Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist in vielen deutschen Konzernen aber noch immer keine Realität: Frauen und Männer erhalten für gleiche Arbeit den gleichen Lohn. Der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen lag 2019 um 20 Prozent nied­ri­ger als der Verdienst der Männer, so berichtet das Statistische Bundesamt. Besonders hoch ist die Lücke im Finanzsektor: Bei Banken und Versicherungen erhalten die Frauen mehr als ein Viertel weniger Brutto-Gehalt (28 Prozent).

Anzeige

Software, um Lohnlücken aufzuspüren

Das will Deutschlands größter Versicherer nun ändern. Die Allianz Deutschland AG teilt mit, dass sie künftig Frauen und Männern das gleiche Gehalt zahlen will: bis hinauf in die Vorstandsetage.

Für das Pilotprojekt haben sich die Münchener mit dem Fair Pay Innovation Lab (FPI) zusammengetan: ein gemeinnütziges Start-up, das mittels einer isländischen Analysesoftware ermöglicht, Lohnlücken in Firmen ausfindig zu machen. Mit diesem Tool will die Allianz die Gehälter der 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchleuchten und Differenzen beseitigen. Darüber hinaus vergibt das FPI Zertifikate an die beteiligten Unternehmen, wenn sie regelmäßig ihre Fairness überprüfen lassen.

„Die Allianz akzeptiert keine Unterschiede in der Bezahlung von Männern und Frauen in vergleichbaren Funktionen“, sagt Kathrin Janicke, Leitung Rewards & Performance bei der Allianz Deutschland AG. „Im Fokus steht für uns, mehr Frauen in Führung und in besser bezahlte Positionen zu bringen. Wir nutzen die passgenaue Analyse im Rahmen des Universal Fair Pay Check, um weitere Maßnahmen zu identifizieren.“

Gesetz für faire Löhne: Deutschland setzt auf Freiwilligkeit

Der Vorstoß der Allianz könnte Vorbildfunktion auch für andere deutsche Konzerne haben. In Deutschland gilt zwar seit dem 6. Juli 2017 das Entgelttransparenzgesetz, das fairere Löhne zwischen Frauen und Männern für gleiche Arbeit gezahlt werden. Die Wirkung gehe bisher aber gegen Null, so ergab eine Stichprobe der Süddeutschen Zeitung.

Der Haken am Gesetz: Nur Firmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird empfohlen mittels eines Verfahrens zu überprüfen, ob Frauen beim Lohn benachteiligt werden, zudem auf freiwilliger Basis. Frauen müssen zudem im Alleingang gegen ihren Arbeitgeber klagen, wenn sie vermeintliche Lohndiskriminierung vermuten: oft ist dies mit beruflichen Nachteilen verbunden.

Anzeige

Folglich kritisierten sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als auch der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb), dass das Gesetz de facto wirkungslos sei und nicht zu mehr Lohntransparenz beitrage. Andere Staaten sind da schon weiter. In Island, Großbritannien und Spanien müssen Arbeitgeber regelmäßig nachweisen, dass sie fair zahlen: bei Verstößen können Bußgelder verhängt werden.

Problem der Ungleichheit vor allem, wo frei über Löhne verhandelt

Das Berliner Fair Play Innovation Lab versteht sich auch als Reaktion darauf, dass man sich auf die Gesetzgeber nicht verlassen will, wenn es um faire Löhne geht. Nach Prognosen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO dauert es im jetzigen Tempo noch 70 Jahre, bis Männer und Frauen weltweit gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten: vorausgesetzt, es gibt keine Stagnation oder Rückschläge.

In Deutschland resultiert die Ungleichheit auch aus Gehaltsverhandlungen. "Zu beobachten ist, dass sich Lohnlücken weniger im Tarifgehaltsbereich zeigen, wo es klare Regeln zur Eingruppierung in Gehaltsklassen gibt, sondern dort, wo Führungs- und Fachkräfte ihre Vergütung frei verhandeln", sagt Henrike von Platen, CEO und Gründerin des FPI, dem "Handelsblatt". Sie hat die Analyse-Software gemeinsam mit internationalen Expertinnen und Experten entwickelt.

Anzeige

Die Allianz will zum Jahreswechsel die erste Analyse der Gehälter vornehmen, wobei neben der Grundvergütung auch Boni eingerechnet werden sollen. Aber bei dieser ersten Bestandsaufnahme soll es nicht bleiben: Regelmäßig werden die Gehälter mit Hilfe des Universal Fair Pay Checks durchleuchtet, kündigt der Versicherer an.

Laut "Handelsblatt" ist bei der Angleichung der Löhne keineswegs garantiert, dass Frauen automatisch deutlich mehr bekommen. Unter Umständen müssten sich männliche Mitarbeiter auch auf Nullrunden oder unterdurchschnittliche Gehalts-Anpassungen einstellen.

Kaum Frauen in Dax-Vorständen

Ein Problem löst aber auch das Analysetool nicht: Noch immer sind Vorständinnen in deutschen Dax-Konzernen unterrepräsentiert. Bei der Allianz Deutschland wirken aktuell drei Frauen in Chef-Positionen: Katja de la Vin͂a als Finanzchefin, Nina Klingspor als Vorstandsvorsitzende der Allianz Private Krankenversicherungs-AG und Personal-Chefin Renate Wagner. Neben ihnen sitzen sechs männliche Entscheider im Vorstand.

Trotz des Ungleichgewichts macht die Allianz Deutschland mit einem Frauenanteil von rund 33 Prozent im Schnitt aller Dax-Konzerne eine recht gute Figur. Ende September betrug der Frauenanteil der 30 wertvollsten Börsenunternehmen (Dax 30) im Schnitt 12,8 Prozent, so zählte die schwedische Albright-Stiftung.

Wo Frauen in den Vorstandsetagen unterrepräsentiert sind, so sind sie im Gegenzug weit häufiger von Niedriglöhnen, Teilzeitarbeit und prekärer Beschäftigung betroffen als Männer. So liegt der Anteil der Niedriglohnbezieherinnen an allen Arbeitnehmerinnen mit 27 Prozent wesentlich höher als der entsprechende Anteil der Männer (16 Prozent), berichtet das Statistische Bundesamt. Hier wirkt sich aus, dass Frauen noch immer die Hauptlast bei der Kindererziehung und der Pflege Angehöriger tragen und öfter ihre Erwerbsbiographie unterbrechen.

Coronakrise belastet besonders Frauen

Dass sich die Gehälter zwischen Frauen und Männern künftig weiter angleichen, wie es die ILO-Prognose verheißt, ist keineswegs garantiert. Laut einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) führt aktuell die Coronakrise dazu, dass die Ungleichheit der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt wieder zunehme:

Anzeige

Frauen kümmerten sich im Lockdown eher um die Kinder und reduzierten ihre Arbeitszeit, während die Männer Homeoffice machten: Vielfach nahmen Frauen zudem mangels Betreuungsmöglichkeiten auch Minusstunden in Kauf, die sie nacharbeiten müssen. Werden Schulen und Kindergärten in den kommenden Wochen verstärkt dicht gemacht, weil die Infektionszahlen steigen, dürfte das erneut überproportional zulasten der Frauen gehen.

Seite 1/2/

Anzeige