Opportunistische Gelegenheitsbetrüger haben nicht die gleichen Motive wie Kriminelle. Erstere handeln meistens entweder aus Verzweiflung oder weil sich eine günstige Gelegenheit bietet. Sie begehen Versicherungsbetrug häufig ohne Schuldgefühl und im Glauben, dass niemandem ein Schaden zugefügt wurde. Diejenigen, die einen Versicherungsschaden aufbauschen, sehen sich selbst nicht als jemanden, der etwas mit Kriminellen wie Menschenhändlern oder Mördern gemein hat. Aber es ist genau diese Verbindung zum Kriminellen, die die Versicherungsbranche herstellen muss, um Versicherungsbetrug zu stigmatisieren.

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Chris Andrew ist als Director – Counter Fraud bei BAE Systems Applied Intelligence tätig, einem Geschäftsbereich von BAE Systems. Dieser hilft Banken, Versicherern und Strafverfolgungsbehörden mittels Finanzkriminalitätsanalysen und Risikomanagementlösungen, betrügerische Aktivitäten und kriminelle Akteure zu identifizieren.Die Datenbasis, um nachzuweisen, dass organisierter Betrug im Versicherungswesen mit umfassenderer Wirtschaftskriminalität verbunden ist, ist dünn. Aber es liegt reichlich anekdotische Evidenz vor. So wurde Mohammed Sangak 2017 von einem britischen Gericht zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren verurteilt. Er hatte einen sogenannten „Crash-for-Cash“-Ring betrieben, der ihm Hunderttausende Pfund einbrachte. Sangaks kriminelle Machenschaften reichten jedoch weit über Versicherungsbetrug hinaus. Er wurde auch wegen der Einschleusung illegaler Einwanderer nach Großbritannien verurteilt. In den USA wurde der Karosseriebauer Ronald Galati aus Philadelphia im Jahr 2016 zu 29 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er zusammen mit 40 anderen Mitverschwörern Versicherungsunternehmen um fast zwei Millionen Dollar betrogen hatte. Auch hier war der Versicherungsbetrug nicht die einzige kriminelle Aktivität. Als er verurteilt wurde, war Galati bereits wegen mehrerer Auftragsmorde im Gefängnis. Diese beiden Beispiele zeigen, dass das organisierte Verbrechen die Versicherungsunternehmen nur als einen Baustein im Rahmen ihrer weitreichenden illegalen Aktivitäten ins Visier nehmen. Versicherungsbetrug ist nicht ihr einziges Ziel.

Aus globaler Perspektive betrachtet zeigt sich, dass sich das lokale organisierte Verbrechen in einen breiteren Rahmen der internationalen Wirtschaftskriminalität einfügt. Der globale Handel ist ein unglaublich komplexes System mit einem jährlichen Umsatz, der in die Billionen geht. Er hat sich nicht nach einem bestimmten Plan entwickelt, sondern ist evolutionär entstanden. Das internationale Verbrechen hat sich im Einklang mit dem globalen Handel entwickelt. Ein nicht unerheblicher Teil des globalen Handels trägt verbrecherische Züge und Jahr für Jahr fließen Billionen an Gelder durch dieses System. Internationale Verbrecherbanden nutzen den globalen Online-Handel in der gleichen Weise wie es kleine Unternehmen auf lokaler Ebene tun.

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Die Verbindungen zwischen kleinen und den großen kriminellen Akteuren sind äußerst kompliziert. Kriminelle aller Größenklassen treiben Handel miteinander, genauso wie es auch Unternehmen tun. Die Kriminellen auf lokaler Ebene wird es wahrscheinlich nicht weiter stören, wenn sie mit weltweit agierenden Verbrecherbanden in Verbindung gebracht werden. Aber die opportunistischen Gelegenheitsbetrüger werden sehr wahrscheinlich vor einer solchen Verbindung zurückschrecken. Nur wenn die Versicherer weiter daran arbeiten, die Verbindung zwischen Versicherungsbetrug und weitaus schwerwiegenderen Verbrechen aufzudecken und dies bekannt zu machen, wird es ihnen gelingen, Versicherungsbetrug zu stigmatisieren, dessen Häufigkeit zu verringern und so zum Aufbau einer sichereren Gesellschaft beizutragen.

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