Die Allianz hat begonnen, ihr Investment auf Kriterien der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes auszurichten. Bis zum Jahr 2050 will Europas größter Versicherer nur noch Unternehmen versichern oder Geld in sie investieren, wenn sie ökologische Mindestkriterien erfüllen. Das berichtete Claus Stickler, Chef der Investment-Tochter Allianz Investment Management (AIM), am Dienstag beim Vorlesungstag des Instituts für Versicherungswirtschaften an der Universität Leipzig.

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Claus Stickler ist seit Januar 2017 geschäftsführender Direktor der Allianz Investment Management (AIM). Die Allianz-Tochter wurde vor gut elf Jahren gegründet, um sich ausschließlich um die Anlage der Kundengelder zu kümmern: und zwar weltweit. „Wir entwickeln und implementieren die Investment-Strategie der Allianz, wir kümmern uns um die Versichertengelder“, erklärte Stickler bei seinem Vortrag vor Branchenvertretern und Wissenschaftlern in Leipzig. Das globale Netzwerk beschäftige aktuell rund 500 Mitarbeiter und sei in über 70 Ländern aktiv. Stolze 650 Milliarden Euro betreut das Unternehmen derzeit.

Sticklers Vortrag widmete sich dem Thema „Nachhaltiges Kapitalmanagement im globalen Versicherungsunternehmen“. Dass dabei schnell auch Vorwürfe wie Greenwashing oder Image-Pflege laut werden, war dem studierten Volkswirt bewusst. „Wir stehen erst am Anfang einer Reise beim Thema Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage“, sagte Stickler mit Blick auf die Fortschritte in seinem eigenen Haus. Was er dann berichtete, ließ aber doch aufhorchen.

Ganzheitlicher Ansatz: "Wir stehen am Anfang eines Paradigmenwechsels"

So hat die Allianz Investment begonnen, ihre Kapitalanlage auf Nachhaltigkeit auszurichten: und zwar „ganzheitlich“, wie der Manager ausführte. Für „alle Assetklassen, Portfolios und Versicherungssparten“ seien weltweit Schwellenwerte definiert worden, wonach ein bestimmter Mindestanteil der Gelder sozial und grün investiert werden muss. Dabei orientiere man sich an sogenannten ESG-Kriterien, wobei ESG für „Environment Social Governance“ steht. Also Kriterien des Umweltschutzes, der sozialen Verantwortung und Unternehmensführung.

„Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, stellt sich die Frage: Warum das Ganze? Ist es eine Modeerscheinung?“, so Stickler. „Wir sind der festen Überzeugung, dass es keine Mode ist, bei der es etwa darum geht, neue Zielgruppen zu erschließen, um Political Correctness oder um ein Feigenblatt, indem wir für 20 Millionen einen schönen ESG-Fonds kaufen und sagen: Wir machen jetzt grüne Politik. Nein, wir stehen am Anfang eines Paradigmenwechsels“.

Das Thema Nachhaltigkeit liege in der DNA der Versicherer, da man langfristige Risiken absichere und mindere, erläuterte der Manager. In weltweiten Gesprächen würden die Anlageexperten der Allianz merken, dass sich die Risikofaktoren verschoben hätten: weg von ökonomischen Fragen, hin zu Fragen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes. Dies hätten zum Beispiel auch die letzten Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos gezeigt, bei denen Staatenlenker vermehrt derartige Themen diskutiert haben. Unter anderem standen dort Risiken durch Wetterextreme und durch zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit auf dem Themenzettel.

Erfolgreiches Risikomanagement sei der Schlüssel zum Erfolg eines Versicherers, erläuterte der Volkswirt weiter, dieses komme ohne Nachhaltigkeitsmanagement künftig nicht mehr aus. Das zeige etwa die steigende Zahl an teuren Unwetterkatastrophen: Die Folgen fehlender Nachhaltigkeit machen sich unmittelbar in den Finanzbüchern der Versicherer bemerkbar.

„Die Versicherung als große Finanzdienstleistungsbranche hat eine enorme Verantwortung auch gegenüber den Gesellschaften, in denen sie operiert!“, appellierte der Manager. Er rechnet damit, dass auch bei den Regulierungsvorgaben und in der Gesetzgebung Kriterien der Nachhaltigkeit verstärkt Einzug halten werden, zumal der Druck der Zivilgesellschaft steige.

An dieser Stelle sei auch auf den jüngst veröffentlichten "Global Environment Outlook 6" der UNO verwiesen: Allein 2015 seien laut dem Bericht neun Millionen Todesopfer auf Umweltverschmutzung zurückzuführen gewesen, auch Millionen von Erkrankungen. Als Ursache genannt wird nicht allein Luftverschmutzung, sondern zum Beispiel auch verseuchtes Grundwasser sowie mit Schadstoffen belastete Nahrung und Böden.

Änderungen im Dialog mit Unternehmen - und wissenschaftlich begleitet

Neben der Ganzheitlichkeit sei ein zweites wichtiges Kriterium für den eigenen Nachhaltigkeitsansatz, so erklärte Stickler weiter, dass der Umbau "wirkungsorientiert" erfolge. Mit anderen Worten: Die Allianz lässt beobachten, ob die ergriffenen Maßnahmen tatsächlich Fortschritte bringen oder ob es beispielsweise unerwünschte Nebeneffekte gibt. Und Geld will das Investmenthaus mit grünen Geldanlagen auch verdienen.

„Wir müssen messen können, was wir mit den veränderten Investments bewirken“, so Stickler, es gehe um "Hard Facts". Dafür arbeite der Investor verstärkt mit NGOs und Wissenschaftlern zusammen, weil im eigenen Haus die Expertise fehle: "Diese Skills haben wir nicht!". Zudem habe man sich in ein Digitalunternehmen eingekauft, das ESG-Daten mittels künstlicher Intelligenz sammelt und auswertet: Den Namen der Firma wollte der Manager aber auf Nachfrage eines Journalisten nicht nennen.

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Claus Stickler betonte, der Umbau zu nachhaltiger Geldanlage könne nur im Dialog mit den Unternehmen erfolgen, in die man bereits investiere oder noch investieren wolle. So achte die Allianz nicht nur darauf, welche Firmen ESG-Kriterien bereits umgesetzt haben. Man gehe auch hinein, gebe Feedback und fordere aktiv Verbesserungen ein, zum Beispiel: "Ihr zahlt ungleiche Löhne für Frauen und Männer? Könnt ihr das abstellen und bis wann?" Hierbei nutze die AIM auch ihren Einfluss als Investor. Erst, wenn es keine Verbesserungen gebe, ziehe man sich als Geldgeber zurück.

SBTi-Kriterien: Hin zum klimaneutralen Fußabdruck

Eine wichtige Info des Vortrages war, dass die Allianz bis 2050 komplett klimaneutral werden will. Und zwar nicht allein bei der Anlage der Kundengelder, sondern auch im Versicherungsgeschäft, wie Stickler auf die Nachfrage eines Zuhörers noch einmal konkret bestätigte. Den CO2-Fußabdruck wollen die Münchener nach und nach reduzieren.

Für das Ziel der Klimaneutralität arbeitet die Allianz mit dem Non-Profit-Netzwerk Science Based Target Initiative (SBTi) zusammen. Dieses Netz soll Unternehmen unterstützen, Klimaziele zu definieren und Instrumente zu entwickeln, um den Erfolg messbar zu machen, ebenfalls mit wissenschaftlichen Methoden. Als Orientierung gilt das Pariser Abkommen von 2015. Demnach soll die durch Treibhausgase verursachte Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden.

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Allerdings zeigt der Vorstoß, dass es die Allianz in Sachen Klimaschutz dann doch nicht so eilig hat. Das Pariser Abkommen sah vor, dass bis 2020 Strategien entwickelt werden müssen, damit die Staaten ihre Klimaziele erreichen. Für Aufsehen hatte die Allianz bereits im letzten Jahr gesorgt, als sie angekündigt hatte, im Neugeschäft keine Kohlekraftwerke mehr zu versichern und bis 2040 sich auch vom Bestand der versicherten Unternehmen zu trennen, indem man laufende Verträge mit Kohlefirmen nicht verlängern will.

ESG-Werte lokal definiert

Bei der anschließenden Diskussionsrunde musste sich Stickler dann doch mit der Frage auseinandersetzen, wie viel Greenwashing beim Umbau des Investments dabei sei. So sagte er etwa, dass die Scores einzeln nach Branchen erhoben würden: eine IT-Firma habe zum Beispiel per se einen niedrigeren ökonomischen Fußabdruck als ein Autobauer.

Er wollte aber kein Beispiel nennen, wie hoch die Schwellenwerte sind: Welcher Anteil des Portfolios also mindestens nachhaltig angelegt werden. "Wie viel Prozent der Kapitalanlagen müssen nachhaltig sein und wie schmutzig darf der Rest sein?", wurde der Allianz-Manager konkret von Moderator Fred Wagner vom Institut für Versicherungswissenschaften gefragt.

"Es gibt am Ende immer jemand, der fragt: Wieso ist es nicht doppelt so viel?", begründet der Manager die Zurückhaltung, warum er keine Zahlen nennen wolle. Moderator Fred Wagner gab zu bedenken, dass Transparenz auch zu nachhaltigem Investment gehöre.

Laut Stickler können konkrete ESG-Kriterien und damit verbundene Mindeststandards sowie Schwellenwerte nur lokal definiert werden. Man müsse in die Länder hineingehen, denn Nachhaltigkeit bedeute in Frankreich, den USA oder gar asiatischen Staaten etwas anderes als in Deutschland. Als Beispiel für Unterschiede wurde genannt, dass Atomstrom in Frankreich als grüne Ökologie gelte, hierzulande aber keineswegs.

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Auf die Frage: "Schließen Sie Unternehmen, die ESG-Kriterien derzeit nicht erfüllen, aus dem Underwriting aus?", antwortete der Allianz-Manager: "Ehrliche Antwort: nein". Man verfolge stattdessen eine Politik der kleinen Schritte, bei der die Investment-Seite aber vorangehe. So habe man zum Beispiel soeben 20 Millionen Euro in Frankreich in ein Social-Housing-Projekt gesteckt und erweitere den Anteil erneuerbarer Energien.

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