Das Thema „Telematik“ war zu Beginn der 2010er Jahre in aller Munde. Viele Versicherer sind auf die neue Innovation in der KFZ-Absicherung angesprungen und haben interne Testläufe und aufwendige Marktstudien betrieben. Auch der GDV, der Gesamtverband der deutschen Versicherer, hatte eine Lösung am Start: Den bereits in 2016 als Nachrüstlösung entwickelten Unfallmeldedienst (UMD). Dessen technologisches Kernstück ist ein spezieller Stecker für den Zigarettenanzünder. Aber wie der Name schon erahnen lässt, konnte der Stecker nicht allzu viel. In dem Gerät erkennt die Sensorik lediglich eine Kollision und die Schwere des Unfalls. Die dazugehörige App auf dem Smartphone meldet den Unfall, mehr aber auch nicht.

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Stephen Voss, Vorstand und Gründer der Neodigital Versicherung AG mit Sitz in Neunkirchen im Saarland.Neodigital

Viel ist also nicht daraus geworden, betrachtet man auch die aktuelle Durchdringung im Markt mit gerade mal ungefähr 750.000 Verträgen. Damals, zu Beginn der Telematik-Ära, war die Technik noch nicht ausgereift genug, die Ausstattung der Kunden mit geeigneten leistungsfähigen Smartphones noch nicht gegeben und auch konnten die internen Systeme der Versicherer die Datenflut kaum sinnvoll bewältigen, oder es waren schlichtweg keine performanten Schnittstellen in den Host-Systemen der Versicherer vorhanden.

Technologie erhebt Daten, Daten müssen verarbeitet werden (können)

Jetzt sind wir aber in den 2020ern, die ersten Versicherer sind digital aufgestellt und im Grunde jeder, der ein Auto hat oder das komplette Mobilitätsangebot zu nutzen weiß, besitzt heute auch ein leistungsfähiges Smartphone, das viel mehr kann als alle Computer an Bord der Apollo-Missionen, die für die erste Mondlandung 1969 verwendet wurden. Und das ist auch nötig, denn die möglichen Telematikdaten, erfassen nicht nur den gefahrenen Kilometer oder einen Crash, sondern auch wer, wann, wo, wie und mit welcher Geschwindigkeit gefahren ist.

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Je nach Modell lassen sich auch valide Rückschlüsse ziehen, wie gut oder wie schlecht jemand sein Fahrzeug lenkt und ob es einen Beinahe Unfall gegeben hat. Dazu sind weitaus mehr Datenpunkte wichtig und mit einer Technologie zu erheben, die all das überträgt und dann in ein für den Versicherer verarbeitbares Format bringt. Also zum Beispiel in Form eines Fahrer Scores, dessen Wert eine Aussage darüber trifft, wie das Mobilitätsverhalten des Kunden konkret aussieht. Mit diesem Score kann dann ein Faktor errechnet werden, um den die Versicherungsprämie für diesen Fahrer/Kunden/Nutzer sinkt oder eben auch steigt.

Neue Art der Versicherung für neue Art der Mobilität

Auch gehen wir heute mit Mobilität anders um, das zeigt sich an dem neuen Kaufverhalten, oder sagen wir „Nichtkaufverhalten“ der jungen oder urbanen Kunden. Der Besitz eines Fahrzeuges rückt in den Hintergrund, die Fähigkeit immer und schnell mobil zu sein, dafür umso mehr in den Vordergrund. Das lässt sich mit einer klassischen Versicherung und seinen KFZ-Produkten nicht mehr optimal in Verbindung bringen. Die Autoversicherung muss so mobil und flexibel werden wie der Kunde und sein Mobilitätsverhalten selbst es geworden ist. Das heißt, eine Versicherung muss sich von einer statischen Risikoabsicherung von Jahr zu Jahr, hin zu einer situativen Versicherung „Pay as you drive“ verändern. Ohne Telematik-Technologie ist aber die zeitpunktgenaue Erfassung, wann der Kunde gerade „mobil“ ist nicht möglich. Da kommt nun die Technik ins Spiel, die Fahrtantritt und Fahrtende genau bestimmen kann und über die Online-Verbindung des Smartphones zu einer genauen Zeitabrechnung führen kann.

Nun kommt noch ein weiterer Aspekt ins Spiel, der gerade für die neuen Arten der Mobilitätsnutzung, also Abo- oder Car-Sharing-Modelle, sehr relevant ist. Es ist nämlich für einen Abo- oder Sharing-Anbieter genauso wichtig, dass die Fahrzeuge ordentlich und Gesetzeskonform bewegt werden. Das lässt sich über „Pay how you Drive“ darstellen, die Technik, die dazu im Fahrzeug notwendig ist, ist kleiner als ein 2 Euro Stück, besitzt aber die notwendigen Sensoren, die in Verbindung mit dem Smartphone erfassen, wie das Fahrzeug bewegt wird. Die derzeit fortschrittlichste Technik ist dabei der eben etwa 2 Euro-Münzen große BEACON. Dieser wird im Fahrzeug wie eine Mautplakette aufgeklebt. Er besitzt eine eigene eingebaute Stromversorgung und ist damit unabhängig sowohl von der Fahrzeugelektrik, was die Automobilhersteller zu schätzen wissen, wie auch unabhängig vom Smartphone, da der Beacon auch ohne Smartphone „an Bord“ Fahrten aufzeichnen kann. Spätestens wenn das Handy wieder „mitfährt“ überträgt der Beacon seine Daten. Das klingt unspektakulär, ist aber gerade für die risikoadäquate Tarifierung ganz wichtig: Es geht keine Fahrt verloren, die Daten sind eindeutig einem Fahrzeug zugeordnet und der Beacon kann gleich mehrere Nutzer (identifiziert über das eigene Smartphone) verwalten.

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Richtige Telematik als Zukunftstechnologie

Warum das alles Nötig ist? Das hat gleich mehrere Vorteile für mehrere Zielgruppen. Der Erste ist der Kundennutzen, wenn man ordentlich fährt, also nicht wie ein Rowdy, dann profitiert man von einem günstigen Preis, weil die Versicherungsprämie niedriger ausfällt. Als Zweiter der Abo- oder Carsharing Anbieter, weil er seine Mobilitätsservices und Flottenfahrzeige günstig anbieten kann und die Fahrzeuge ordentlich bewegt werden, was zu weniger Schäden und Verschleiß führt. Und drittens profitiert auch tatsächlich die Umwelt und damit wir alle als Gesellschaft: Angepasstes Fahren führt auch hier zu weniger Verschleiß oder Schäden und so zu einer langfristigen, nachhaltigen Schonung der Ressourcen. Telematik ist also nicht ein Tool, um Versicherung günstiger zu machen, es ist ein Instrument, um langfristig nachhaltiges Verhalten insgesamt zu fördern.

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