Wollte man bislang in Großbritannien privat fürs Alter vorsorgen, so wurden beim Eintritt ins Rentenalter die Ersparnisse in eine Jahresrente, die sogenannte „annuity“, umgewandelt. Diese wurde bis zum Tod bezahlt und ist gesetzlich seit 1921 festgesetzt. Nun soll sich jedoch für die Briten alles ändern und ab Frühjahr 2015 können sie sich ab 55 Jahren das gesamte Geld auf einmal auszahlen lassen. Die Briten sind damit nicht länger gezwungen, ihren „pension pot“ aus privater Vorsorge und betrieblicher Rente im Rahmen einer Jahresrente zu bekommen. Dies geht aus einem Bericht der Tageszeitung „Welt“ hervor.

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Die Neuregelung ruft allerdings auch Kritiker auf den Plan, die befürchten, dass die Briten das Geld schnell verprassen und dann dem Staat auf der Tasche liegen. Der britische Finanzminister George Osborne hält dieses Szenario für wenig realistisch und hofft, dass privates Alterssparen durch die Rentenreform attraktiver wird. Um der demografischen Entwicklung entgegen zu wirken, setzt er darüber hinaus das Rentenalter hoch. Ganz im Gegenteil zu Deutschland: Bei uns wird das Rentenalter gesenkt und die private Altersvorsorge verliert an Attraktivität.

Von der „annuity“ kann kein Rentner leben

Die Jahresrenten waren aufgrund der niedrigen Leitzinsen in den letzten Jahren stetig gefallen. So konnte ein Rentner im Schnitt mit einer Jahreszahlung von 1.000 Pfund (1.250 Euro) rechnen, wenn er über die Jahre 30.000 Pfund (38.000 Euro) einbezahlt hatte. Zu wenig, um davon zu leben: ein britischer Rentner benötigt im Schnitt etwa 12.000 Pfund (rund 15.00 Euro) jährlich. Und diese Rechnung funktioniert nur in Gegenden mit niedrigen Lebenshaltungskosten wie beispielsweise Nordengland und beinhaltet keine teuren ärztlichen Behandlungen oder Medikamente.

Daher galt die „annuity“ immer nur als ein Baustein innerhalb der Altersabsicherung. Jedoch haben die Briten durch hohe Lebenshaltungskosten, Konsumkredite und Hausdarlehen über die Jahre hinweg zu wenig Geld fürs Alter zurückgelegt. Die Privatverschuldung der Briten beläuft sich auf einen astronomisch hohen Wert von über 1,43 Billionen Pfund (rund 1,8 Billionen Euro).

Von der neuen Flexibilität erhofft sich die Regierung, dass sich die Briten mehr Gedanken über ihre Altersvorsorge machen und damit geschickter investieren. So könnten bis 2023 rund 50 Milliarden Pfund (etwa 62,7 Milliarden Euro) in den privaten Rentenmarkt fließen. Dies entspräche einem dreimal so hohen Wert wie heute. Das Marktsegment der Jahresrente belief sich bislang auf rund zwölf Milliarden Pfund (15 Milliarden Euro) und wird nun deutlich zurückgehen.

Ihre „pension pots“ können die Briten nun ab dem Frühjahr 2015 anlegen oder in flexiblere Jahresrenten stecken, den so genannten „super annuities“. Es gibt jedoch Befürchtungen, dass einige Briten in ihren bisherigen Verträgen gebunden sind oder nur mit einer Strafzahlung vorzeitig herauskommen. Hier besteht für die Regierung noch Handlungsbedarf, so dass jeder von den neuen Verträgen profitieren kann.

Australien als Vorbild für privaten Rentenmarkt

Die britische Reform des privaten Rentenmarktes hat das ähnliche australische Modell zum Vorbild. Jedoch gibt es in Australien aktuell Diskussionen darüber, aufgrund der steigenden Lebenserwartung der Australier wieder zum Modell mit den Jahresrenten zurückzukehren. Für die Australier wird es aufgrund der steigenden Lebenserwartung sehr schwer, entsprechend zu kalkulieren. Keiner weiß, wie alt er werden und wie lange sein „pension pot“ daher reichen wird.

In Großbritannien sieht man die Gefahr, dass die Leute das Geld verprassen, als wenig realistisch an. Grund zu dieser Annahme gibt die staatliche Grundrente, die ab 2016 kommen soll. Diese staatliche Grundrente sichert den Briten jährlich rund 8.000 Pfund (ca. 10.000 Euro). Hinzu kommen Sozialhilfe und Wohnungsbeihilfe. Damit lässt es sich nicht gut leben und man geht daher davon aus, dass die Briten darüber hinaus privat vorsorgen.

Briten heben Rentenalter auf 70 Jahre an

Ganz entgegen zum deutschen Rentenmodell heben die Briten das Rentenalter in einem ersten Schritt auf 67 Jahre an, in einem weiteren Schritt sogar auf 70 Jahre. Im Rahmen des „auto enrolment“ müssen Arbeitgeber für alle Angestellten eine betriebliche Rente abschließen. So erhalten mehr und mehr Briten im Alter eine Betriebsrente und bilden fürs Alter Rücklagen.

In Deutschland hingegen gibt es für Unternehmen keine Pflicht zur Versorgung mit Betriebsrenten. Hier gibt es eine große Diskrepanz: Für große Unternehmen ist dies in der Regel gängige Praxis, in kleinen und mittelständischen Betrieben ist die Verbreitung von Betriebsrenten jedoch sehr gering.

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Die „pension pots“ spülen darüber hinaus zusätzliche Steuereinnahmen in den britischen Haushalt. 75 Prozent der Gelder müssen von den Briten versteuert werden und sollen in den kommenden fünf Jahren rund vier Milliarden Pfund (ca. fünf Milliarden Euro) in die Staatskasse einspielen.

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