Die Bundesregierung will die Altersarmut bekämpfen — und hat sich dafür ein besonderes Instrument ausgedacht. Trotz aller Differenzen zwischen den Parteien ist der Grundgedanke, dass Geringverdiener, die mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, ihre Altersrente über Grundsicherungsniveau gehebelt bekommen. Dabei sollen auch Erziehungs- und Pflegezeiten angerechnet werden, was mehrheitlich Frauen zugute kommen würde. Denn sie sind es, die nach wie vor ihr Berufsleben unterbrechen, um Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen: oft unter großen Einbußen bei Einkommen, Karriere und auch Rente.

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Doch die Grundrente, schon im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung erwähnt, hat einen Konstruktionsfehler. Profitieren würden davon ausschließlich gesetzlich Rentenversicherte, sofern sie lang genug in die Rentenkasse eingezahlt haben: alle anderen, die anders für ihr Alter vorsorgen, nicht. Dieser vermeintliche Vorteil der gesetzlichen Beitragszahler könnte sich jetzt wiederum als Nachteil entpuppen. Denn die anfallenden Milliardensummen sollen auf Kosten der Sozialversicherung finanziert werden. Und das bedeutet: vor allem auf Kosten jener, die aktuell Beiträge einzahlen.

Weniger Beitrag zur Krankenversicherung — mehr Geld für die Rente

Wie Spiegel Online am Freitag berichtet, haben sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) darauf verständigt, die Kosten für die Grundrente nicht aus Steuermitteln zu finanzieren, sondern aus Mitteln der Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Das mag erst einmal seltsam klingen. Und tatsächlich sind die geplanten Maßnahmen überraschend, ja fast schon ausgefeimt:

Ein großer Teil der vier Milliarden Euro soll aus Beiträgen der Sozialversicherung stammen. Hierfür wollen die SPD-Politiker den Beitragssatz zur Krankenversicherung von derzeit 14,6 auf 14,0 Prozent senken. Das mag erst einmal absurd klingen: Aber dann haben doch auch die Krankenkassen weniger Geld, wie soll das zu mehr Einnahmen führen? Ganz einfach: Aktuell erstattet die Deutsche Rentenversicherung (DRV) den Arbeitgeberanteil für Ruheständler. Und müsste laut „Spiegel“ künftig 400 Millionen Euro weniger im Jahr an die Krankenversicherer überweisen. Geld, das dann genutzt werden kann, um die Grundrente zu finanzieren. Positiv für die Rentner: Sie werden auch bei den Kassenbeiträgen entlastet.

Zeitgleich werden Mittel auch beim Bundeszuschuss für die Krankenversicherung frei, die für die Grundrente verwendet werden könnten. Weil das aber noch nicht ausreicht, haben sich die SPD-Minister noch etwas ausgedacht. So soll künftig auch die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet werden, höhere Rentenbeiträge an die Rentenkasse abzutreten. Das gilt für die Bezieher von Arbeitslosengeld I. Aktuell muss die Bundesagentur so viel überweisen, als hätten die Betroffenen 80 Prozent ihres letzten Bruttogehaltes verdient. Nun sollen sie behandelt werden. als hätten sie noch immer 100 Prozent im Lohnbeutel. Soll heißen: Über die Arbeitslosenversicherung kommen weitere 800 Millionen Euro zusätzlich rein.

SPD bricht Versprechen

Schnell zeigt sich, dass das Modell aus Sicht der Sozialversicherten nicht unproblematisch ist: vor allem aus Sicht der aktiven Beitragszahler. Haben die Krankenkassen weniger Geld, weil Rentner weniger Kassenbeitrag zahlen, könnte sich das schnell in steigenden Zusatzbeiträgen auswirken. Und kann die Rentenkasse die Kosten der Grundrente nicht alleine aus den Mehreinnahmen finanzieren, müssen die gesetzlich Rentenversicherten dafür aufkommen.

“Spiegel Online“ weist darauf hin, dass die SPD damit auch ein Versprechen bricht. Schon im Wahlkampf hatte sie damit geworben, eine höhere Rente für Geringverdiener aus Steuermitteln finanzieren zu wollen. Die Unionsparteien haben sich hingegen von vorn herein dafür ausgesprochen, das Plus für bedürftige Rentner aus den Beiträgen zu zahlen. Bisher ist das SPD-Modell nicht mit der Union abgestimmt.

Finanzierung der Grundrente aus Steuergeldern: Genau das hatte auch DRV-Chefin Gundula Roßbach angemahnt. Sie hatte darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung von Altersarmut eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei und folglich nicht alleine den Beitragszahlern der Rentenkasse aufgebrummt werden dürfe. Grundsichernde Leistungen müssten „systemgerecht aus Steuermitteln und nicht aus Beitragsmitteln“ erbracht werden, mahnte Roßbach im Dezember 2018. Zur Erinnerung: Beamte, Selbstständige, Anwälte und andere Berufsgruppen mit eigenständigen Versorgungswerken sind fein raus, wenn das Rentenplus nur aus den Beiträgen der Sozialkassen finanziert wird. Freilich profitieren sie auch nicht von der Grundrente.

Viele Steuermittel für versicherungsfremde Leistungen

Zwar päppelt der Bund schon jetzt die Rentenkasse mit 68 Milliarden Euro pro Jahr an Steuermitteln (2017), Tendenz steigend. Aber mehr als ein Drittel davon bzw. 35,3 Prozent werden für sogenannte versicherungsfremde Leistungen aufgebracht: als gesamtgesellschaftlich definierte Aufgaben, die der Rentenkasse aufgebürdet wurden. Dazu gehören etwa Entschädigungszahlungen an politisch Verfolgte für Haftzeiten in der DDR, Witwenrenten sowie Renten für Vertriebene und Spätaussiedler. Experten kritisieren seit Jahren, dass der pauschale Zuschuss des Bundes nicht annähernd ausreicht, um alle versicherungsfremden Leistungen zu finanzieren. Schon 2011 hat eine Studie des Forschungszentrums Generationenverträge Freiburg die tatsächlichen Kosten auf 58 bis 93 Milliarden Euro beziffert.

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Letztendlich zeigt die umständliche Finanzierung der Grundrente auch eine gewisse Hilflosigkeit der SPD. Denn der Bund hat ein Haushaltsloch entdeckt, und zwar ein großes. Aufgrund der sich abschwächenden Konjunktur werden Bund, Länder und Kommunen bis 2023 deutlich weniger Steuern einnehmen als ursprünglich erwartet, so ergab die jüngste Steuerschätzung des Bundesfinanzministeriums, die Olaf Scholz in dieser Woche vorstellte. Der "Fehlbetrag": 124 Milliarden Euro, von der "BILD" schon als "Scholz-Loch" verspottet.