen vielleicht auch schwerer als Männer?

Frauen trauen sich leider im Schnitt einfach nicht so viel zu wie Männer. Das zeigen unzählige Studien. Wo Männer sich im Schnitt überschätzen, stapeln Frauen lieber zu tief. Zum Gründen gehört aber vor allem eines: Mut. Am Können liegt es sicherlich nicht, dass 75 Prozent der Unternehmen von Männern gegründet werden.

Wir Frauen werden leider immer noch zu sehr von gesellschaftlichen Normen geprägt und kleingehalten. Wir sollen immer brav, lieb und nett sein, ja nicht anecken und nicht aus der Reihe tanzen. Was bei Jungen mitunter gefördert und als typisch männlich bewertet wird, gilt bei Mädchen gleich als negativ.

Dazu kommt ein enormes Sicherheitsbedürfnis, das ich bei meinen Freundinnen immer wieder spüre. Ich komme Gott sei Dank aus einer Familie, wo ein Teil sich bereits vor Jahrzehnten selbständig gemacht hat, und musste deswegen bei den typischen Aussagen hinsichtlich des Risikos vom Unternehmertum immer nur mit dem Kopf schütteln.

Meiner Meinung nach überschätzen wir das Risiko einer Selbständigkeit maßlos und unterschätzen auf der anderen Seite das Risiko eines Angestelltenverhältnisses. Die Zeiten, in denen Menschen die Ausbildung im selben Betrieb gemacht haben werden, wo sie auch in Rente gehen, sind weitestgehend vorbei. Das liegt zum einen an der immer rasanteren Entwicklung der Arbeitswelt, aber auch an einem gestiegenen Bewusstsein, dass ein Job – so verrückt es vor 20 Jahren vielleicht noch geklungen haben mag – tatsächlich Spaß machen und einen wesentlichen Beitrag zu einem erfüllten Leben beitragen darf.

Ich kann nur alle Menschen dazu ermutigen, zumindest neben dem Job selbständig tätig zu werden und sich auszuprobieren. Wir müssen nicht gleich das nächste Apple gründen, aber ich bin davon überzeugt, dass jeder von uns etwas kann, weiß oder hat, wofür andere Menschen bereit wären, eine Gegenleistung zu erbringen. Und was könnte es Schöneres geben als aus der eigenen Leidenschaft vielleicht ein nettes Zusatzeinkommen zu generieren oder so wie ich sogar hauptberuflich seine Träume zu leben.

Die Finanzbranche ist noch eine Männerdomäne: Männer dominieren in den Vorständen, im Vertrieb etc. Zudem hat die Finanzbranche ein Nachwuchsproblem. Wie ist Ihre Wahrnehmung: Ist die Finanzbranche ein „Old Boys Club“, wie oft beklagt wird? Und wie kann sich das ändern?

In weiten Teilen muss ich dieses Bild der Finanzbranche als „Old Boys Club“ dann leider doch bestätigen. Aber es bessert sich zunehmend. Prinzipiell habe ich da auch erst einmal kein sonderlich großes Problem mit, dass mehr Männer in dieser Branche aktiv sind. Mir selbst haben damals die weiblichen Vorbilder gefehlt, aber ich habe mich dazu entschlossen gerade deswegen zu dem Vorbild zu werden, das ich mir immer gewünscht hätte.

Anzeige

Viele junge Frauen wird es aber sicherlich immer noch abschrecken, vor allem, wenn aus dieser Männerregie heraus ihnen dann auch immer wieder Steine vor die Füße geschmissen werden. Seien es sexistische Anfeindungen oder schlichtweg die Beobachtung, dass Frauen sich immer nochmal doppelt so sehr beweisen müssen. Man wird es nur Stück für Stück ändern können, indem man rigoros Vorurteile aus der Welt schafft, Diskriminierung offenlegt und Frauen eine Chance gibt.

"Der Großteil der Anleger handelt mittlerweile gewissenhaft"

…und denken Frauen in Sachen Finanzen und Geldanlage anders als Männer? Oder ist das ein Klischee?

Nein, das ist für mich kein Klischee, sondern tatsächlich etwas, das ich immer wieder beobachten kann. Männer sind deutlich risikofreudiger und überschätzen sich leider viel zu häufig maßlos. Unter ihnen sind immer noch überdurchschnittlich viele, die meinen den Heiligen Gral der Investmentstrategien gefunden zu haben und konstant den Markt schlagen zu können. Denn sie wissen bereits alles und am Ende sind sie eben durch und durch Macher. Das ist jetzt ein ziemlich überspitztes Bild einer kleinen, aber im Vergleich zu den Frauen doch signifikant auffälligen Gruppe.

Anzeige

Bei den Frauen beobachte ich immer wieder überzogene Vorsicht. Sie zögern, informieren sich lieber doppelt und dreifach, holen Rat ein, lesen noch ein weiteres Buch und kommen nur schwer ins Handeln. Wenn sie dann aber erst einmal dabei sind, schützt sie genau das auch davor, zu schnell aktiv zu werden und damit die Rendite zu verspielen.

Mir ist aber auch aufgefallen, dass Männer im Schnitt bei Einzelaktien meinen, dass sie die nächste Apple-Aktie gefunden haben und Frauen sich stattdessen in Aktien geradezu verlieben und sie gar nicht mehr hergeben möchten, egal wie irrational das zu sein scheint. Auch hier selbstverständlich komplett überspitzt dargestellt. Der Großteil der Anleger geht Gott sei Dank mittlerweile sehr gewissenhaft und rational an die Thematik heran.

In Deutschland wird oft die fehlende Gründermentalität beklagt. Würden Sie anderen jungen Frauen und Männern raten, sich selbstständig zu machen? Was sind die Vorteile - und was muss man können, um sich durchzusetzen?

Definitiv! Ich hatte es oben bereits angeschnitten, aber es ist so wichtig, dass ich mich gerne nochmal wiederhole: Die Selbständigkeit ist deutlich erstrebenswerter als ihr Ruf mitunter vermuten lässt.

Immer wieder kommen so Phrasen hoch wie „selbst und ständig“ oder eben das oben bereits angesprochene Risiko. Für mich überwiegen unterm Strich aber die Vorteile der Selbständigkeit. Und das ist nicht nur die Freiheit, sich kreativ austoben zu können und die Zeit frei einzuteilen, sondern die motivierende und das Selbstbewusstsein stärkende Tatsache, dass die eigene Leistung honoriert wird.

Seitdem ich hauptberuflich selbständig bin, arbeite ich zwar deutlich mehr, genieße aber auch ungeheure Freiheiten und die Arbeit ist nicht mehr dieselbe. Es ist etwas komplett anderes, acht Stunden im Angestelltenverhältnis zu arbeiten oder 14 Stunden in der Selbständigkeit, zumindest für mich.

Wir dürfen zwar nicht so naiv sein zu meinen, dass die Selbständigkeit für alle Menschen etwas ist, aber wir werden es niemals mit Gewissheit für uns beantworten können, wenn wir es nicht getestet haben.

Deswegen kann ich nur alle animieren, sich zumindest nebenberuflich mal auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln und zu ergründen, ob es was für einen wäre. Mittlerweile bin ich der Überzeugung, dass man aus so ziemlich allem eine Selbständigkeit kreieren könnte, wenn man nur kreativ genug ist und das nötige Durchhaltevermögen mitbringt.

…und was sind die Nachteile des Unternehmertums? Haben Sie vielleicht auch schon mal gedacht: „Jetzt ein Angestelltenverhältnis: das würde vieles erleichtern“?

Nein, zu keinem einzigen Zeitpunkt. Die Schönheit der Selbständigkeit liegt auch darin, dass ich selbst bestimmen kann, was ich mache und womit ich mein Geld verdiene. Wenn mir mein aktuelles Geschäftsmodell nicht mehr zusagt, kann ich es auch verändern, anpassen und so gestalten, dass es mir wieder Freude bereitet. Das war in meinem damaligen Job niemals möglich.

Angestellt zu sein, mag für viele Menschen vielleicht entspannter sein und wirken, aber ich möchte kein entspanntes Leben. Ich möchte ein spannendes und erfülltes Leben - und da führt für mich kein Weg an der Selbständigkeit vorbei.

Wenn wir über Finanzen berichten, zeigen sich die Expertinnen und Experten auf Fotos gerne in einfarbigen Anzügen oder Business-Kostümen. Ihr Auftreten hingegen ist farbenfroh, lebensbejahend und modisch. Muss die Branche weg von Ihrem „grauen“ Image? Beobachten Sie hier ein neues Selbstverständnis in der Außendarstellung, vielleicht auch generationsbedingt?

Ich würde nicht unbedingt behaupten, dass die Branche weg muss von ihrem „grauen“ Image, aber ich empfinde es als zutiefst befremdlich zu beobachten, wie viele Menschen sich dort Tag für Tag verkleiden müssen. Anders kann man es nicht mehr bezeichnen, denn es werden sicherlich nicht all diese Menschen gerne jeden Tag im Anzug durch die Gegend laufen, insbesondere, wenn die Temperaturen mal wieder sommerliche Tendenzen annehmen.

Witzigerweise hatte mal eine Frau unter ein Bild von mir bei Xing geschrieben: „Wenn ich damals so zur Arbeit gegangen wäre, hätte mein Chef mich entlassen.“ Ich musste in diesem Moment erst schmunzeln und dachte nur: Gott sei Dank bin ich meine eigene Chefin. In der nächsten Sekunde tat sie mir aber unglaublich leid. Ich hatte mal genau dazu einen Beitrag geschrieben mit dem Titel: „Kompetenz hat nichts mit Äußerlichkeiten zu tun.“ Genau da müssen wir meiner Meinung nach hinkommen.

Es sollte keine Rolle spielen, wie mein Gegenüber gekleidet ist, zumindest nicht in meiner Beurteilung über seine Kompetenz. Ich bin mir aber dennoch durchaus bewusst, dass ein gepflegtes Auftreten Pflicht sein sollte und eine gewisse Kleiderordnung immer noch bei unglaublich vielen Menschen Assoziationen auslöst, die sowohl geschäftsschädigend wie auch -fördernd sein können.

Deswegen ist mein Impuls hier einfach, etwas mehr Freiraum zu geben und nicht alles bis ins letzte Detail vorzuschreiben. Stattdessen gilt es mehr darauf zu achten, dass das Auftreten an sich nach außen ein stimmiges Bild ergibt und nicht aufgesetzt daherkommt. Meine Generation nimmt da sicherlich eine Vorreiterrolle ein. Mir ist es komplett egal, ob meine Geschäftspartner Hemd, Anzug und Krawatte tragen oder nicht. Hauptsache, sie liefern ab und sind authentisch.

Anzeige

Die Fragen stellte Mirko Wenig

Seite 1/2/

Anzeige