Der Druck auf die herkömmlichen Geschäftsmodelle von Versicherungsunternehmen ist in Zeiten der Pandemie gewachsen. Die Millenials und die Generation Z haben völlig andere Wünsche, Anforderungen und Bedürfnisse als die Generationen davor. Ihnen ist nicht so wichtig, ob sie Angebote von ihrem Versicherer, Amazon oder zum Bespiel Rewe bekommen. Sie wünschen sich Angebote und Dienstleistungen, die für sie relevant sind und dementsprechend ihre Bedürfnisse adressieren.

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Versicherungsunternehmen müssen daher ihr Produkt- und Serviceangebot an die neuen Gegebenheiten anpassen, damit sie den veränderten Ansprüchen der Kunden besser entsprechen. Gleichzeitig bieten sich auch eine Vielzahl neuer Geschäftsmöglichkeiten, neuer Vertriebsmodelle und Chancen. Denn die 18-34-Jährigen gehen auch anders mit Daten um und sind bereitwilliger, diese mit Unternehmen zu teilen, wenn sie im Gegenzug Vorteile dafür erhalten. Zudem trauen gerade jüngere Kunden den Versicherungsunternehmen noch mehr Innovation zu und wünschen sich einen verlässlichen Partner bei Finanzfragen, die über das reine Versicherungspolicen-Geschäft hinausgehen.

Dies sind nur einige der zentralen Ergebnisse der aktuellen Global Insurance Consumer Study 2021 von Accenture bei der weltweit 47.000 Verbraucher nach ihren Wünschen, Bedürfnissen und Ansprüchen an Versicherungsunternehmen befragt wurden. 2.000 Kunden stammten dabei aus Deutschland und der Schweiz.

Versicherungsbote: Junge Menschen haben ein anderes Verhältnis zu Versicherungen und deren Produkte als ältere Versicherungsnehmer. Wo sehen Sie die größten Unterschiede und was sollten Versicherer tun, um auch die Generation Z zu begeistern?

Junge Kund:innen wünschen sich vor allem relevante Angebote. Ob sie diese von ihrem Versicherer, Amazon oder zum Bespiel Rewe beziehen, ist ihnen gar nicht so wichtig. Für sie ist entscheidend, dass Produkte und Services ihre Bedürfnisse adressieren, und zwar dort, wo sie entstehen. Die Absicherung von eigenen Risiken ist natürlich weiterhin eines dieser Bedürfnisse – doch es knüpft für die jungen Generationen viel stärker an den eigentlichen „Trigger“ an. Bei einer Urlaubsreise kann dieser zum Beispiel die Buchung des Fluges oder der Unterkunft sein, im Bereich Mobilität vielleicht der Erwerb des Zugtickets oder die Kauf- oder Leasinganfrage für ein neues Auto.

Diese Entwicklungen sehen wir auch in den Ergebnissen unserer neuen Insurance Consumer Study 2021. Millenials haben eine deutlich höhere Bereitschaft, Versicherungsprodukte auch bei branchenfremden Unternehmen zu beziehen. 23 Prozent der jungen Teilnehmer:innen in Deutschland können sich dies zum Beispiel bei Tech-Firmen wie Google oder bei Supermarktketten wie Rewe vorstellen. Für die Kund:innen über 35 Jahren liegen diese Werte lediglich bei knapp über 10 Prozent. Ältere Generationen handhaben das Geschäft mit der Versicherung also häufig noch etwas traditioneller. Ihr Vertrauen in die Versicherungsunternehmen und deren Vermittler ist in der Regel hoch, und auch der Preis spielt hier weiterhin eine wichtige Rolle, während für junge Generationen das Gesamtpaket im Vordergrund steht.

Inwiefern haben sich die Kundenwünsche der jungen Generation verändert und wie können die Assekuranzen es schaffen, diese zu erfüllen?

Millenials und die Generation Z sind offen und anspruchsvoll; sie bewegen sich ganz selbstverständlich in der digitalen Welt. Das alles lässt sie Versicherungsservices oft kritischer bewerten – sie sind wählerischer. Dementsprechend fragen sie häufiger Produkt- und Service-Bündel nach als ältere Kund:innen dies tun. Und sie sind bereit, dafür zu bezahlen. Die Zahlungsbereitschaft liegt bei den über 45-Jährigen etwa acht Prozentpunkte niedriger als bei den Kund:innen unter 45 Jahren. Für die Produktwelt der Versicherungsunternehmen bedeutet dies einen klaren Trend hin zur intelligenten Bündelung der eigentlichen Risikoabsicherung mit anderen Produkt- und Service-Bausteinen. Dies kann in Eigenregie oder mit Hilfe von Partnern in Ökosystemen realisiert werden.

Doch nicht nur in der Entwicklung von Produkten und Services wird die Integration in Ökosysteme zum zentralen Erfolgsfaktor. Partnerschaften und Plattformen werden auch als Absatzkanäle immer wichtiger und laufen anderen Online-Zugangswegen, wie zum Beispiel den eigenen Webseiten der Versicherer, den Rang ab. Schon jetzt wird in Europa etwa die Hälfte des Online-Geschäftes der Versicherer über Plattformen generiert. Die Ergebnisse unserer Studie bestätigen das: Die Zufriedenheit junger Kund:innen mit den Webseiten ihrer Versicherer ist von 2018 auf 2020 um 16 Prozentpunkte gesunken. Versicherer laufen also Gefahr, die Kundenschnittstelle langfristig an größere Partner und Plattformen zu verlieren.

Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass die Interaktionsrate der Millenials mit dem Vermittler oder Servicecenter insbesondere in den digitalen Kanälen durch den hohen Transparenz-, Informations- und Anpassungsbedarf durchaus steigt. So ist der Anteil der Millennials, die ihren Versicherer mindestens einmal im Monat über digitale Kanäle kontaktieren, zwei- bis dreimal höher als bei den über 35-Jährigen. Im persönlichen Kontakt zieht es die junge Generation sogar dreimal häufiger zu ihrem Versicherer. „Digital aber persönlich“ ist also die neue Erwartung.

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Zusammenfassend könnte man sagen, der Schlüssel zum Erfolg bei jungen Kund:innen liegt für die Unternehmen einerseits in der wertschöpfenden Zusammenarbeit mit Partnern und Plattformen und andererseits im digitalen Enablement ihrer Vermittler und Vertriebsstrukturen – ein schwieriger Balance-Akt für viele Häuser.

Herkömmliche digitale Kanäle verlieren an Bedeutung

Welche Technologien und Prozesse kommen dabei zum Einsatz? Was sind die größten Painpoints?

Unsere Studie zeigt, dass bei den Millenials vor allem digitale Prozesse mit persönlichem „Touch“ gut ankommen. So sind die Zustimmungswerte junger Kund:innen für Kanäle wie Chat, Instant Messaging, Social Media oder Videoberatung im Vergleich mit den Werten aus 2018 um bis zu 31 Prozent gestiegen – eine echte Chance, die Versicherer für sich nutzen können. Auch die Akzeptanz für KI-gestützte Interaktionen über Sprachassistenten wächst stetig. Eher herkömmliche digitale Kanäle wie E-Mail oder Zugang zur Website via Desktop-PC oder Laptop verlieren bei den jungen Zielgruppen hingegen an Bedeutung.

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Eine der wichtigsten Grundlagen für solche digitalen Prozesse ist sicherlich eine moderne und flexible Systemlandschaft. Unsere Studie „Ökosysteme in der Versicherungsindustrie“ hat gezeigt, dass viele Versicherungsunternehmen die fehlenden technischen Fähigkeiten als wichtigste Herausforderung neben Unternehmenskultur und Fachkräftemangel sehen. Der Fokus der meisten Versicherer liegt hierbei auf omnikanalfähigen Plattformen und Frontends, Datenverfügbarkeit sowie der Integrations- und Anbindungsfähigkeit (APIs). Hier besteht aus Sicht der Versicherer Nachholbedarf. Insbesondere die jungen Kund:innen sehen das ähnlich.

Wie sollten Produkte in Zukunft gebaut sein bzw. welche Eigenschaften sollten diese haben, damit jüngere Kunden besser angesprochen werden?

Für junge Kund:innen stehen stets die Mehrwerte des Angebots im Zentrum. Es gilt also, das Prinzip der Risikoabsicherung bestmöglich mit Bedeutung und Relevanz im Alltag „aufzuladen“. Neben der vertrieblichen und kontextualen Einbettung geht es dabei vor allem um die Anreicherung des Produktes selbst – zum Beispiel um individuelle Bausteine, Mehrwert-Services, Gamification-Ansätze oder datenbasierte Belohnungssysteme. Modulare Produkte, flexible Deckungskonzepte und datenbasierte Preismodelle werden dabei zum Differenziator und eröffnen Versicherern neue Kooperationsmöglichkeiten und Zugangswege.

Wie stehen Versicherungskunden im deutschsprachigen Raum im weltweiten Vergleich da, wenn es um Kundenanforderungen an Versicherungen geht?

Hier lässt sich aufgrund des Umfangs unserer Studie kein allgemeingültiges Urteil fällen. Mit Blick auf Aspekte wie Digitalisierung, datenbasierte Geschäftsmodelle oder Ökosysteme kann man jedoch beobachten, dass sich europäische – und im speziellen deutschsprachige – Kund:innen in ihren Erwartungen tendenziell 2-3 Jahre hinter den globalen Entwicklungen bewegen. Treiber sind hier typischerweise die Märkte in Asien und Nordamerika. Insbesondere dort sind Kund:innen im Hinblick auf den Umgang mit und die Nutzung von sensiblen Daten offener und haben sich an die daraus entstehenden Mehrwerte vielerorts bereits gewöhnt.

Hat das klassische Vertriebsmodell ausgedient? Laut Studie können sich junge Menschen vorstellen Versicherungsprodukte bei Amazon, im Supermarkt oder im Autohaus zu kaufen. Was müssen Versicherungsunternehmen jetzt tun, um diese Zielgruppe nicht an andere versicherungsferne Anbieter zu verlieren?

Wir sind davon überzeugt, dass es hier perspektivisch kein „entweder – oder“ mehr geben wird. Vielmehr muss sich ein echtes Miteinander etablieren, von dem alle Beteiligten – also Kunde, Versicherer und Partner – etwas haben. Dabei stehen die Mehrwerte für Endkund:innen natürlich im Zentrum. Eine Zusammenarbeit mit dem Versicherer muss sich aber auch für potenzielle Partner lohnen. Insbesondere größere Marktteilnehmer wie die GAFA-Unternehmen (Anm.d.Red.: Google, Apple, Facebook und Amazon) bringen mit einer großen Kundenbasis, attraktiven Angeboten und der technischen Plattform viele wichtige Assets in eine solche Kooperation ein. Wenn man als Versicherer mit diesen Unternehmen zusammen möchte, gilt es, die Wertflüsse in diesen Ökosystemen genau zu verstehen und das eigene Werteversprechen entsprechend auszurichten. Hier spielen typischerweise ansprechende Service Levels, flexible Monetarisierungsansätze und eine moderne technische Basis eine wichtige Rolle.

Kann die Branche ihre Reputation aufpolieren?

Wie können Versicherer und Vermittler ihre Reputation bei der jungen Generation aufpolieren?

Insgesamt haben Versicherer weiterhin großen Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung. Die Befragung der deutschsprachigen Kund:innen zeigt klar auf, welche Bedeutung insbesondere die jüngeren Zielgruppen digitalen Prozessen, Services und Geschäftsmodellen beimessen. In vielen Branchen sind diese Dinge bereits selbstverständlich. Hierüber eine echte Differenzierung zu erzielen, fällt also schwer. Viele Insurtechs ergänzen ihre digitalen Geschäftsmodelle daher bereits gezielt um persönliche und individuelle Beratungsaspekte. Diesen Trend sehen wir beispielsweise bei Financial Home und Wallet Anbietern wie Clark oder Knip, größeren Plattformen wie Wefox oder im schnell wachsenden Bereich der telemedizinischen Angebote. „Digital aber persönlich“ ist also auch hier eine Maxime, an der sich Versicherer orientieren können.

Darüber hinaus ist es wichtig, die für junge Kund:innen relevanten Themen ins Zentrum dieser Angebote zu stellen. Ein sehr prominentes Beispiel ist hier Nachhaltigkeit. Einige Versicherer haben bereits begonnen, dieses Thema fest in Organisation und Steuerung zu verankern. Es gibt Beispiele wie die Schaffung eines Bereichs für „Nachhaltigkeitsmanagement“ bei einem deutschen Versicherer. Gezielte Initiativen wie die Climate Change Resilience Services eines globalen Versicherers sind bislang jedoch rar. Klar ist: Nachhaltigkeit ist ein Thema, das die gesamte Wertschöpfungskette der Versicherung verändert wird – von der Förderung erneuerbarer Energien in der Produktentwicklung über ressourcenschonende Prozessketten hin zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei der Kapitalanlage. Wenn es Versicherungsunternehmen gelingt aufzuzeigen, wie sie ihre Geschäftsmodelle im Sinne der Nachhaltigkeit transformieren, werden sie langfristig mit stabileren Kundenbeziehungen belohnt. Denn insbesondere für die Generation Z ist Nachhaltigkeit längst zu einem echten Entscheidungskriterium geworden.

Neue verhaltensbasierte Versicherungsmodelle wie z. B. Pay-as-you-go sind in Deutschland auf dem Vormarsch. Sind solche Modelle ein geeignetes Mittel, um die jüngere Generation zu erreichen?

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Pay-as-you-go-Modelle wie beispielsweise eine Krankenversicherung verknüpft mit einem gesunden Lebensstil oder die Telematiktarife der Autoversicherer sind über alle Altersgruppen hinweg stark auf dem Vormarsch. Je nach Angebot lassen sich für den deutschsprachigen Markt generelle Zustimmungswerte zwischen 41 und 65 Prozent beobachten. Damit ist die Zustimmung im Schnitt rund 15 Prozentpunkte höher als noch im Jahr 2018. Millenials sind hier tendenziell noch ein Stück offener. Das liegt insbesondere daran, dass sie eher bereit sind persönliche Daten zu teilen als die älteren Kund:innen. Vor allem bei Gesundheits- und Lifestyle-Daten sind die Altersgruppen über 35 Jahre sensibler. Bei Daten zu Einkommen oder Beziehungsstatus ist der Unterschied weniger gravierend. Insgesamt gilt: Junge Kund:innen wollen individuelle, auf sie zugeschnittene Angebote. Modelle wie Pay-as-you-go greifen dieses Bedürfnis sehr direkt auf. Nun muss es der Branche gelingen, die Mehrwerte für Kund:innen noch stärker ins Zentrum der Entwicklung solcher Angebote zu stellen.

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