Derartige Vergütungen schaffen für den Adressaten stets – und zwar sowohl bei der Auswahl des Anlageprodukts als auch hinsichtlich der Anzahl und des Umfangs einer Investition – einen Anreiz, nicht allein das Interesse der Kunden, sondern auch das eigene Interesse an möglichst umfangreichen Vergütungen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 19.12.2000 – XI ZR 349/99 -, S. 8). Darin liegt eine konkrete Gefahr (BGH, Urteil vom 19.12.2006 – XI ZR 56/05 -, Rn. 23), die immer besteht, – egal mit welchem Augenaufschlag das Gegenteil versprochen wird.

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Sie argumentieren, dass Privatanleger gegenüber institutionellen Investoren bei Fonds-Vertriebskosten benachteiligt werden. Welche Möglichkeiten nutzen Großanleger, um Kickbacks und andere Vertriebskosten bei Fonds zu umgehen? Weshalb ist das nicht im gleichen Maße Kleinanlegern möglich?

Professionelle Anleger müssen nicht einmal „groß“ investieren. Die für sie aufgelegten Anlageklassen sehen grundsätzlich keine Ausgabeaufschläge und reduzierte Verwaltungsgebühren vor. Sie nehmen entweder gleich und nur diese Fonds. Oder sie sprechen vor der Investition in für Privatanleger vorgesehene Chargen mit der KVG - Abteilung „Qualifizierte Kunden“ – und vereinbaren den Verzicht auf den Vertriebskostenaufschlag und die Erstattung des Vertriebskostenbestandteils der Verwaltungsvergütung. Kleinanlegern ist das schon dann nicht möglich, wenn die KVG das nicht will. Nach meiner Kenntnis ist das der Regelfall.

Wenn ein Sparer bei Publikumsfonds keine solchen Vertriebskosten zahlen will: welche Möglichkeiten gibt es, diese zu umgehen? Finden sich auf dem Markt genügend Alternativen, etwa auf Netto-Basis?

Die Marktverhältnisse kann ich nicht beurteilen. Netto-Basis-Publikumsfonds stehen bei der prämierten Beraterschaft vermutlich nicht in den Regalen. Bei (in der Regel ohne Kenntnis der praktizierten Ungleichbehandlung erworbenen) Altfonds gehe ich davon aus, dass von der KVG Ersatz wenigstens hinsichtlich des Aufschlags und der weiteren Vertriebskostenabzüge geschuldet ist. Ohne Mitwirkung der KVG und/oder eines Vermittlers, die auf Vertriebsentgeltaufschläge verzichten oder einer Depotstelle, die erhaltene Bestandsprämien auskehrt, dürfte es kein „Umgehen“ geben. Dem Vorhaben, einen Fonds schon mit der Absicht zu erwerben, sich die Vertriebskosten später zurückzuholen, könnten gesetzliche Hürden entgegenstehen (z. B. § 814 BGB).

Der Gesetzgeber hat sowohl im Bankenvertrieb mit MiFID II als auch im Versicherungsvertrieb mit Solvency II die Anforderungen an Kostentransparenz erhöht. Zudem sollen Fehlanreize bei der Vermittlung von Anlageprodukten ausgeschlossen werden, die bewirken, dass Privatanleger ein unpassendes Finanzprodukt erhalten. Sind derart versteckte Vertriebskosten aus Ihrer Sicht überhaupt zulässig? Wenn nein – warum finden sie dann immer noch Anwendung, nicht nur vereinzelt, sondern scheinbar systematisch?

Ein als "Verordnungsmanagement" bezeichnetes Prämiensystem eines Pharmaunternehmens sah vor, dass Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des betreffenden Unternehmens fünf Prozent des Herstellerabgabepreises erhalten. Dies hat der BGH als korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen bezeichnet (BGH, Beschluss vom 29. März 2012 – GSSt 2/11). Wendet man diesen Maßstab auch beim Vertrieb von Investmentfonds an – und die professionellen Investoren tun das! – ist die Zuwendungspraxis nicht zulässig. So steht es auch in § 70 WpHG. Die Ausnahmen, die diese Vorschrift nennt, sind tatsächlich die „107 %ige“ Regel. Worüber die Fachwelt schmunzelt. Korruption ist nicht erst, wenn ein Verhalten strafbar ist.

Nach meinem Eindruck fehlt es am Verständnis der über ein Jahrhundert andauernden geschäftsabschlussabhängigen Vergütungspraxis von vermeintlich neutraler Finanzberatung als korruptives Verhalten. Dieser Einsicht steht die urmenschliche kognitive Dissonanz entgegen, – eines der Grundelemente jeden Missbrauchs von Abhängigkeit und Vertrauen. Die größte Fehlleistung in dem Zusammenhang ist das Feigenblatt „Transparenz“. Denn die Transparenz, wie sie der Gesetzgeber genügen lässt, muss nicht mit der Verschaffung von Erkenntnis und Durchblick einhergehen – und geht deshalb auch nicht damit einher! Wer erkennt wirklich, ob der Berater den, der ihm vertraut, davor warnt, er könne ihn gegen einen Judaslohn verkaufen und Parteiverrat begehen? Die angeblich segensreichen Transparenzanforderungen überlassen es heute dem Zufall, ob der Anleger versteht, was der Urheber damit schon nicht offenlegen will.

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Wenn hingegen die Aufsicht überprüft, ob die sog. Anlegerschutzbestimmungen auch eingehalten werden, weiß sie, wonach sie in den Texten sucht. Weshalb sie es darin auch findet. Wer diese Vorkenntnis nicht hat, findet in Formulierungen wie „Kosten des Vertriebs“ und „kann weitergeleitet werden“ nicht, was damit angeblich bekannt gemacht werden muss: Hände weg wegen Kickback!

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