Versicherungsbote: Herr Hagemann, Sie sind Chefaktuar von Mercer und bewirtschaften als Mathematiker sozusagen die ganz großen Kollektive, wenn es um Betriebsrenten geht. Nun frage ich Sie einmal wie ein junger Vermittler, der die bAV noch nicht kennt. Wie kann ein junger Versicherungsmakler am besten in das Geschäft mit Betriebsrenten einsteigen?

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Thomas Hagemann: Als Versicherungsmakler ist es naheliegend, sich zunächst einmal mit der Direktversicherung zu beschäftigen. Die Technik ist dieselbe wie bei den bekannten privaten Versicherungen. Neu sind die abweichende steuerliche Behandlung und arbeitsrechtliche Vorgaben. Das wäre ein guter Einstieg.

Versicherungsbote: Sollte sich der bAV-Youngster einen Alten Hasen als Mentor zur Hilfe nehmen? Wie lange lernt man eigentlich, bis man Direktversicherung oder Pensionskasse -sagen wir- gelernt hat, um die einfache Betriebsrente korrekt verkaufen zu können?

Hagemann: Auch nach 20 Jahren wird man bei Kundengesprächen noch auf Fragestellungen stoßen, auf die man selbst nie gekommen wäre. Das Themengebiet ist zu umfangreich, als dass man hier irgendwann ausgelernt haben könnte. Daher sollte man auf jeden Fall jemanden im Hintergrund haben, den man bei Fragen ansprechen kann.



Versicherungsbote: Wie erklären sie eigentlich einem jungen Mitarbeiter, was bAV ist?

Hagemann: Neue Mitarbeiter müssen sich gleich mit der Definition aus dem Betriebsrentengesetz beschäftigen: Wir brauchen einen Arbeitgeber und einen Arbeitnehmer, es wird eine Zusage anlässlich des Arbeitsverhältnisses erteilt und neben einer reinen Alters- sind auch Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung möglich.



Versicherungsbote: Sollte ein bAV-Starter als Vermittler eher zuerst einen Chef samt Betrieb ansprechen, um dann sagen wir gleich um 20 oder 50 zahlende Kunden zu werben oder lieber bei erkanntem bAV-Bedarf eines Privatkunden erst dann dessen Chef ansprechen?

Hagemann: Die Arbeitnehmer haben ja seit einigen Jahren einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung gegen Entgeltumwandlung. Die Unternehmen haben darauf überwiegend reagiert, so dass sich für den Arbeitnehmer häufig nur die Möglichkeit ergibt, das bestehende Angebot anzunehmen. Aber wenn ein Makler direkt oder über einen unversorgten Arbeitnehmer auf ein (vermutlich kleineres) Unternehmen stößt, das noch keine bAV im Angebot hat, bietet es sich sicherlich in beiden Fällen an, direkt den Chef anzusprechen.



Versicherungsbote: Etwas aus der Praxis auch der Alten Hasen. Lohnt der Durchführungsweg Unterstützungskasse auch in Branchen mit hoher Mitarbeiterfluktuation? Bei vielen neuen Arbeitgebern passt die U-Kasse ja oft nicht ins Konzept.

Hagemann: Aus Verwaltungssicht ist bei Unternehmen mit hoher Mitarbeiterfluktuation die Direktversicherung sicherlich im Vorteil. Eine Direktversicherung kann dem Arbeitnehmer, der mit unverfallbarer Anwartschaft ausscheidet, bei richtiger Ausgestaltung einfach mitgegeben werden. Bei der Unterstützungskasse, wie auch bei anderen Durchführungswegen, entstehen viele kleine Anwartschaften ausgeschiedener Anwärter. Sofern man sich hier aber einer Anbieter-U-Kasse anschließt (und nicht eine eigene U-Kasse gründet) sollte das auch kein Hindernis sein, da sich hier die Verwaltung beim Arbeitgeber in Grenzen hält.



Versicherungsbote: Direktversicherung und Riester-Rente sind von der Rendite her fast gleichauf, haben viele Experten in den letzten Jahren vorgerechnet. Sollte der Berater wegen der Mobilitätsprobleme beim Arbeitgeberwechsel nicht eher Riester anbieten?

Hagemann: Auch die Direktversicherung kann ja bei Arbeitgeberwechsel mitgenommen werden, daher würde ich diesen Schluss nicht ziehen.



Versicherungsbote: Stimmt es aus ihrer Sicht, dass sich die einfache Entgeltumwandlung (Direktversicherung, Pensionskasse, -fonds) für den Sparer nur lohnen, wenn der AG einen Zuschuss zahlt?

Hagemann: Wir konnten das in unseren Berechnungen nicht bestätigen. Natürlich hängt die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Wirkung immer von der Höhe der Bezüge und von sonstigen Einkünften ab, so dass es Konstellationen geben kann, bei denen eine private Vorsorge tatsächlich günstiger ist. In der Regel ist aber die Entgeltumwandlung vorteilhaft.



Versicherungsbote: Wären sie für ein Opting-Out bei bAV, also bAV-Pflicht mit Abwahl-Möglichkeit? Oder alternativ eine Riester-Pflicht, ebenfalls mit Abwahloption?

Hagemann: Ich würde eher von einer automatischen Einbeziehung, „Auto enrolment“, wie es auf Englisch heißt, sprechen. Opting-out soll ja gerade nicht der Standard sein. Eine automatische Einbeziehung halte ich für sinnvoll. Bei neu eintretenden Mitarbeitern kann man das auch gleich im Arbeitsvertrag regeln, nur beim Bestand fehlt derzeit die Rechtssicherheit. 


Versicherungsbote: Gibt es Neuigkeiten zur so genannten Nahles-Rente als Nebenast der bAV? Zunächst wollte Sozialministerin Andrea Nahles von der SPD die Versicherer ja nicht in dieses System hineinlassen und stattdessen nur neue und spezielle Versorgungswerke von Arbeitgeber-Verbänden und Gewerkschaften oder nach Tarifverträgen erlauben. Wie ist da der Stand?

Hagemann: Zuletzt hat Frau Nahles im Frühjahr ein paar Erweiterungen angekündigt – zum Beispiel, dass neben Pensionsfonds und Pensionskassen auch Direktversicherungen erfasst werden sollen. Neben der einen oder anderen Meinungsäußerung gab es dann über Monate keine echte neue Entwicklung. Das BMAS hat jetzt aber ein Gutachten bei Prof. Peter Hanau von der Universität zu Köln und Rechtsanwalt Marco Arteaga von DLA Piper in Auftrag zur Weiterentwicklung des Sozialpartnermodells in Auftrag gegeben. Anfang März sollen Ergebnisse vorliegen.



Versicherungsbote: Wagen Sie eine Prognose, wie die Nahles-Rente kommen wird?

Hagemann: Lieber nicht!



Versicherungsbote: O.K. Sie sind ein Mann der Vorsicht. Anders gefragt: Wie würde die Nahles-Rente aus ihrer Sicht auf die bAV wirken? Auf längere Sicht tödlich?

Hagemann: Entscheidend ist die Frage, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer mitspielen. Die tarifliche Altersversorgung kann nur dann ein Erfolg werden, wenn auch entsprechende Tarifverträge geschlossen werden. In diesem Fall werden viele Arbeitgeber eine bestehende betriebliche Altersversorgung gegen die neue tarifliche Form austauschen – das Niveau dürfte dabei sinken. Es würden vermutlich mehr Arbeitnehmer versorgt werden, aber die Durchschnittsrente würde kleiner ausfallen.



Versicherungsbote: Ist es nicht unfair, dass Frau Nahles ausschließlich für ihre Rentenidee einer tariflichen Altersversorgung eine echte Beitragszusage einführen will?

Hagemann: Ziel von Frau Nahles ist es, möglichst viele Arbeitnehmer zu versorgen. Da erscheint die tarifliche Altersversorgung naheliegend – zumal in Verbindung mit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Allerdings ist aus meiner Sicht eine freiwillige, aber gut geförderte Altersversorgung erfolgversprechender als eine Tarifvertragslösung.

Versicherungsbote: Herr Hagemann, danke für diese bAV-Tour! Vom Profi für den Versicherungsmakler zur Orientierung und als Einstieg in das bAV-Jahr 2016.



Die Fragen stellte Markus Rieksmeier. Teil II. des Interviews können Sie hier lesen

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Thomas Hagemann schreibt regelmäßig zur bAV. Thomas Hagemann ist Chefaktuar bei Mercer Deutschland. Auf Facebook und Twitter postet Hagemann vor allem zur Rechnungslegung der bAV.

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