Nach deutschem Recht erlischt die Möglichkeit zum Rücktritt spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Versicherungsnehmer zuvor überhaupt darüber informiert wurde. Der EuGH entschied, dass diese Regelung europäischem Recht entgegensteht (Urteil vom 19.12.2013, Az. C-209-12).

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Im konkreten Fall wollte ein Versicherungsnehmer, der 1998 einen Rentenversicherungsvertrag bei der Allianz abgeschlossen hatte, zehn Jahre später von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen, da er von der Allianz nicht über diese Möglichkeit aufgeklärt worden war. Über die Sachlage hatte schließlich der Bundesgerichtshof zu befinden. Der BGH fragte dazu beim EuGH an, inwieweit die Regelungen mit europäischem Recht vereinbar seien. Die Richter wiesen darauf hin, dass Art. 15 Abs. 1 der Zweiten und Art. 31 der Dritten EU-Richtlinie zur Lebensversicherung so auszulegen seien, dass das Rücktrittsrecht erst dann ein Jahr später erlischt, wenn der Versicherungsnehmer über dieses Recht auch belehrt worden sei.

Müssen Versicherer bis zu 400 Mrd. Euro zurückzahlen?

Der Versicherungsnehmer kann nach diesem Rechtsspruch auch nach der einjährigen Frist vom Vertrag zurückzutreten. Damit kann der Kunde die eingezahlten Prämien komplett zurückverlangen und erhält nicht nur einen deutlich geringeren Rückkaufswert, der sonst bei einer vorzeitigen Kündigung fällig wird.

Im Jahr 2002 wurden die Richtlinien zur Lebensversicherung ernuert. Im vorliegenden Fall hatten jedoch ältere Regelungen Gültigkeit, nach der ein Versicherungsnehmer innerhalb von 14 bis 30 Tagen vom Lebensversicherungsvertrag zurücktreten darf und vor allem auch über das Rücktrittsrecht genau zu belehren ist. Die nationale Regelung (§ 5a VVG) trat am 1. Januar 2008 außer Kraft. Damit gilt das Urteil für Verträge im Zeitraum von 1995 bis 2007.

Die Allianz gab an, dass insgesamt über 108 Millionen Versicherungsverträge von dem Urteil betroffen seien, für die Prämien von mehr als 400 Mrd. Euro gezahlt wurden. Das Unternehmen selbst hätte 9 Millionen Verträge in dem Zeitraum geschlossen und dadurch rund 62 Mrd. Euro Beitragseinnahmen. Daher hatte die Allianz beim EuGH beantragt, dass Urteil zeitlich zu begrenzen. Die Richter lehnten das ab. Der Konzern hatte nicht angegeben, bei wievielen Verträgen die Kunden nicht über ihr Rücktrittsrecht informiert worden waren.

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Der Bundesgerichtshof muss nun entscheiden, wie mit dem Urteil des europäischen Gerichtshof weiter verfahren wird. So ist zudem darüber zu entscheiden, inwieweit die Regelung auch auf bereits gekündigte Lebensversicherungen angewendet werden kann. Verbraucherschützer sehen in dem Urteil die Rechte der Versicherungsnehmer bestärkt.

EuGH

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