Fünf Tage ist es her, dass an der Westküste der USA eine der schlimmsten Naturkatastrophen seit langer Zeit wütete: Hurrikan „Ian“ und die folgende Sturmflut. Stand 4. Oktober verloren allein im Bundestaat Florida 94 Menschen ihr Leben, Küstenstädte wie Fort Myers und Cape Coral wurden nahezu völlig zerstört, Häuser eingerissen, Schiffe an Land gespült. Noch immer werden zehntausende Menschen vermisst. Nur langsam können sich die Katastrophendienste Zugang zu schwer betroffenen Regionen verschaffen, das volle Ausmaß der Katastrophe ist aktuell noch gar nicht abzusehen.

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Doch schon jetzt ist klar, dass Ian auch finanziell eine Schneise der Verwüstung schlägt. Nicht nur viele Hausbesitzer dürften ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Auch für die Versicherungsbranche bedeuten die Schäden ein existenzielles Risiko. Gerade Anbieter, die regional stark engagiert sind, könnten die Folgen möglicherweise nicht überleben, weil sie zu viel Geld auf einmal erstatten müssten. Das berichten übereinstimmend mehrere Medien, unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ und „Politico“.

Hurrikan trifft Branche in der Krise

Wie hoch die Kosten für die private Versicherungswirtschaft ausfallen, ist aktuell nicht abzusehen. Laut „Süddeutscher Zeitung“ schwanken die Schätzungen derzeit zwischen 12 Milliarden und 80 Milliarden US-Dollar, wobei letztgenannte Zahl vom Analysehaus RMS stammt. Zum Vergleich: Hurrikan Katrina, das bisher schwerste Schadensereignis in jüngster Zeit, verursachte im Sommer 2005 rund 65 Milliarden US-Dollar Kosten. Neben Florida ist unter anderem auch South Carolina stark betroffen.

Die hohen Schadensforderungen treffen eine Branche, die in den Hurrikan-Regionen der USA ohnehin am Limit der Belastbarkeit agiert. Immer wieder suchen derartige Unwetter die Küstenregionen heim und verursachen Schäden. Bereits vor „Ian“ mussten in diesem Jahr sechs lokale Versicherer Insolvenz anmelden, wie die Zeitung palmbeachpost.com berichtet. Die lokale Aufsichtsbehörde Florida Office of Insurance Regulation (OIR) hat 27 weitere Anbieter unter strenger Beobachtung, weil sie um deren finanzielle Stabilität fürchtet. Die USA ist einer der größten Versicherungsmärkte der Welt und zählt mehr als 6.000 Anbieter. Die Versicherungsaufsicht in dem Land ist zerklüftet - und oft in der Hand der Bundesstaaten.

Immer wieder werden die Küstenregionen Floridas von Hurrikans heimgesucht - das wirkt sich auch auf den privaten Versicherungsschutz aus. In Florida bezahlen Hausbesitzer die landesweit höchste Rate für Sachversicherungen - im Schnitt 4.321 Dollar pro Jahr, das Dreifache des US-Durchschnitts. Das geht aus einer Analyse des Insurance Information Institutes (III) aus New York hervor. Infolge der Kosten verzichten viele Hausbesitzer darauf, ihre Immobilie gegen mögliche Schäden abzusichern.

Ein weiteres Problem: Aufgrund der hohen Kosten haben viele Versicherer Flutschäden aus dem Wohngebäude-Schutz herausgelöst, sodass diese gesondert versichert werden müssen. Schäden durch Stürme sind demnach vielfach versichert, während Schäden durch die Fluten oft nicht im Schutz inbegriffen sind. Das führt oft zu jahrelangen Rechtsstreiten, ob Zerstörungen am Haus durch den Sturm selbst ausgelöst wurden - oder die darauf folgende Überschwemmung. Aktuell werden noch zahlreiche Klagen vor US-Gerichten verhandelt, die Forderungen von Hurrikan "Irma" aus dem Jahr 2017 betreffen.

Vielen Hausbesitzern bleibt nur der Ausweg, sich dem staatlichen Flutprogramm der Federal Emergency Management Agency anzuschließen, das aber nur einen Teil der Kosten trägt. Das Programm war eine Folge davon, dass viele Hausbesitzer über den Markt keinen ausreichenden Schutz fanden. Doch auch diese Vorsorge wird von den Menschen vor Ort nur sehr eingeschränkt wahrgenommen. Mit fatalen Folgen: Nach Einschätzung des Insurance Institutes genießen nur 13 Prozent der Immobilienbesitzer in Florida Schutz gegen Überschwemmungen, so berichtet die Palm Beach Post. Vielen Familien droht nun der Ruin.

Kumulrisiko: Private Versicherer sind überfordert

Die Situation in den Hurrikan-Regionen lenkt den Blick auf die Grenzen der Versicherbarkeit. Treten Schäden gehäuft innerhalb in einer Region auf, spricht man von sogenannten Kumulrisiken. Das betrifft Risiken, für die man weltweit keinen oder nur sehr eingeschränkten Versicherungsschutz findet. Der Grund: Die potentiellen Schäden sind so teuer, dass weder ein privater Versicherer noch mehrere Anbieter die drohenden Kosten seriös kalkulieren und erstatten können. Die Risiken aus Atomkraft oder einer Dürre gehören dazu, aber auch Risiken durch Pandemien oder Krieg. Und im zunehmenden Maß Naturgefahren.

Denn nun zeigt sich erneut, dass Naturereignisse wie Ian die privaten Versicherer zu überfordern drohen. Übereinstimmend berichten die zitierten Medien, dass mit weiteren Insolvenzen zu rechnen ist - vor allem bei solchen Gesellschaften, die sich stark regional engagieren und ihre Risiken nicht diversifizieren können. Andere Anbieter hätten sich bereits vor der jüngsten Katastrophe nur helfen können, indem sie den Schutz in den Versicherungsbedingungen stark einschränkten, etwa Deckungssummen deckelten oder für bestimmte Ereignisse gar keine Deckung mehr boten. Auch Rückversicherer hätten sich zunehmend vom schwierigen Markt zurückgezogen.

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"Florida hat bereits ein Problem mit der Verfügbarkeit von [Versicherungen]. Es hat ein Problem mit der Erschwinglichkeit. Und es hat ein Problem mit der Zuverlässigkeit, wenn Versicherungsgesellschaften insolvent werden", zitiert Politico Nancy Watkins, eine Direktorin bei der versicherungsmathematischen Beratungsfirma Milliman. Sie sagt weiter: "Alle drei Säulen eines nachhaltigen Marktes sind bedroht".

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