In der letzten Woche sorgte ein „BILD“-Artikel über Lebensversicherer für Aufhorchen - wenn nicht gar für Entsetzen bei manchen Lesern. 34 von 84 deutschen Anbietern drohen „mittel- bis langfristig finanzielle Schwierigkeiten“, so gehe aus einem Bericht der Bundesregierung hervor. Die Versicherer befänden sich unter „intensivierter Aufsicht“ durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

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Das Boulevardblatt packte die Erkenntnisse in gewohnt grelle Schlagzeilen. Von einem „Schockbericht“ war die Rede, manchen Versicherern würde gar die Abwicklung drohen. Die Botschaft: Selbst bei den Lebensversicherern ist das Geld nicht sicher (der Versicherungsbote berichtete).

Generali und Debeka antworteten auf BILD-Anfrage

Zwei Versicherer wurden im Artikel von der BILD genannt: die Generali und Debeka. Das ist auch kein Zufall, denn sie antworteten auf Anfrage des Blattes, ob sie unter intensivierter Aufsicht der BaFin stünden. Laut eines Berichtes von „Versicherungswirtschaft Heute“ waren die beiden Anbieter die einzigen Gesellschaften, die sich nicht weggeduckt haben bzw. eine Auskunft verweigerten. Nun stehen sie indirekt für die Intransparenz der Branche - obwohl sie ihre Situation öffentlich eingestanden.

Konkret greift die intensivierte Aufsicht der BaFin in zwei Situationen: Wenn ein Versicherer „Übergangsmaßnahmen von Solvabilität II“ anwenden muss, also mit erleichterten Bedingungen rechnet, um seine finanzielle Stabilität nachzuweisen. Diese Maßnahmen müssen bei der BaFin beantragt werden. Sehr bewußt hat der Gesetzgeber aber den Versicherern gestattet, diese anzuwenden: Ihnen soll ausreichend Zeit bleiben, das neue Geschäftsmodell auf die Anforderungen einer strengeren Finanzaufsicht umzustellen. Bis zum Jahr 2032 dürfen die Versicherer mit erleichterten Bedingungen rechnen.

Situation zwei: Die BaFin wacht strenger, wenn die jährlichen Prognoserechnungen „mittel- bis langfristig finanzielle Schwierigkeiten“ erwarten lassen. Aber selbst das bedeutet noch lange nicht, dass die Auszahlungen der Kundinnen und Kunden konkret gefährdet sind. Die Finanzaufsicht verlangt von den Versicherern Gegenmaßnahmen, um die Kapitalausstattung zu verbessern. "Wir verfolgen genau, was die Versicherer tun und wie das, was sie tun, wirkt. Und wenn wir es für notwendig halten, greifen wir ein“, erläuterte Chefaufseher Felix Hufeld vor wenigen Monaten der Presse.

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Mit anderen Worten: Aktuell ist bei keinem deutschen Lebensversicherer abzusehen, dass sie die Zusagen an ihre Kunden nicht erfüllen können. Das bestätigen auch Branchenbeobachter wie der Zweitmarktanbieter Policen Direkt. „Wir gehen weiter davon aus, dass alle Lebensversicherer ihre Leistungsversprechen erfüllen und kaufen derzeit Policen aller Anbieter", sagte deren Chefaktuar Henning Kühl dem Versicherungsboten, nachdem die letzten Solvenzberichte im Mai diesen Jahres veröffentlicht worden waren (der Versicherungsbote berichtete). Wachsamkeit sei geboten, aber keine Panikmache.

..."mit Kanonen auf Spatzen geschossen"

Entsprechend unglücklich ist man bei der Debeka über die reißerische Berichterstattung der BILD. Das Blatt hätte mit ihrem Bericht „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, zitiert „VW Heute“ Gerd Benner, Leiter der Unternehmenskommunikation der Debeka. Der Versicherer habe entsprechende Übergangsregeln in Anspruch nehmen müssen, weshalb man unter erweiterter Aufsicht der BaFin stünde, führt Benner weiter aus. Immerhin: Einen Imageschaden befürchte man durch den BILD-Artikel nicht. Bisher habe es „keine Kundenanfragen“ in diese Richtung gegeben.

Bereits im letzten Jahr war die Debeka kritisiert worden, nachdem der Finanzwissenschaftler Harald Weinmann einen negativen Rohüberschuss bei der Leben-Tochter festgestellt hatte: stark vereinfacht reichen dann die eigenen Kapitalerträge nicht aus, um alle Garantien der Kunden sowie die Anforderungen der Finanzaufsicht zu erfüllen (der Versicherungsbote berichtete). Die Versicherer müssen dann ihre stillen Reserven anzapfen. Tatsächlich sei dies im vergangenen Jahr der Fall gewesen, erläuterte Benner gegenüber „VW Heute“. In diesem Jahr aber weise man wieder einen „leicht positiven“ Überschuss aus.

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Zinszusatzreserve belastet Versicherer

Ein Grund für die Probleme seien auch die hohen Anforderungen der Zinszusatzreserve (ZZR) gewesen, wo die Debeka besonders viel hineinstecken musste. Das ist ein zusätzlicher Kapitalpuffer, den den Versicherer bilden müssen, um ihre Garantien auch langfristig bedienen zu können.

Eine hohe Reserve ist ein Indiz dafür, dass der Versicherer viele hochverzinste Altverträge in seinem Bestand hat, die nun mit Eigenmitteln unterfüttert werden müssen. Immerhin 1,1 Milliarden Euro hätte die Debeka in diesem Jahr der ZZR zuführen müssen, nun hofft man auf Erleichterungen des Gesetzgebers. Ähnlich sieht es auch bei der Generali Leben aus: Der Versicherer versäumte es ebenfalls lange Zeit, sein Geschäftsmodell auf Policen mit weniger Garantielast umzustellen.

Für die Kunden kann es dennoch unmittelbar negative Folgen haben, wenn der Lebensversicherer finanziell nicht so gut dasteht. Denn den Versicherern ist es erlaubt, die Beteiligung an den Bewertungsreserven und Überschüssen zu kürzen, wenn sie gegenüber der BaFin nachweisen können, dass dies notwendig ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt (der Versicherungsbote berichtete).

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Mussten die Lebensversicherer bisher mindestens 50 Prozent der Überschüsse an den Kunden auskehren, erlaubt das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) seit 2014, bei der Kundenbeteiligung den Rotstift anzusetzen. Eine entsprechende Neuregelung sieht § 153 Abs. 3 Satz 3 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) vor. Allerdings berufen sich mittlerweile fast alle Lebensversicherer auf diese Regel, um die Kunden weniger zu beteiligen: auch solche Versicherer, die vermeintlich stabil dastehen.

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