Die Verbraucherzentrale Hamburg erhält mehr Beschwerden von Krankengeld-Empfängern, die scheinbare Kontrollanrufe von Krankenkassen erhalten. Dabei würden die Mitarbeiter teils aggressiv auftreten und unter Verweis auf Mitwirkungspflichten die Herausgabe sensibler Infos verlangen, berichten die Hansestädter in einem Pressetext. Die Versicherten würden beklagen, teils regelrecht in die Mangel genommen worden zu sein.

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Zur Herausgabe sensibler Informationen am Telefon nicht verpflichtet

Hintergrund ist, dass die Kassen den Langzeit-Erkrankten einen Teil des Einkommens als Krankengeld weiterzahlen müssen: in der Regel ab der sechsten Krankheitswoche. 70 Prozent des Bruttogehalts bis höchstens 90 Prozent des Nettoeinkommens muss der Versicherer dann übernehmen. Hierfür müssen die Betroffenen der Krankenkasse und dem Arbeitgeber lückenlos ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen.

Für die Krankenkassen sind diese Zahlungen äußerst kostspielig: Je länger der Patient krank ist. Maximal 78 Wochen bzw. 546 Kalendertage müssen sie Teile des Lohnes ersetzen. Allein im Jahr 2018 haben die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland rund 13,1 Milliarden Euro für Krankengeld ausgegeben, so berichtet br.de mit Berufung auf Zahlen des GKV-Spitzenverbandes. Die Kosten steigen seit Jahren, auch wegen zunehmender psychischer Krankheiten und steigender Löhne. Noch 2014 bezifferte sich das Krankengeld „nur“ auf 10,6 Milliarden Euro.

So besteht der Verdacht, dass die Krankenkassen die Betroffenen um das Krankengeld bringen wollen — mit juristischen Tricks und Feinheiten. Die Versicherten haben eine sogenannte „Mitwirkungspflicht“. Sind zum Beispiel Daten lückenhaft, müssen sie Informationen übermitteln, die dazu benötigt werden, den Krankengeld-Anspruch zu prüfen. Allerdings sind die Auskunftspflichten in der Krankenversicherung durch einen Paragraphen des Sozialgesetzbuches (§ 275 SGB V) stark eingeschränkt. Nur der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) darf Gutachten erstellen, ob der Patient noch krank ist.

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Nicht zur telefonischen Auskunft verpflichtet

Hier werden die Erkrankten von den Krankenkassen unter Druck gesetzt, wie nun die Verbraucherzentrale Hamburg berichtet: etwa durch besagte Kontrollanrufe, in denen auf die Mitwirkungspflicht verwiesen wird. „Am Telefon sind Sie nicht zur Auskunft verpflichtet! Und schon gar nicht müssen Sie für Ihre Kasse telefonisch erreichbar sein. Wir raten Betroffenen daher, der Krankenkasse mitzuteilen, dass man alle notwendigen Fragen gerne schriftlich beantwortet“, schreibt die Verbraucherzentrale Hamburg.

...auch Sozialverbände klagen über strittige Krankengeld-Streichungen

Die Verbraucherzentrale ist mit ihrer Kritik nicht allein. In den letzten Jahren kritisierten auch wiederholt Sozialverbände wie der VdK und der SoVD, dass die Krankenkassen mit zweifelhaften Methoden den Patienten das Krankengeld streitig machen wollen.

So seien zum Beispiel Fälle bekannt, in denen die Krankenkassen Patientinnen und Patienten das Geld mit Verweis auf bestimmte Urteile strichen: Urteile freilich, die mit dem eigentlichen Krankengeld-Anspruch nichts zu tun haben. Der Bayrische Rundfunk nennt den Fall eines Bauarbeiters, der in seinem Job wegen Wirbelsäule-Schäden krankgeschrieben war und von seiner Krankenkasse aufgefordert wurde, sich eine neue Arbeit zu suchen: er könne ja zwischenzeitlich körperlich weniger anstrengende Tätigkeiten verrichten.

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Rat, Arbeitslosengeld zu beantragen

Der Sozialverband Schleswig-Holstein (SoVD) berichtet wiederum von Fällen, in denen arbeitsunfähig attestierte Arbeitnehmer aufgefordert wurden, einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen. Nicht uneigennützig, denn dann muss die Deutsche Rentenversicherung (DRV) die entsprechende Rente zahlen: Die Kassenanbieter sind fein raus. Ein solcher Schritt sei nur dann zu empfehlen, wenn sich abzeichne, dass man tatsächlich nicht mehr in den Job zurückkehren könne, schreibt der Sozialverband. Zudem sollen die Betroffenen bedenken, dass die Erwerbsminderungsrente in der Regel deutlich niedriger ausfalle als das Krankengeld.

Noch perfider sei die bereits beobachtete Praxis, wenn Mitarbeiter der Krankenkasse empfehlen: "Jetzt sind Sie schon so lange krank. Wollen Sie nicht Arbeitslosengeld beantragen?". Im Grunde würden die Kassen damit die Betroffenen zur Kündigung ihres Jobs drängen: Wozu sie überhaupt nicht berechtigt sind, warnt der Sozialverband. Paradox sei dieses Vorgehen auch deshalb, weil die Arbeitsagenturen nur Personen betreuen, die vermittelbar und arbeitsfähig sind. Die freiwillige Kündigung kann zudem dazu führen, dass man den Anspruch auf ALG I verliert.

Verbraucherzentrale rät zu schriftlichem Fragebogen - und Beschwerde

Die Verbraucherzentrale Hamburg rät Betroffenen dazu, den Krankenversicherer aufzufordern, Fragen schriftlich per Selbstauskunftsbogen zu stellen. Auch dann sollten nur Fragen nach harten Fakten beantwortet werden: Zum Beispiel, liegt Arbeitsunfähigkeit vor? Wie lange schon? Ist abzusehen, wann sie beendet ist? Die Krankenkasse dürfe aber beispielsweise keine Fragen zur persönlichen Situation der Patienten, ihren Urlaubsplänen, ihrem Verhältnis zum Arbeitgeber oder familiären Umfeld stellen: Das sei Tabu.

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Und wenn der Versicherer weiter Druck ausübt? "Meldet sich Ihre Kasse weiterhin telefonisch bei Ihnen, obwohl Sie darum gebeten hatten, nur schriftlich kontaktiert zu werden, reichen Sie eine Beschwerde ein", schreiben die Hansestädter. "Hierfür fertigen Sie am besten ein Anrufprotokoll an, das Sie gemeinsam mit dem Namen des Mitarbeiters, den Sie am Telefon hatten, an Ihre Krankenkasse schicken". Helfe das auch nicht, könne man sich beim Bundesversicherungsamt und Bundesdatenschutzbeauftragten über die Kasse beschweren.

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