In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird die Zahl der Rentnerinnen und Rentner und auch der Pflegebedürftigen stark ansteigen, während immer weniger Erwerbstätige in die soziale Pflegeversicherung einzahlen. Das erfordere einen neuen Generationenvertrag, wie nun der PKV-Verband in einem Positionspapier argumentiert. Das sei notwendig, um die Sozialabgabenquote bei 40 Prozent zu begrenzen. Ohne Reformen könnte sich die Beitragslast der gesetzlich Versicherten in den kommenden 20 Jahren fast vervierfachen, warnt der Verband der privaten Krankenversicherer.

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Eine Reihe von Reformvorschlägen präsentiert nun der Verband: Darunter sinnvolle Forderungen, die dazu beitragen würden, dass sich mehr Menschen mit einer privaten Pflegezusatzversicherung eindecken. Aber auch Maßnahmen, von denen die Privatversicherer selbst profitieren würden: und die Frage erlauben, ob es beim Thema „Generationengerechtigkeit“ nicht auch Verlierer geben würde. Der Verband ist sich seiner Sache sicher: „Ein heute 35-jähriger Durchschnittsverdiener würde durch den „neuen Generationenvertrag“ in den nächsten Jahrzehnten beim Pflichtbeitrag so stark entlastet, dass er sich einen Vollkasko-Schutz per Zusatzversicherung aufbauen kann – und unter dem Strich sogar weniger zahlen muss als im heutigen Pflegesystem ohne Reform“, schreibt er auf seiner Webseite.

"Der Vorschlag des PKV-Verbandes baut eine Brücke zwischen den Generationen", so PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther: "Wer die Pflege sozial gerecht reformieren will, darf nicht nur an die heutigen Pflegebedürftigen denken. Genau da aber liegt die Schwäche vieler anderer Modelle. Ob Zuschüsse aus Steuergeldern, Pflege-Vollversicherung oder Deckelung von Eigenanteilen: Dies alles würde die Jüngeren noch weiter belasten und den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen."

Dabei enthalten die Vorschläge des Lobbyverbandes viele sinnvolle Ansätze:

  • Das Umlageverfahren in der sozialen Pflegeversicherung würde um eine kapitalgedeckte Säule ergänzt und gestützt
  • Die Verbreitung der -wichtigen- privaten Pflegezusatzversicherung könnte deutlich erhöht und besser gefördert werden, auch über die Tarifpartner und Arbeitgeber
  • Gerade jüngere Generationen könnten angehalten werden, zeitiger eine Pflegezusatz-Police abzuschließen: und so kostengünstiger von den dort gebotenen Leistungen profitieren, da die Prämien beim Neuabschluss abhängig sind vom Alter und von den Vorerkrankungen der versicherten Person
  • Die Prämien in der sozialen Pflegeversicherung müssten weniger stark steigen: Hier ist aber zu fragen, wie hoch die Kosten für den privaten Zusatzschutz sein werden.

PKV-Verband gegen Deckel bei Eigenbeiträgen

Die Ausgangssituation: Die Eigenanteile, die vollstationär untergebrachte Heimbewohner zahlen müssen, explodieren seit Jahren. Zum 1. Januar waren im Bundesschnitt 2.179 Euro im Monat aus eigener Tasche fällig, wie aus Zahlen des Verbands der Ersatzkassen hervorgeht. Das hat Debatten ausgelöst, ob hier die Politik stärker gegensteuern muss, um der Armut von Pflegebedürftigen und Angehörigen entgegenzuwirken. Eine Reform unter dem früheren Gesundheitsminister Jens Spahn sieht zumindest bei den „reinen“ Pflegekosten Zuschüsse vor, die sich aber an der Verweildauer im Pflegeheim bemessen. Zugleich sollen mehr Pfleger beschäftigt und diese besser entlohnt werden, was zusätzliche Kosten erzeugt.

Obwohl die Eigenanteile explodieren, spricht sich der PKV-Verband nun dagegen aus, diese Kosten zu deckeln und folglich stärker auf die Beitragszahler der Sozialversicherung umzulegen. Ein solcher Deckel „wäre eine mit der sozialen Lage von Hilfebedürftigen begründete, beitragsfinanzierte Leistungsausweitung der Pflegeversicherung für alle – also auch zugunsten der Mittel- und Oberschicht, der zugemutet werden kann, mit ihrem eigenen Vermögen und eigenem Einkommen für die Kosten bei Pflegebedürftigkeit aufzukommen bzw. vorzusorgen“, schreibt der PKV-Verband. Er spricht mit dem ehemaligen Caritas-Funktionär Georg Cremer von „Zielgruppenmissbrauch“. Das Armutsrisiko der Generation Ü65 liege zudem unter jenem der Gesamtbevölkerung.

Grundsätzlich bewertet der PKV-Verband die Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung als positiv: Sie erfülle bis heute ihren Gründungsauftrag, heißt es. So argumentiert der Verband auch dagegen, dass das Armutsrisiko durch die Pflegebedürftigkeit seit Jahren steige. Laut Statistischem Bundesamt hätten im Jahr 2000 noch 34,1 Prozent der Pflegebedürftigen Sozialhilfeleistungen bezogen: im Jahr 2020 nur noch 29,3 Prozent. Vor ihrer Einführung 1995 bezogen sogar noch 80 Prozent der Pflegebedürftigen in Einrichtungen Sozialhilfe. Was der Verband nicht erwähnt: durch die Sozialreformen der Agenda 2010 erlitten auch Sozialhilfe-Empfänger teils deutliche Einkommensverluste, wie etwa eine Studie des DIW Berlin von 2007 zeigte. Zugleich sei jede Ausweitung der Umlagefinanzierung weder nachhaltig noch generationengerecht, da Jüngere die Lasten zahlen müssten.

Neuer Generationenvertrag: weniger Anspruch aus Umlageverfahren, bis zu 100 Prozent aus privaten Produkten

Der PKV-Verband spricht sich nun für eine Dynamisierung der Ansprüche aus der gesetzlichen Pflegeversicherung aus. Nach einem Modell, von dem die privaten Versicherer profitieren würden: zunächst sollen die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung erhöht werden bzw. der Eigenanteil bei 50 Prozent gedeckelt, um die Pflegelücke zu schließen. Das würde ältere Jahrgänge entlasten, die über Privatvorsorge nicht mehr ausreichend vorsorgen können. Dann aber werden für zukünftige Generationen die Leistungsansprüche aus dem Umlageverfahren regressiv abgeschmolzen und Leistungen der Pflegeversicherung eingefroren: stark vereinfacht hätte dann nur noch Anspruch auf bestimmte Pflegeleistungen, wer privat mit Pflegezusatz-Policen vorgesorgt hat. Für die anderen würde die Pflegelücke immer größer.

Konkret würde das bedeuten, dass die künftigen Generationen auch deutlich mehr Privatvorsorge betreiben müssten, um steigende Kosten der Pflege aufzufangen: und speziell die Arbeitgeber bei den Pflegebeiträgen entlastet werden. Künftige Generationen würden aber auch deutlich weniger Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung erwerben. Warum das wiederum generationengerecht sein soll, dafür hat der Verband eine geradezu spitzfindige Begründung: Immer wieder hebt der Verband auf die vergleichsweise gute finanzielle Situation der Rentnerinnen und Rentner ab, die Mehrlasten rechtfertigen würden. Und auf die Möglichkeiten künftiger Generationen, Wohlstand zu erben.

“Der Realwertverlust der SPV schon in den Geburtsjahrgängen davor würde bereits die Generation der Babyboomer dazu zwingen, mehr für ihre Pflege vorzusorgen, sei es durch Versicherungslösungen, sei es durch individuelle Sparprozesse, sei es durch Reservierung von Schonvermögen für den Pflegefall“, schreibt zum Beispiel der Verband. „Dies lässt sich verteilungspolitisch damit begründen, dass die Babyboomer relativ viel zu vererben haben werden, ihnen aber relativ wenige Erben folgen.“ Was der Verband nicht erwähnt: Die Fähigkeiten zu erben und zu vererben sind in Deutschland sehr ungleich verteilt, wie etwa Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin zeigen.

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Das Ziel: der reale Anstieg der Pflegekosten soll zu 100 Prozent über Eigenanteile oder Privatvorsorge geschultert werden. “Für alle Personen bis Alter 60 wird ein progressiver Realwertverlust der eingefrorenen gesetzlichen Pflegeversicherung vollständig durch die private Vorsorge aufgefangen werden müssen. Hierfür bieten sich Pflegezusatzversicherungen im Sinne von Risikoversicherungen an, die nur im Pflegefall leisten, indem sie ein vereinbartes Tagegeld auszahlen oder sich an den Pflegekosten beteiligen“, schreibt und fordert der Verband.

Stärkere Förderung von Pflegezusatzversicherungen gefordert

Zugleich wird der Verband mit den niedrigen Kosten einer privaten Pflegezusatzversicherung, die schon heute jedem einen kostengünstigen Vollkasko-Schutz erlauben würden. Mit einem Alter von 35 Jahren sei ein Schutz mit einem Monatsbeitrag ab 49 Euro zu haben, mit 45 Jahren ab 73 Euro: Hierbei beruft sich der Verband auf Zahlen einer Assekurata-Studie. "Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die tatsächlichen Kosten der privaten Pflegevorsorge überschätzt werden und sich der Eigenanteil an den Pflegekosten zu weitaus niedrigeren Beiträgen absichern lässt als gemeinhin angenommen", schreibt der Verband.

Das Problem: Nicht erwähnt wird in dem PKV-Papier, das Vorerkrankungen den Beitrag deutlich verteuern können, wenn man neu einen Vertrag abschließt: oder gar gänzlich den Abschluss verhindern. Allen offen stehen lediglich die staatlich geförderten Pflegetagegeld-Tarife, die aber einige Nachteile haben: so kann eine Beitragsbefreiung im Leistungsfall nicht vereinbart werden. Auch sind die Tarife tendenziell teurer als ungeförderte Angebote, weil die Versicherer keine Risikoselektion betreiben dürfen.

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Dass der Abschluss einer Pflegezusatzversicherung sinnvoll ist und eine möglichst breite Marktabdeckung sinnvoll, daran lassen auch Politik und Verbraucherschutz keinen Zweifel. Unter anderem wird sie vom Bundesgesundheitsministerium explizit empfohlen.

Aber ebenfalls unerwähnt bleibt im Papier des PKV-Verbandes, dass auch bei diesen Privattarifen hohe Kostensteigerungen drohen, da sie gleichsam unter dem demographischen Trend und dem Niedrigzins leiden. So berichtet etwa die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, dass bei einigen Angeboten zum Jahreswechsel die Prämien um 60 bis 100 Prozent gestiegen seien. Mit fortgeschrittenem Alter wird es dann schwierig einen neuen Anbieter zu finden, da sich das Alter auf die Höhe der Prämie negativ auswirkt.

Ein Ausweg bei steigenden Prämien: Auch für Zusatzpolicen besteht das gesetzlich verbürgte Recht, den § 204 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) zu nutzen und ein günstigeres Angebot ohne Preisaufschläge zu wählen, wenn der eigene Versicherer ein solches anbietet. Manche Versicherer haben aber eine sehr beschränkte Auswahl an Pflegezusatz-Produkten, mitunter nur ein oder zwei Tarife. Dann droht den Betroffenen, dass sie ihren Schutz verlieren, wenn sie den höheren Beitrag nicht weiter zahlen können. Zur Erinnerung: In der gesetzlichen Pflegeversicherung ist die Höhe der Beiträge an das Einkommen gekoppelt.

Dennoch unterbreiter der PKV-Verband sinnvolle Vorschläge, wie die wichtigen Pflegezusatz-Policen besser gefördert werden könnten:

  • Für einen angemessenen Leistungsumfang könnten Beiträge für eine Pflegezusatzversicherung steuerlich in voller Höhe geltend gemacht werden. Um eine große Durchdringung der Gesellschaft mit Pflegeversicherungen zu erreichen, ließe sich im Einkommensteuergesetz zudem der Tatbestand einer betrieblichen Pflegeversicherung schaffen. Analog zur betrieblichen Altersvorsorge fielen dann auf die Beiträge keine Steuern und Sozialabgaben an. Die Beiträge können im Rahmen von Tarifverträgen vom Arbeitgeber finanziert werden; oder aber die Arbeitnehmer zahlen sie begünstigt über eine Entgeltumwandlung.
  • Wer keine betriebliche Pflegeversicherung hat und von der Steuerbegünstigung privater Pflegevorsorge nicht profitiert, weil er keine oder nur wenig Steuern zahlt, sollte vom Finanzamt einen Zuschuss zur Pflegezusatzversicherung – im Rahmen eines angemessenen Leistungsumfangs – erhalten, je nach Einkommen bis zu 100 Prozent.
  • Älteren, denen ein Einstieg in eine Pflegezusatzversicherung zum Neugeschäftsbeitrag zu hoch ist, könnte über einen Einmalbeitrag ermöglicht werden, sich ein günstigeres Einstiegsalter und damit eine deutlich niedrigere Prämie zu sichern.

Private Pflegeversicherer haben niedrigere Kosten

Mit Blick auf die Pflichtversicherung wurde bereits mehrfach festgestellt, dass die privaten Krankenversicherer teils deutlich niedrigere Pflegekosten haben als die gesetzlichen Anbieter. Das zeigt etwa die Studie "Pflegereport 2019" von Stefan Greß u.a., für die Daten aus den Jahren 2016 und 2017 ausgewertet wurden. Das Ergebnis: Während die Soziale Pflegeversicherung pro Versichertem im Schnitt 492 Euro im Jahr für Pflegeleistungen ausgeben musste, waren es in der privaten Pflegeversicherung lediglich 197 Euro: Beihilfen bereits eingerechnet.

Die Gründe für die niedrigeren Kosten sind komplex: Haben aber auch bereits zu Debatten geführt, wie "solidarisch" die private Pflegeversicherung ist. Denn es liegt auch an der Risikoselektion, dass private Krankenversicherer hier ihre Kosten drücken können:

  • Private Krankenversicherer können -mit Ausnahme des Basistarifs- Personen mit Vorerkrankungen ablehnen oder mit deftigen Risikoaufschlägen „bestrafen“. Das wirkt sich speziell in jüngeren und mittleren Altersgruppen aus. Laut Pflegereport 2019 liegt im Altersbereich zwischen 20 und 50 Jahren das Pflegerisiko der Privatversicherten bei nicht einmal 20 Prozent der gesetzlich Pflegeversicherten. Hier mache sich die Selektionswirkung der Risikoprüfung stark bemerkbar.
  • Mehr als die Hälfte der privat Krankenvollversicherten sind Beamte. Wer als Staatsdiener pflegebedürftig wird, hat Anspruch auf Beihilfe oder freie Heilfürsorge. Das heißt: Der Dienstherr, also der Bund oder das Bundesland, kommt für einen Teil der Pflegekosten auf. De facto profitiert so auch das PKV-System von Steuern. Dem entgegen sind Arbeiter und einfache Angestellte weit häufiger bei den gesetzlichen Pflegekassen pflichtversichert.
  • Weitaus mehr Frauen als Männer sind gesetzlich pflegeversichert. 2016 lag der Frauenanteil in der sozialen Pflegeversicherung bei 53 Prozent, in der privaten Pflege hingegen nur bei 39 Prozent. Frauen haben aber eine höhere Lebenserwartung als Männer, im Schnitt leben sie 4,4 Jahre länger. Hier wirkt sich aus, dass Hochbetagte ein größeres Risiko haben, auf Pflege angewiesen zu sein.
  • Der hohe Frauenanteil trägt dazu bei, dass die Zahl der Hochbetagten in der sozialen Pflegeversicherung höher ist. Bei der Altersgruppe mit der höchsten Pflegequote, den über 80-Jährigen, liegt der Versichertenanteil in der SPV mit 6,4  Prozent um fast die Hälfte über dem entsprechenden Anteil in der PPV. Dies könnte sich aber bald umkehren. Denn der Anteil der 60- bis 79-jährigen Privatversicherten liegt mit 34,7  Prozent sogar über dem Anteil in der SPV (26,3 Prozent).

Ein Ergebnis des Pflegereportes ist es, dass das Babyboomer-Problem die privaten Krankenversicherer bald stärker treffen könnte als die gesetzlichen Krankenkassen, weil hier viele Versicherte bereits im fortgeschrittenen Alter sind: nur eben noch nicht hochbetagt. Eine Pflegereform könnte folglich auch die Privatversicherer entlasten, wenn die Pflichtversicherung weniger Leistung garantiert.

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