Gesundheitsexperten von SPD und Grünen drängen aufgrund der Coronakrise auf höhere Bundeszuschüsse für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). „Ich erwarte, dass ein Teil der Hilfspakete für Gesundheitsberufe und Krankenhäuser aus Steuermitteln finanziert wird“, sagte Bärbel Bas, Vize-Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, dem Berliner „Tagesspiegel“.

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Nach Ansicht von Bas stemmen die gesetzlich Versicherten einen Großteil der Kosten, die dem Gesundheitssystem aus der aktuellen Coronakrise erwachsen. So finanzierten GKV und damit die Beitragszahler momentan einen erheblichen Anteil der Corona-Rettungsschirme. Dazu kämen Einnahmeverluste durch Kassenmitglieder mit Kurzarbeitergeld und durch gestundete Beitragszahlungen. Bis Mitte April haben 470.000 Betriebe Kurzarbeitergeld beantragt, sie zahlen einen um bis zu 40 Prozent reduzierten Kassenbeitrag.

“Die GKV stemmt damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für uns alle“, so Bas. Das Bundesamt für soziale Sicherung (BAS) müsse deshalb die Liquidität der Kassen sicherstellen, damit „nicht nur die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler die Zeche zahlen“.

Ähnlich argumentierte Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Die Koalition habe der GKV in den vergangenen Jahren „zahlreiche Lasten aufgebürdet“, sagte sie ebenfalls dem „Tagesspiegel“. Nun komme noch die Coronakrise hinzu, was enorme Folgen für die Beiträge der Krankenkassen haben könnte. Sie forderte einen „Schutzschirm für die gesetzliche Krankenversicherung“.

Mehrkosten infolge der Krise

Die aktuelle Coronapandemie bedeutet für das Gesundheitssystem Mehrkosten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat als Ausgleich der finanziellen Belastungen für die Krankenhäuser und Ärzte ein COVID19-Krankenhausentlastungsgesetz auf den Weg geschickt.

Große Teile des Pakets werden von den Krankenkassen geschultert. „Für die GKV entstehen durch das Hilfspaket im Krankenhausbereich in diesem Jahr geschätzte Mehrausgaben in Höhe von rund 6,3 Milliarden Euro, von denen 1,5 Milliarden Euro direkt aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert werden“, berichtet das Bundesgesundheitsministerium. Das zumindest war der Stand am 27. März - wie viel die Coronakrise insgesamt kosten wird, hängt auch vom weiteren Verlauf der Pandemie ab.

Das Entlastungspaket sieht unter anderem vor, dass Kliniken einen finanziellen Ausgleich von 560 Euro pro Patient erhalten, wenn planbare Operationen und Behandlungen verschoben werden, um Kapazitäten für die Behandlung von Patienten mit einer Coronavirus-Infektion frei zu halten. Das Geld wird aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds bezahlt und aus dem Bundeshaushalt refinanziert.

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Ein weiterer Grund für steigende Kosten ist, dass dringend benötigte medizinische Schutzausrüstung mittlerweile zu Wucherpreisen erworben werden muss, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen auszustatten. Kostete eine FFP2-Schutzmaske früher 11 bis 60 Cent, so wird sie nun für sieben bis 10 Euro gehandelt, wie die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) berichtet. Hierfür will die Bundesregierung eine zusätzliche Pauschale von 50 Euro pro Patient zahlen. Auch die Preise für dringend nötige Medikamente schießen in die Höhe.

Bundesamt kürzt Krankenkassen Zahlungen

Doch damit nicht genug. Ausgerechnet in Zeiten der Coronapandemie entzieht das Bundesamt für soziale Sicherung (BAS) den Krankenkassen Liquidität. Die Mittel aus dem Kassen-Finanzausgleich für März und April werden verzögert ausgezahlt, wie der „Tagesspiegel“ berichtet. Zudem fallen die Zahlungen geringer aus als gewohnt: und das in Zeiten, in denen die Krankenkassen über Mehrkosten klagen und ihnen ein Teil der Einnahmen wegbrechen.

Das Berliner Blatt zitiert aus einem Bescheid des Amtes an die Krankenkassen. „Aufgrund der Einnahmenentwicklung des Gesundheitsfonds und zusätzlicher Ausgaben für Ausgleichszahlungen“ werde die Auszahlung der monatlichen Zuweisungen erst im Mai abgeschlossen werden können. Zudem könnten die Zahlbeträge „deutlich von den Vormonatswerten“ abweichen. Das heißt, aktuelle Liquiditätsengpässe infolge der Krise gibt der Gesundheitsfonds ungerührt an die Krankenkassen weiter. Viele Krankenkassen müssen nun Geldanlagen aus ihren Rücklagen zu ungünstigen Konditionen abstoßen.

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Hilfspaket nicht ausreichend

Doch auch Kliniken und Ärzte sind aktuell nicht glücklich. Der DIVI-Verband der Intensiv- und Notfallmediziner kritisiert, dass das Hilfspaket von Jens Spahn nicht ausreicht, um alle Mehrkosten der Krise aufzufangen. Ein Beispiel: Die Kliniken sollen im Laufe ihres Jahres die Zahl der Intensivbetten mit Beatmungsgerät verdoppeln. Hierfür will Spahn eine Pauschale von 50.000 Euro pro Bett zahlen. Jedes neu errichtete Intensivbett in einer Klinik koste jedoch etwa 95.000 Euro. Tendenz steigend, weil die Preise für medizinisches Gerät infolge der Pandemie ebenfalls weltweit nach oben klettern. Auch die Zuschüsse für geleistete Überstunden, Schutzausrüstung, die Verlegung von Patienten in andere Einrichtungen etc. seien nicht kostendeckend.

Um das komplizierte Abrechnungs-Prozedere zwischen Kliniken und Krankenkassen zu beschleunigen, sind die Kassen verpflichtet worden, Krankenhausrechnungen ohne Prüfung binnen fünf Tagen zu überweisen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit von Abrechnungsbetrug zulasten der Beitragszahler - in einer Zeit, in der die Kliniken dringend mehr Geld benötigen. Die Ortskrankenkassen haben in Zeiten der Krise ein Garantiebudget gefordert, um den Wettbewerb zwischen den Kliniken und Gesundheitsdienstleistern in diesen schwierigen Zeiten außer Kraft zu setzen.

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