Die Europäische Zentralbank (EZB) will wieder billionenschwere Ankäufe von Staatsanleihen tätigen und auch die Zinsen im Keller halten, um vor allem den finanziell angeschlagenen EU-Staaten des Südens unter die Arme zu greifen. Das hat der scheidende Notenbank-Chef Mario Draghi im Juli laut übereinstimmenden Medienberichten vorgegeben. In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ vom Mittwoch teilt nun Armin Zitzmann, Vorstandschef der Nürnberger, ordentlich gegen die Politik der Währungsbehörde aus.

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“EZB überzieht Mandat“

Auf die Frage, ob die EZB mit ihren Anleihekäufen ihr Mandat überziehe, sagte Zitzmann: „Ja, eindeutig. Wenn man die Zinsen ansieht von Ländern, die aufgrund ihrer Staatsfinanzen und wirtschaftlichen Situation ein wirkliches Risiko darstellen, dann ist ein Nullzins dort ganz klar eine Marktverzerrung.“

Armin Zitzmann, Vorstandschef der Nürnberger.nuernberger.deDamit schließt sich Zitzmann argumentativ mehreren Verfassungsbeschwerden an, die aktuell vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werden. Eingereicht hat sie unter anderem der CSU-Veteran Peter Gauweiler sowie der frühere AfD-Chef Bernd Lucke. Die streitlustigen Kläger argumentieren, das Anleihekaufprogramm der Zentralbank sei Staatsfinanzierung und deshalb rechtswidrig.

Der Hintergrund: Angeschlagenen Staaten Finanzspritzen zu verpassen, ist der Notenbank laut EU-Verträgen verboten. Die EZB will dies dadurch vermeiden, dass sie den Staaten die Papiere nicht direkt abkauft, sondern in bereits gehandelte Papiere investiert.

Auch Zitzmann hat Zweifel, ob die ergriffenen Maßnahmen verfassungsgemäß sind. Zwar gesteht er der EZB zu, dass sie etwas gegen mögliche „Konjunkturdämpfer“ unternehmen wolle, angestachelt auch durch den Handelskrieg zwischen den USA und China. Aber die Nullzinspolitik sei „nicht mehr unbedingt ein geldpolitisches Instrumentarium, sondern in meinen Augen eine versteckte Staatsfinanzierung von hochverschuldeten Ländern wie Italien“, so Zitzmann.

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Man könne nicht darauf hoffen, dass die Karlsruher Verfassungsrichter ihre europafreundliche Linie verlassen, warnt Zitzmann zugleich vor den Konsequenzen eines Urteils, das der EZB strengere Grenzen auferlege. Ein gegen Europa gerichtetes Urteil „könnte noch mehr Friktionen bringen“. Zitzmann führt nicht konkret aus, welche Konflikte er mit "Friktionen" meint. Analysten warnten aber bereits, ein Urteil gegen die EZB-Politik könne die Autorität der Zentralbank untergraben und sie de facto handlungsunfähig machen.

Bundesverfassungsgericht sieht Anleihekäufe kritisch

Tatsächlich hat sich das Bundesverfassungsgericht bereits kritisch zu den Anleihekäufen geäußert. Es gebe eine Reihe von Risiken, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle nach zwei mündlichen Verhandlungstagen Ende Juli. Die Käufe könnten dazu dienen, „sehr vielen Mitgliedstaaten einen sehr einfachen Zugang zu billigem Geld zu verschaffen“, zitiert der Berliner Tagesspiegel Voßkuhle.

Unter anderem warnt der Volkswirt Joachim Starbatty als einer der Kläger, die Geldschwemme der EZB könne eine neue Finanzkrise auslösen. So sollen die Banken bewogen werden, mehr Kredite an Firmen auszugeben. Eventuell könnten davon auch Unternehmen profitieren, die nicht in der Lage sind ihre Kredite jemals zurückzuzahlen, warnt Starbatty.

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Doch auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat ein Wörtchen mitzureden. Der "Tagesspiegel" verweist darauf, dass bereits bei dem früheren Anleihe-Kaufprogramm OMT ("Outright Monetary Transactions") ab 2012 das Bundesverfassungsgericht sich kritisch geäußert hatte. Dennoch hielt der EuGH das Programm für zulässig. Immerhin flossen die Bedenken der Karlsruher Richter in das EuGH-Urteil ein. Die Zentralbank wurde verpflichtet, genaue Rahmenbedingungen zu definieren, unter denen der Kauf vonstatten gehen könne.

"Wenn das so weitergeht, kommt das Schlimmste noch"

Nürnberger-Chef Zitzmann sieht die deutschen Sparer als Verlierer der aktuellen EZB-Niedrigzinspolitik. Die Zentralbank torpediere das private Altersvorsorge-System der Versicherten, sagt der CEO. "Wenn die Menschen für das Sparen keinen Anreiz mehr haben, dann wird der Druck auf den Staat wachsen, die staatliche Altersvorsorge doch mit irgendwelchen Mitteln wieder sicherzustellen". Hier gehe es nicht um Vermögende, sondern um "Normalbürger", die ihre gesetzliche Rente mit Privatvorsorge aufpäppeln wollen. Und: "Wenn es so weitergeht mit der EZB, kommt für die Sparer das Schlimmste noch". Das betreffe dann aber alle Arten von Sparern und nicht nur die Versicherten.

Seit 2015 hat die EZB nach Informationen des "Spiegel" 2,6 Billionen Euro in Unternehmens- und Staatsanleihen gesteckt. Weitere 2,2 Billionen könnten durch das neue Programm hinzukommen.

DIW-Chef: "Deutsche Sparer gehören zu den Gewinnern"

Anders als Zitzmann schätzt hingegen Marcel Fratzscher die EZB-Politik ein, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. "Wir profitieren wie kaum ein anderes EU-Land von der EZB-Geldpolitik", argumentiert der Volkswirt in einer Kolumne für "Zeit Online".

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"Die Geldpolitik hat durch niedrige Zinsen ganz entscheidend dazu beigetragen, dass Unternehmen expandieren und dadurch Menschen einstellen und beschäftigen können", schreibt der DIW-Chef. "Somit wurden in den letzten Jahren viele Millionen Jobs in Europa und in Deutschland auch durch die expansive EZB-Geldpolitik geschaffen. Die gute wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, die auch der EZB-Geldpolitik zu verdanken ist, hat zu Lohnsteigerungen in fast allen Einkommensschichten in Deutschland geführt". Auch werde der deutsche Staat um jährlich 45 Milliarden Euro durch geringere Zinsausgaben entlastet, was dem Steuerzahler zugute komme.

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