Den gesetzlichen Krankenkassen droht in den kommenden Jahren ein gewaltiges Defizit. Das ist Ergebnis einer Studie von der Boston Consulting Group (BCG), über die exklusiv das Handelsblatt berichtet. Laut den Beratern könnte sich der Fehlbetrag bei den Kassen schon im Jahr 2025 auf 33 Milliarden Euro summieren: ein doppelt so hohes Defizit wie im kommenden Jahr erwartet.

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Defizit trotz Reformen

Bei dem hohen Fehlbetrag wurden auch bereits die angedachten Sparmaßnahmen von Karl Lauterbach einberechnet, schreibt das „Handelsblatt“. Und diese haben den Fehler, dass sie die Kassen vor allem im kommenden Jahr entlasten, nicht aber darüber hinaus. Selbst das Defizit von 17 Milliarden Euro, mit dem das Bundesgesundheitsministerium 2023 rechnet, reiche nicht aus. Laut BCG-Analyse sei bereits im kommenden Jahr mit einem Fehlbetrag von 22 Milliarden Euro zu kalkulieren.

Konkret hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant, zum Jahreswechsel den Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenkasse um 0,3 Prozentpunkte anzuheben. Das soll bis zu 5 Milliarden Euro in das Kassensystem spülen. Weitere vier Milliarden Euro sollen daraus gewonnen werden, dass die Krankenkassen ihre Rücklagen auf 0,2 Monatsausgaben abschmelzen. Ein Bundeszuschuss von zwei Milliarden Euro soll zudem um ein Darlehen des Bundes von einer Milliarde Euro ergänzt werden. Unter anderem hatte das IGES-Institut in einem Gutachten bemängelt, dass diese Maßnahmen nur geeignet seien, das Finanzloch nur kurzfristig zu stopfen - und notwendige Strukturreformen ausbleiben.

Schwächelnde Wirtschaft würde Finanzlage der Kassen verschlimmern

Doch wie auch das IGES-Institut bemängelt nun die Unternehmensberatung BCG, dass die aktuellen Berechnungen eine mögliche schwächelnde Konjunktur nicht berücksichtigen. Das bedeutet wegbrechende Einnahmen, wenn die Beschäftigung sinkt und Menschen weniger verdienen. Hinzu treten steigende Kosten infolge der Inflation. Das verteuere zum Beispiel die Herstellung von Medikamenten oder die Versorgung in den Kliniken.

Ohne tiefgreifende Reformen müsste der Zusatzbeitrag in 2024 auf 2,8 Prozent steigen und 2025 gar auf 3,0 Prozent, rechnet BCG laut „Handelsblatt“ vor. Die Krankenkassen fordern selbst weitere Reformen. So soll der Mehrwertsteuer-Satz auf Arzneimittel auf sieben Prozent gesenkt werden. Auch soll der Bund Mehrkosten der Krankenkassen für ALG II-Empfänger tragen. Diese Kosten liegen laut Bundesgesundheitsministerium zweieinhalb mal höher als die Monatspauschale, die Krankenkassen vom Bund erhalten. Allein dieser Fehlbetrag für Hartz-IV-Bezieher summiere sich auf zehn Milliarden Euro.

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Die finanziellen Engpässe könnten einige Krankenkassen selbst in der Existenz bedrohen. Einzelnen gesetzlichen Anbietern drohe die Insolvenz, wenn die Bundesregierung ihr angekündigtes Finanzstabilisierungsgesetz in Kraft setzt, warnen aktuell die AOK Bayern und die DAK-Gesundheit. Die abgeschmolzenen Reserven seien zu gering, um unerwartete Belastungen abzufedern, kritisiert Irmgard Stippler, Vorstandschefin der AOK Bayern. „Wir fahren dann alle auf dem Reservetank, und es gibt darüber hinaus kein Vermögen, das Risiken ab­puffert“, so die Vorständin.

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