Wie gut sind die Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (EbAV) in Europa auf mögliche Krisen vorbereitet? Seit 2015 müssen sich die Anbieter alle zwei Jahre einem entsprechenden Stresstest unterziehen, sofern sie ein Vermögen von mehr als 500 Millionen Euro verwalten. Der aktuelle Stresstest der europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa zeigt erneut eine gewaltige Lücke auf: vorausgesetzt, bestimmte Krisenszenarien würden tatsächlich eintreten. Über den Stresstest berichten am Mittwoch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und andere Medien.

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Gegenüber dem Stresstest vor zwei Jahren hat Eiopa ein neues Risiko-Szenario zugrunde gelegt. Dieses wechselt von Stresstest zu Stresstest, um die Standfestigkeit der Anbieter in verschiedenen komplexen Marktsituationen abzuklopfen:

Mussten sich die Pensionskassen vor zwei Jahren einem Szenario stellen, in dem die Zinsen rapide sinken und mit einem Kursverfall bei Anleihen und Aktien von 15 Prozent einhergehen, so sind im aktuellen Modell umgekehrt steigende Zinsen der Risikoauslöser. Im neuen Szenario schießen die Zinsen für kurz laufende Anleihen plötzlich stark in die Höhe. Auch dieses neue „Design“ bewirkt, dass die Finanzlücke nun kleiner ausfällt: im letzten Jahr fehlten Anbietern stolze 700 Milliarden Euro, um alle Renten wie garantiert auszuzahlen (der Versicherungsbote berichtete).

Plötzlicher Zinsschock: 270 Milliarden Euro Marktwert-Verlust

Im neuen Stresstest sind die Zahlen immer noch krass. Insgesamt 176 Einrichtungen aus 19 Ländern haben die Aufseher aus Frankfurt am Main unter die Lupe genommen. Die britischen Anbieter fehlten allerdings aufgrund des drohenden Brexits. Dabei wurde ein mögliches Krisenszenario angenommen, bei dem mehrere Faktoren zum Nachteil der Pensionskassen zusammenwirken:

Die Zinsen für kurz laufende Anleihen steigen plötzlich stark an, sie müssen mit satten Risikoaufschlägen unterfüttert werden. Zwar scheinen steigende Zinsen zunächst für die Pensionskassen positiv: Langfristig müssen die Anbieter weniger Geld zurücklegen, weil auch ihr Zinsertrag steigt. Das Problem hierbei: Parallel dazu sackt der Marktwert der bisher gehaltenen Geldanlagen plötzlich in den Keller, im Szenario der Finanzaufsicht sogar deutlich stärker als die Verpflichtungen der Anbieter. Hierbei gilt es zu bedenken, dass die Pensionskassen aktuell viele niedrig verzinste Anleihen in ihrem Bestand haben — deren Marktwert sinken würde, eben weil sie wenig Zins versprechen und es plötzlich renditestärkere Alternativen gäbe.

Im Modell der Finanzaufsicht wäre mit einem Mal ein Viertel des kompletten Anlagevermögens der Vorsorgeanbieter vernichtet: in Summe 270 Milliarden Euro. Das entspräche dem Wert von zwei Prozent aller Waren und Dienstleistungen, die zusammengerechnet in den teilnehmenden Ländern binnen eines Jahres erbracht werden: eine gewaltige Summe.

Ausbaden müssten die Situation Betriebsrentner und Arbeitgeber. Die Renten müssten demnach in Summe um 173 Milliarden Euro gekürzt werden. Und auch die Arbeitgeber werden zusätzlich zur Kasse gebeten: mit 43 Milliarden Euro. Schließlich haften sie für die Höhe der Renten. Wie die Situation ganz konkret bei den einzelnen Gesellschaften aussieht, kommuniziert Eiopa nicht.

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Zu bedenken gilt es, dass die BaFin in diesem Fall mit einem einheitlichen europäischen Modell rechnet, da sich die nationalen Aufsichtsregimes stark unterscheiden. In einem zweiten Szenario wird auch nach den jeweiligen nationalen Standards gerechnet. Hier wäre die Finanzlücke geringer, weil in manchen Staaten die Finanzaufsichten weniger Gewicht auf den aktuelle Marktwert der Geldanlagen legen.

Langfristige Anleihen wirken sich doch noch positiv aus

Dieser negative Effekt würde sich jedoch nur kurzfristig wirken beziehungsweise wieder deutlich abschwächen. Hierbei gilt es zu bedenken, dass die meisten Anleihen festverzinslich sind. Auch wenn ihr Marktwert zu einem Zeitpunkt sinkt, haben sie zum Fälligkeitstermin einen festen Wert, der zu Beginn der Laufzeit vereinbart wurde auch gezahlt werden muss. Der Wertverfall auf diese Papiere am Markt ist folglich nur scheinbar und vorübergehend.

Demnach wäre der Effekt nach einem Jahr wieder ausgeglichen, wie das „Handelsblatt“ mit Verweis auf den Stresstest schreibt. „Pensionskassen können durch ihre langlaufenden Anleihen und ihren langfristigen Anlagehorizont kurzzeitige Volatilitäten und Marktabschwünge besser aushalten als andere Finanzinstitute“, zitiert das Blatt Eiopa-Chefaufseher Gabriel Bernardino. Für Betriebsrentner dürfte das wenig Trost sein, weil die Ansprüche, sobald sie einmal gekürzt sind, auch dauerhaft auf dem niedrigeren Niveau bleiben dürften: als Teil der Lösung.

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Existentielle Probleme im Niedrigzins

Etwas sonderbar ist der Eiopa-Stresstest mit Blick auf die aktuelle Situation: und damit auf die dauerhaft niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt. Denn die Pensionskassen sind ja ohnehin in einer Krise, weil sie Probleme haben, im Niedrigzins alle Rentenzusagen zu erwirtschaften.

Beispiel Deutschland: Insgesamt 31 von insgesamt 137 Anbietern befinden sich aktuell unter strengerer Aufsicht der deutschen Aufsichtsbehörde BaFin, weil sie mittelfristig Probleme bekommen könnten, alle Betriebsrenten auszuzahlen. Drei Pensionskassen mussten sogar schon Leistungen kürzen: die Caritas, Kölner Pensionskasse und die Pensionskasse der steuerberatenden Berufe. Alle drei mussten ihr Neugeschäft einstellen, letztgenannter droht die Abwicklung.

"Pensionskassen sind durch die aktuelle Niedrigzinsphase besonders betroffen“, sagte BaFin-Chefaufseher Frank Grund der ARD vor wenigen Wochen. „Es muss jedem klar sein, dass ihr Geschäftsmodell in Gefahr ist, wenn sich die Zinsen weiter auf diesem Niveau bewegen. Wir beobachten die Situation mit Sorge.“ Mit anderen Worten: Es geht bei manchen Anbietern um die nackte Existenz.

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Die Eiopa-Kurzberichte zum aktuellen Stresstest sind auf der Webseite der Finanzaufsicht in englischer Sprache einsehbar.

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