Bei jedem fünften Beschäftigten in Deutschland (20 Prozent) wurde schon einmal die Diagnose Depression gestellt. Weitere 19 Prozent vermuten, schon einmal an einer Depression erkrankt gewesen zu sein - jedoch ohne ärztliche Diagnose. Und knapp jeder Siebte (15 Prozent) hat bereits einen Suizid oder Suizidversuch bei einem Kollegen bzw. einer Kollegin erlebt. Das zeigt das 5. Deutschland-Barometer Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

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“Depression ist eine häufige und schwere Erkrankung. Statistisch gesehen gibt es in nahezu jedem Unternehmen depressiv erkrankte Mitarbeiter. Arbeitgeber können viel dazu beitragen, dass betroffene Beschäftigte rascher in eine professionelle Behandlung kommen. Dadurch können neben großem Leid auch Kosten vermieden werden“, berichtet Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Viele sprechen ihre Depression am Arbeitsplatz nicht an

Doch das Thema Depression ist am Arbeitsplatz für die meisten Betroffenen noch Tabu. Nur etwa ein Drittel geht offen im beruflichen Umfeld damit um - mit zumeist positiven Erfahrungen (70 Prozent). Jeder Vierte (26 Prozent) derjenigen, die das Thema ansprachen, hatten hingegen das Gefühl, dass durch den offenen Umgang nicht mehr die eigene Leistung im Vordergrund gestanden habe, sondern ihre Krankheit. Die Angst davor, aufgrund der Krankheit im Job stigmatisiert zu werden, lässt viele schweigen.


Das lässt auch die Frage nach professioneller Unterstützung am Arbeitsplatz laut werden. Nur knapp jeder Vierte (22 Prozent) berichtet von möglichen Anlaufstellen am Arbeitsplatz, wenn psychische Probleme plagen: etwa dem Betriebsarzt, die Betriebliche Sozialberatung oder dem Betriebsrat. Lediglich 30 Prozent derjenigen, die derartige Anlaufstellen haben, nahmen sie auch in Anspruch. Gute Erfahrungen mit der Hilfe vor Ort machten immerhin 74 Prozent der Unterstützungssuchenden.

„Menschen mit Depression sind im gesunden Zustand oft Leistungsträger in Unternehmen. Sie reagieren mit großer Dankbarkeit, wenn sie von Seiten des Unternehmens auf verständnisvolle und sachgerechte Reaktionen stoßen“, berichtet Hegerl. Das erfordere, dass Personalverantwortliche und Führungskräfte entsprechend geschult werden - und die Mitarbeiter informiert. Ein neuer Ansatz seien Peer-Beratungen, bei denen Mitarbeiter mit Depressionserfahrung andere Kollegen beraten: zum Beispiel vertraulich am Telefon oder persönlich außerhalb des Betriebes.


Große Mehrheit macht den Job für ihre Depression verantwortlich

Das Deutschland-Barometer zeigt auch, dass viele ihren Job direkt für die eigene Depression verantwortlich machen. Als wichtigste Ursachen nennen die Betroffenen Belastungen am Arbeitsplatz (95 Prozent), Konflikte im Job bzw. mit Kollegen (93 Prozent) und dauerhafte Erreichbarkeit (83 Prozent). Hingegen wissen nur 64 Prozent, dass Depressionen auch eine erbliche Komponente haben können - und 57 Prozent stimmen zu, dass während einer Depression viele Hirnprozesse verändert seien.


Hier warnt Hegerl davor, die Rolle der Arbeit für die Depression zu überschätzen - und andere Ursachen zu unterschätzen, etwa die genetische Veranlagung. „Während der Depression nehmen Betroffene alles wie durch eine dunkle Brille wahr und fühlen sich völlig erschöpft und durch die Arbeit überfordert. Häufig wird dann die Überforderung fälschlicherweise als Ursache und nicht als Folge der Depression angesehen“, sagt der Psychiater mit Schwerpunkt Neurobiologie.

Die vertauschten Kausalitäten führen auch dazu, dass bei einer Depression oft die unpassenden „Rezepte“ gewählt werden: mit entsprechenden Enttäuschungen. So glauben 68 Prozent, dass ein Urlaub aus der Krankheit heraushelfe. Weitere 63 Prozent vermuten, viel Schlaf helfe ihnen, die Depression zu überwinden.

„Das Gegenteil ist der Fall: Langer Schlaf verschlechtert bei den meisten die Depression. Schlafentzug ist dagegen ein etabliertes Behandlungsverfahren in Kliniken. Auch Urlaub lindert die Depression nicht, da die Erkrankung mitfährt. Die Behandlung der Depression erfolgt gemäß den nationalen Leitlinien mit Antidepressiva und/oder Psychotherapie“, so Hegerl.

Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Viele der Betroffenen erhalten wenig Unterstützung, um im Unternehmen wieder Fuß zu fassen. 61 Prozent der Befragten berichten, dass es in ihrem Unternehmen keine Erleichterungen bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz gab. Jeder Vierte (25 Prozent) nutzt eine stufenweise Wiedereingliederung, jeder Zehnte reduziert dauerhaft die Arbeitszeit.

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Hintergrundinformationen: Für das 5. Deutschland-Barometer Depression wurden 5.283 Personen zwischen 18 und 69 Jahren aus einem repräsentativen Online-Panel befragt. Die Umfrage fand im September 2021 statt.

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