Den deutschen Versicherern droht eine Klagewelle durch Hoteliers und Gastronomen. Rund 25.000 bis 40.000 Betriebe haben nach Schätzungen des Branchenverbandes Dehoga eine sogenannte Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen. Viele Verträge enthalten Deckungserweiterungen, die Betriebe schützen sollen, wenn sie infolge behördlicher Weisungen nach dem Infektionsschutzgesetz dichtmachen müssen. Aber nun weigert sich das Gros der Versicherer kategorisch, die volle Summe zu erstatten, wenn die Coronapandemie Anlass für die Schließung war.

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“Einige hundert Gastronomen dürften klagebereit sein“

Wie der „Spiegel“ am Freitag berichtet, rechnet der Branchenverband Dehoga damit, dass nun viele Hoteliers und Gaststätten-Betreiber den Rechtsweg wählen werden."Einige Hundert davon dürften klagebereit sein“, zitiert das Magazin Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges.

Zwar gibt es einen Kompromiss, ausgearbeitet zwischen dem bayrischen Wirtschaftsministerium, Wirschaftsverbänden und einigen Versicherern. Der aber hat einen Haken. Einerseits verpflichten sich die Versicherer, die Gewerbetreibenden mit entsprechenden Verträgen zu entschädigen. Andererseits aber wollen sie maximal zehn bis 15 Prozent des Schadens zahlen, der infolge der Coronaschließungen entstanden ist, zudem begrenzt auf 30 Tage (der Versicherungsbote berichtete). Für viele Gastronomen ein ungenügendes Angebot.

Das Bayerische Wirtschaftsministerium begründet die niedrige Summe damit, dass den Betroffenen noch auf anderem Wege geholfen werde. Im Hotel- und Gaststättengewerbe reduziere sich der wirtschaftliche Schaden der Betriebe bereits um 70 Prozent, da sie auch von staatlichen Hilfsangeboten wie Kurzarbeitergeld und Soforthilfen profitieren könnten. „Im Hinblick auf die verbleibenden Einbußen (ca. 30 Prozent) sind die Versicherer bereit, einen freiwilligen Beitrag zu leisten und ihren Kunden hierdurch kurzfristig weitere Liquidität zur Verfügung zu stellen“, argumentiert das Ressort von Hubert Aiwanger (CSU) auf seiner Webseite.

“Enttäuschung und Verzweiflung“

Bereits Anfang April hatte sich der Dehoga Bundesverband mit einem Pressestatement zur bayrischen Lösung positioniert. Und dabei auch Kritik an den Versicherern geübt:

Tausende Unternehmer des Gastgewerbes hätten aus gutem Grund eine Betriebsschließungs-Police abgeschlossen - im guten Glauben, dass ihre Versicherung auch bei Corona leistet.„Umso größer war die für uns nachvollziehbare Enttäuschung und Verzweiflung, als eine Vielzahl von Versicherungen dies kategorisch ablehnten“, wird Hartges zitiert.

Das "Nein" der Versicherer trifft Gastronomen und Hoteliers in einer Situation des nackten Überlebenskampfes. Vielen Betrieben sind infolge des Corona-Lockdowns sämtliche Einnahmen weggebrochen, andere versuchen sich in Zeiten unerwünschter Kontakte mit Lieferservices und Außer-Haus-Verkauf über Wasser zu halten. Doch das kann die Ausfälle nicht auffangen:

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Laut einer Dehoga-Umfrage unter 8.000 Betrieben steht jeder dritte Gastgeber binnen 20 Tagen vor der Pleite. Viele Hoteliers und Gastwirte schildern, dass trotz der Inanspruchnahme staatlicher Förderungen das Eigenkapital im Verlauf des Aprils aufgezehrt sein werde, so berichtet Niedersachsens Dehoga-Hauptgeschäftsführer Rainer Balke der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Aktuell erzielen Gastronomen, die nicht auf Lieferservices spezialisiert sind, nur zehn bis 20 Prozent der sonstigen Umsätze mit Speisen, so schätzt Balke. Der Verband fordert einen staatlichen Rettungsschirm für die Branche.

"...über Inhalt der Initiative nicht informiert"

Eine generelle Aussage, ob die Gastwirte nun klagen sollen oder sich dem bayrischen Kompromiss anschließen, will der Dehoga Bundesverband nun nicht treffen. „Aufgrund der individuellen und unterschiedlichen Versicherungsverträge und der Voraussetzungen, die an den Eintritt des Versicherungsfalls geknüpft werden, war und ist es für uns nahezu unmöglich, für alle Verträge generalisierende Aussagen zu treffen“, sagt Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges.

Doch indirekt distanziert sich der Dachverband der Gastronomen vom bayrischen Kompromiss, der von vielen als unbefriedigend empfunden wird. "Der Dehoga Bundesverband, wie auch alle anderen Landesverbände im Dehoga Bundesverband, waren über den Inhalt der Initiative (...) nicht informiert", heißt es in einem Statement. Und weiter: "Es war lediglich bekannt, dass Gespräche unter Federführung von Staatsminister Hubert Aiwanger mit dem Ziel geführt wurden, die Verweigerungshaltung der Versicherungen aufzubrechen." Allein die Dehoga Bayern habe mit am Verhandlungstisch gesessen.

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Bayrischer Kompromiss "ohne bundesweite Relevanz"

Folglich verweist der Bundesverband der Gastronomen darauf, dass die bayrische Vereinbarung "keine bundesweite Relevanz" besitze. Die Dehoga rät allen versicherten Betrieben, eine Schadensanzeige an den Versicherer zu richten, um mögliche Ansprüche zu wahren.

"Jeder Unternehmer ist gut beraten, sehr sorgfältig abzuwägen, ob das Angebot mit Blick auf seinen Vertrag und die darin vereinbarten Leistungen für ihn in Frage kommt", schreibt der Verband. Sehr wichtig sei darüber hinaus "die Prüfung des Angebotes (zehn bis 15 Prozent der vereinbarten Tagesentschädigung) im Verhältnis zur Entschädigung gemäß Vertrag."

Rechtsgutachten sieht Versicherer vielfach in Zahlpflicht

Aufhorchen lässt zudem ein Rechtsgutachten des Juristen Walter Seitz. Laut "Spiegel" kommt der frühere Vorsitzende Richter des Münchner Oberlandesgerichtes zu dem Schluss, ""dass der Anspruch auf Zahlung der Versicherungssumme bei Betriebsschließungsversicherungen wegen der Untersagung der Öffnung von Gaststätten grundsätzlich uneingeschränkt besteht". Mit anderen Worten: In vielen Fällen müssten die Versicherer die volle Summe erstatten statt nur 15 Prozent, wie es die bayrische Lösung vorsieht.

Viele Versicherer lehnen nun eine Leistungspflicht ab, weil zwar Betriebsschließungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes versichert seien: aber angeblich nur jene Krankheiten, die explizit in einer Liste des Vertrages aufgeführt werden. Das neue Coronavirus COVID-19 fehlt in fast allen Verträgen: kein Wunder, schließlich ist es eben "neu". Erst im Januar 2020 wurde es vom Gesetzgeber in die Liste meldepflichtiger Krankheiten übernommen.

Klauseln nicht eindeutig formuliert

Gutachter Seitz vertritt jedoch laut "Spiegel" die Ansicht, dass derartige Listen nur als Beispiele anzusehen sind und keine hinreichenden Klauseln über den Ausschluss einzelner Krankheiten enthalten. Den bayrischen Kompromiss hält der Jurist für unbrauchbar. Es sei "klar abzulehnen", Vorteile aus der Kurzarbeits-Regelung nun auf die Versicherungsleistung der Gewerbeverträge anzurechnen.

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Seitz hob in dem Gutachten demnach auch darauf ab, dass die entsprechenden Klauseln in den Geschäftsbedingungen vielfach nicht eindeutig formuliert seien. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Fällen geurteilt, dass Zweifel bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen zulasten des Versicherers gehen. Ähnlich hatte sich im Interview mit dem Versicherungsboten bereits der Berliner Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski positioniert.

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