Martin Gross, ver.di Landesbezirksleiter in Baden-Württemberg, sprach beim Warnstreik in Karlsruhe. Foto: ver.di Die Gewerkschaft ver.di hat den Innendienst der Versicherer zum Streik aufgerufen, nachdem die zweite Tarifrunde mit den Versicherern nicht den gewünschten Erfolg brachte. Allein in Baden-Württemberg gingen nach ver.di-Angaben am Dienstag rund 1.500 Angestellte auf die Straße, wie die Gewerkschaft per Pressemeldung berichtet. Von den Arbeitsausfällen seien unter anderem die Allianz und die Württembergische betroffen gewesen.

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Auch in Hessen fanden letzte Woche erste Warnstreiks mit insgesamt mehr als 1.000 Teilnehmern statt. Bestreikt wurde unter anderem die Allianz in Frankfurt am Main sowie Axa, SparkassenVersicherung und R+V in Wiesbaden. Etwas kleiner war das Teilnehmerfeld in Bayerns Landeshauptstadt München, wo sich 200 Innendienst-Angestellte mit Beschäftigten des Einzelhandels zu einem gemeinsamen Streiktag trafen.

Streit um Lohnerhöhung und Zukunftsvertrag

Bei den Streiks geht es zunächst darum, dass die Arbeitgeber die ver.di-Forderung nach einer Lohnerhöhung von 4,5 Prozent nicht erfüllen wollen. Stattdessen wollen die Versicherer die Tariflöhne stufenweise anheben, und zwar deutlich niedriger. Ab November 2017 soll es 1,1 Prozent mehr Lohn geben, ein weiteres Prozent ab November 2018 sowie zusätzliche 0,9 Prozent ab November 2019. Unter dem Strich ein Reallohnverzicht, klagt ver.di. In zwei Tarifrunden konnte keine Einigung erzielt werden (der Versicherungsbote berichtete).

Martin Gross, ver.di Landesbezirksleiter in Baden-Württemberg, sagte in Karlsruhe: „Mit dem Angebot der Arbeitgeber sind die nächsten drei Jahre Reallohnverlust vorprogrammiert. Auch Versicherungsbeschäftigte müssen in Karlsruhe und Stuttgart Mieten zahlen, die durch die Decke gehen. Die Zukunft der Branche gestalten geht anders.“

"Früher gab es wenigstens noch warme Worte..."

Darüber hinaus fühlt sich der Innendienst zu wenig wertgeschätzt. Denn die Versicherer begründen ihre Lohnzurückhaltung unter anderem damit, dass teure Digitalisierungs-Programme finanziert werden müssen. Die Ergo hat zum Beispiel eine Milliarde Euro für den Konzernumbau von ihrer Mutterfirma Munich Re in die Hand bekommen. Auch der Marktführer Allianz hat bereits einen dreistelligen Millionenbetrag in seine Digitalstrategie investiert. Viele andere Versicherer folgen dem Beispiel der Großen. Auf Kosten der Angestellten?

Ein "Zukunftstarifvertrag Digitalisierung", den ver.di vorgelegt hat, fand bei den Arbeitgebern bisher kein Gehör. Darin fordern die Gewerkschafter unter anderem den Ausschluss betriebsbedingter Beendigungskündigungen bis Ende 2020, Rechtsansprüche auf Altersteilzeit, Qualifizierungsfonds für Bildungsmaßnahmen und die kollektive Arbeitszeitverkürzung bei geplanten Stellenabbaumaßnahmen mit Teillohnausgleich.

Auf der Kundgebung in Stuttgart sagte ver.di-Landesfachbereichsleiter Frank Hawel: „Es ist doch zynisch, von den Beschäftigten Reallohnverzicht zu verlangen, um dann damit die Zukunftsinvestitionen zu finanzieren, die weiteren Arbeitsplatzabbau zur Folge haben sollen. Früher gab es wenigstens noch warme Worte, jetzt nicht einmal mehr verbale Wertschätzung.“

AGV: Nahezu alle vorgeschlagenen Lösungen bedeuten "zusätzlichen Kostenfaktor"

Beim Arbeitgeberverband der Versicherungen (AGV) sieht man die Situation freilich anders. Stichwort "Zukunftstarifvertrag": Es sei schwierig, die Digitalisierung tarifvertraglich zu „regeln“. Vielmehr erfordere die digitale Transformation passgenaue betriebliche Vereinbarungen, also individuell verschiedene Lösungen innerhalb eines Konzerns, so positioniert sich der AGV auf seiner Webseite.

Hingegen würde eine tarifliche Regel für alle Innendienst-Angestellte flexible Lösungen in den Betrieben verhindern, kritisieren die Arbeitgeber. Nahezu alle gewerkschaftlichen Forderungen stellten zudem eine "zusätzliche Kostenbelastung" dar, "so dass man hinter diese ein Preisschild heften müsse". Und statt betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen, will der AGV sogar die Regeln für Arbeitnehmerüberlassung und individuelle Absprachen in den Betrieben lockern. Auch hätten die jetzigen Streiks zu keinen nennenswerten Betriebsstörungen geführt.

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Dass die stufenweise Gehaltsanhebung ein Reallohnverlust bedeute, stellt der Arbeitgeberverband ebenfalls in Frage. Andreas Eurich, Vorsitzender des AGV, verwies auf die hohe Vorbelastung für das Jahr 2017: Jeder Versicherungsangestellte hat aufgrund des letzten Tarifabschlusses vom 23. Mai 2015 in diesem Jahr schon 1,5 Prozent mehr Tariflohn als im Jahr 2016 “in der Tasche“, weil die letzte Tarifanhebung (2,1 Prozent ab. 1. Oktober 2016) erst drei Monate vor Jahresende erfolgte. Es ist also keine schnelle Einigung zu erwarten, wenn am 2. Juni in Hamburg die dritte Tarif-Verhandlungsrunde stattfindet.

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