Wiederanlage: Marktsegment mit viel Potential

Was tun mit dem Geld, das man plötzlich zur Verfügung hat? Diese Frage stellen sich viele ältere Menschen, nachdem die Lebens- oder Rentenversicherung fällig wurde. Versicherer freilich haben ganz eigene Vorstellungen – wäre ihnen doch am liebsten, würden die einst geworbenen Kunden das Geld gleich wieder in Vorsorge- und Versicherungsprodukte stecken, zum Beispiel in den Abschluss einer Rentenversicherung, die mit Einzahlung des Betrags eine monatliche Rente leistet. Aber glaubt man einer Studie des Marketingberaters Simon-Kucher & Partners, tun sich Lebensversicherer mit dem Bewahren der Kundschaft schwer.

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So ergab eine Umfrage unter 45 deutschen Versicherungshäusern: Eine Wiederanlagequote von 25 Prozent traue man sich zu, die durchschnittliche Wiederanlagequote aller befragten Versicherer jedoch würde nur bei 13,5 Prozent liegen. Laut Frank Gehrig, Partner des Beratungsunternehmens, würden die Versicherer deswegen „jedes Jahr 4,6 Milliarden Euro auf der Straße liegen“ lassen. Aber Gering nimmt an, es wäre sogar noch mehr drin. Ein Betrag von 6,6 Milliarden Euro pro Jahr wäre umsetzbar, könne man mehr Kunden für Wiederanlageprodukte gewinnen, schätzt der Marketingexperte.

Das Problem: Keine Strategien und kein digitales Rüstzeug

Was aber verhindert den Erfolg? Die Auswertung der Studie ergab: Zwar kontaktieren immerhin 84 Prozent der Versicherer ihre Kunden mindestens neun Monate vor Ablauf der Police. Jedoch nehmen nur elf Prozent überhaupt die Chance wahr, gleichzeitig einen neuen Verkaufsprozess anzustoßen. Und nicht weniger als alle Befragten (= 100 Prozent) meinten, es gäbe in ihrem Haus keinen systematischen Verkaufsprozess, der Strategien für den Verkauf von Wiederanlageprodukten zugrundelegt.

Ein weiteres Problem besteht im fehlenden technischen Rüstzeug: 76 Prozent der Befragten begründen die niedrige Wiederanlagequote zugleich durch fehlende digitale Tools beziehungsweise fehlende Vertriebssoftware, die speziell für Wiederanlageprodukte bereitgestellt wäre.

Die Antworten der Umfrage zeigen aus Sicht der Marketingexperten: Es gäbe kein „gelerntes Verhalten“ und keine stringenten Konzepte in den Häusern der Versicherer, um Wiederanlageprodukte an die Frau oder den Mann zu bringen. Um dies zu ändern, müssten Vertriebsprozesse optimiert und müsste natürlich auch die notwendige Software zur Verfügung gestellt werden. Auch empfehlen die Studienmacher, zunächst die Kundensegmente mit Wiederanlagepotenzial besser zu analysieren und Produkte auf die Bedürfnisse der Kunden zuzuschneiden. Denn vielleicht klappt es dann auch mit den mehreren Milliarden Euro an Mehreinnahmen, die sich die Versicherer zutrauen.

Umdeckungen vor Ablaufphase: umstritten

Zugleich sei aber darauf hingewiesen, dass die Wiederanlage von Kundengeldern durchaus Fallstricke und Haftungsrisiken birgt: sie deshalb auch in Branchenkreisen umstritten ist. So sind mehrfach bereits Vertriebe und Banken dadurch aufgefallen, dass sie den Senioren sehr fragwürdige Anlageempfehlungen gaben. Oder weniger charmant formuliert: die angehenden Rentner wurden vermutlich schlicht über den Tisch gezogen und ihnen unpassende Finanzprodukte aufgeschwatzt.

Als Beispiel kann die Anlageempfehlung einer Sparkasse dienen. Eine Bankberaterin hatte einer 80jährigen Rentnerin einen Bausparvertrag aufgeschwatzt, der vorsah, dass sie in 20 Jahren ihr Vermögen für einen Hausbau abrufen konnte. Zwar wehrte sich die Beraterin mit dem Argument, die Frau habe das Geld ja für ihre Tochter oder die Enkel nutzen können. Doch die Rentnerin beteuerte, sie habe das Geld für sich selbst nutzen wollen. Ein Vorgang, der bundesweit Schlagzeilen machte - aber kein Einzelfall ist (der Versicherungsbote berichtete).

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Hintergrund: Die Kurz-Studie „Wiederanlage“

Befragt wurden Teilnehmer aus 45 deutschen Versicherungshäusern, die Lebensversicherungen anbieten. Ergebnisse der Studie werden auf den Seiten des Marketingunternehmens vorgestellt.