Wenn es schon nicht so gut läuft, dann kommen auch noch Verletzungen und Krankheiten dazu. So geht es nicht nur manchen Menschen, sondern auch bestimmten Geschäftsmodellen. Beiden ist gleich, dass manche Maßnahmen zur Vorbeugung gegen Erkrankungen viel früher zu treffen gewesen wären. Wäre und hätte... – wir kennen das.

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Die äußeren Ursachen der Krankheiten

Die nach wie vor nicht durchgestandene Finanz- und Wirtschaftskrise hat mit ihren Auswirkungen auch die deutschen Lebensversicherer erreicht. Jahrelang konnte man sich noch zurücklehnen und auf die angeschlagenen Banken zeigen, jetzt ist man aber selbst zum Opfer geworden. Die anhaltende Niedrigzinsphase hat massive Auswirkungen auf die Unternehmen selbst und auf die Kunden. Der Teufelskreis von Ursachen und Wirkungen dreht sich immer schneller.

Immer geringere Renditen wirken sich hemmend auf die Unternehmen selbst aus. Der Druck des Garantiezinses für Altverträge wird immer stärker. Bereits vor Jahren prognostizierten einige Konzernlenker massive Probleme im Angesicht von ablaufenden Lebens- und Rentenversicherungen beim Anhalten der Niedrigzinsphase. Das Beispiel von Japan wurde immer stärker zum möglichen Krankheitsbild für die deutsche Lebensversicherung.

Der @AssekuranzDoc

Der @AssekuranzDoc

Dr. Peter Schmidt ist Experte Personenversicherungen und Unternehmensberater im Bereich Versicherungen, Vertriebe und Makler mit langjähriger Erfahrung als Führungskraft und Vorstand bei deutschen Versicherern und twittert als @AssekuranzDoc.

Die zarten Pflänzchen einer Trendwende bei der Verzinsung von Kapitalanlagen könnten freudig begrüßt werden, wenn da nicht auch ein weiteres Risiko daraus erwachsen könnte. Drehen die Zinsen in absehbarer Zeit nach oben, könnte sich das als neuer Nachteil für die Lebensversicherer erweisen, weil dann zu viel Kapital in niedrig verzinsten und langlaufenden Anlagen gebunden ist.

Die Kundschaft der Lebensversicherer ist von dem Strudel der Niedrigzinsphase mehr betroffen als auf den ersten Blick vermutet. Vordergründig sind nur die Mini-Zinsen für das Sparbuch. Und nicht selten gratulieren Banken und Sparkassen den Kunden, wenn diese ihre Spareinlagen abziehen und ein Häuschen oder etwas anderes davon kaufen. Die verordneten Strafzinsen der EZB für Einlagen der Banken wirken.

Noch schlimmer ist aber die Wirkung der Niedrigzinsphase auf das ohnehin nicht mehr stark ausgeprägte Sparverhalten der Deutschen. Dieses wird weiter ausgebremst. Viele Mitbürger, die noch sparen könnten, ziehen sich auf das Argument zurück: Es lohnt sich ja eh nicht mehr. Für die deutsche Gesellschaft und Volkswirtschaft türmen sich dadurch die bestehenden Probleme immer weiter auf. Die Bevölkerung wird im Durchschnitt immer älter. Der notwendige Vorsorgebedarf steigt und steigt. Sparen fürs Alter wäre notwendiger denn je. Wird aber nicht gespart – in welcher Form auch immer –, dann steigt die Gefahr der Altersarmut noch weiter.

Teil 1 der verordneten Medizin

Die staatlich oder selbst verordnete Medizin für die Lebensversicherer der letzten Jahren hatte zunächst viel bitteren Beigeschmack und die Wirksamkeit muss sich erst noch erweisen. Der verordnete Aufbau von Zinszusatzreserven oder die mehrfache Senkungen des Höchstrechnungszinses haben vor allem erst mal Geld gekostet, bevor eine Entlastung eintrat.

Auch für die nächsten Jahre wird eher noch mit einem Anstieg für die Lasten der Zinszusatzreserve gerechnet. Allein 2015 wurden insgesamt 10 Milliarden Euro für die Auszahlungen von Lebensversicherungen mit hohen Zinsversprechen in den kommenden Jahren zurückgestellt. Insgesamt ist diese Reserve jetzt bei fast 30 Milliarden Euro angekommen. Das ist durchaus eine richtige und wirkungsvolle „Medizin“.

Der Prozess der Besserung für die Lebensversicherer wurde und wird dadurch erschwert, dass gleichzeitig auch noch andere Erkrankungsbilder behandelt werden müssen. Die qualvolle Vorbereitung von Solvency II oder die neu aus dem Boden zu stampfenden Lebensversicherungsprodukte ohne Zinsversprechen haben enorme Ressourcen gebunden. Solche Umstellungen fallen umso schwerer, wenn die IT noch auf dem Niveau der 1980er oder 1990er Jahre ist.

Das „Wehklagen“ des Patienten Lebensversicherung bei der Politik in Berlin und Brüssel hatte auch nicht vollumfänglich den gewünschten Erfolg. Seit Jahren kritisiert die Branche die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Immer mehr und billigeres Geld soll die andauernde Wirtschaftskrise in großen Teile Europas beenden. Rücksicht auf die deutschen Lebensversicherer, bekanntlich etwas ganz Besonderes in Europa, gibt es nicht.

Nur im politischen Berlin findet das Hilfeersuchen im Wissen um die Rolle der deutschen Lebensversicherer als wichtigem Investor Gehör. Doch die Politik sitzt in dieser Frage auch immer zwischen zwei Stühlen. Den Lebensversicherern Entlastung verschaffen? Ja, das will man.

Aber da sind noch die Kunden und deren Verbraucherschützer. Und mit denen will man sich in Zeiten einer angespannten gesellschaftlichen Situation auch nicht weiter verderben. So wurde mit dem Gesetzespaket zur Senkung der Garantiezinsen gleichzeitig auch eine „gerechtere“ Verteilung der Bewertungsreserven verordnet.

So wurde eine für die Kunden erfreuliche Entscheidung gleichzeitig für die Versicherer ein gravierender Eingriff ist eine langfristige Risikopolitik. Und wie immer bei Regulierungsmaßnahmen gab es neue Kosten, Kosten, Kosten.

Die inneren Ursachen der Krankheiten

Als wären die äußeren Einflüsse nicht schon gravierend genug, muss sich der Patient Lebensversicherung auch noch mit den hausgemachten Handicaps herumschlagen. Derer gibt es so viele und je nach Unternehmen auch verschiedene. Hier kann man deshalb nur einige streifen.

Beginnen wir bei Managemententscheidungen zur Produktpalette und der Argumentation im Vertrieb. Nur wenige Versicherer haben bereits bei den Anfängen der Finanzkrise die richtigen Schlussfolgerungen in Bezug auf die angebotene Produktpalette gezogen. Es fehlte, oft auch unter dem Druck des Vertriebes, die Entschlusskraft und Weitsicht, den Weg der klassischen Lebensversicherung mit hohen Garantieversprechen zu verlassen.

Der Vertrieb hat es seit mehr als zwanzig Jahren verlernt, die eigentlichen Assets der Lebens- und Rentenversicherungen in Beratungsargumente umzusetzen. Im Kern reduzierten man die Argumente der Vermittler nur noch auf Prozente in den Garantieversprechen im Wettstreit zu den Banken.

Berechtigt stellen Verbraucherschützer immer wieder die Frage, wie viele Lebensversicherungen von Kunden in den letzten Jahrzehnten mit dem Argument storniert oder beitragsfrei gestellt worden sind, weil ein Vermittler den anderen mit höheren Renditeversprechungen zu übertrumpfen suchte?

Doch je heftiger das Pendel nach der einen Seite ausschlägt, umso heftiger kommt es zurück. So auch bei der Auflage der Politik an die Versicherer, die Kosten für den Vertrieb zu senken. Ein Teil der Versicherer senkte die Vergütungen so stark, dass keine vernünftige und adäquate Vergütung für eine kompetente Beratung der Kunden durch die Vermittler rentabel durchgeführt werden kann. Die Verkaufsergebnisse brachen. Die Schlussfolgerungen einiger Versicherer für die Beendigung der Zusammenarbeit mit freien Vermittlern kennen wir inzwischen.

Der andere Teil der Versicherer, die bis heute das LVRG weitgehend ignorieren, werden ihre Quittung noch erhalten. Hohe Kosten werden die bereits jetzt bei einigen Unternehmen erreichte Grenzwertbelastung beschleunigen oder die Marktwächter der einen oder anderen Gattung auf den Plan rufen.

Teil 2 der verordneten Medizin

Die Ursachen und Auswirkungen der „inneren Krankheiten“ der Lebensversicherer sind sehr unterschiedlich. Im Kern können aber diese hausgemachten Probleme nicht mit einer Schocktherapie kurzfristig behoben werden.

Kostenmanagement, Anlagepolitik, Produkte und die Vertriebsausrichtung sind auf eine lange und veränderte Zeit auszurichten. Aktionismus ist auch hier fehl am Platze. Es sei denn, ein Unternehmen hat bereits jetzt die Grenze der Belastung überschritten. Dann ist auch ein Rückzug aus dem Geschäftsfeld richtig und für die Kunden verantwortungsvoll.

Eine zügige Anpassung an die veränderten Rahmenbedingungen ist ein richtiger Weg, den viele Versicherer bereits eingeschlagen haben. Besonders in der Anlagepolitik ist Veränderung zu spüren. Noch mehr Diversifikation und noch mehr gestaffelte und flexible Kapitalbindungsdauer gehören zu den ergänzten Instrumenten zur Anlage der Kundengelder.

Aber manche gewählte Medizin zu Wahrung der Finanzkraft des eigenen Unternehmens kann auch ins Gegenteil umschlagen. Aus dem Komplex der Senkung der eigenen Zinsen zur Stärkung der eigenen Finanzkraft und steigenden Belastungen durch die Finanzierung der Zinszusatzreserve über Ausschüttungen aus den Bewertungsreserven kann die Substanz der Lebensversicherer eine Schwächung erfahren. Diese führt früher oder später auch zu negativen Auswirkungen im Vertrieb.

Für den Vertrieb sind für meine Auffassung noch die richtigen und differenzierten Heilmittel zu suchen. Vielfach wirkte die Keule der Vergütungskürzung wie das Sägen am Ast, auf dem man selbst sitzt. Kein Zweifel, die Kosten müssen auch in diesem Segment runter, aber eine qualitativ hochwertige Kundenberatung gerade für kompliziertere Vorsorgeprodukte ohne Zinsgarantie gibt es nicht zum Nulltarif. Die bisher vielerorts gemachten Schritte zur Kostensenkung sind mir oft zu einseitig und populistisch.

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Wenn sich die Lebensversicherungsbranche zu ihrer sozialen Aufgabe einer oder mehrerer zusätzlicher Säulen der Altersversorgung in Deutschland bekennt, dann muss sie auch so handeln. Solange aber noch übermäßige Kosten mangels grundlegender und effektiver Branchenstandards durch „mittelalterliche“ Kommunikations- und Administrationstechniken erzeugt werden, können die Branche und ihrer Vertreter als Patienten nur langsam genesen.