Die Befürchtung, dass nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 14. Mai viele Sparkassenkundinnen und -kunden ihre Altersvorsorge gekündigt bekommen und eine wahre Kündigungswelle einsetzt, scheint sich zu bewahrheiten. Allein die Sparkasse Nürnberg hat laut einem Bericht des Handelsblattes seither 21.000 Sparer vor die Tür gesetzt, die den Sparvertrag "Prämiensparen flexibel" abgeschlossen hatten. Obwohl die Institute in den Prospekten mit einer quasi unbegrenzten Vertragslaufzeit geworben hatten, gestattete es der BGH den öffentlichen Banken, diese Verträge aufgrund der Niedrigzinsphase vorzeitig zu Lasten des Kunden abzustoßen.

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Prämiensparverträge: Lange Laufzeiten sollten belohnt werden

Jahrelang galten sie als beliebtes Produkt der Sparkassen: Verträge unter dem Namen „Prämiensparen flexibel“, die Kunden für ihre Treue belohnen sollten. Zunächst, nach kurzer Sparzeit, gab es nur wenig an Prämien für die Sparer. Mit zunehmender Dauer aber stiegen die Zinssätze für den jährlich eingezahlten Betrag, erreichten nach 15 Jahren die höchste Sparstufe. In Zeiten hoher Zinsen schufen die Produkte sowohl für die Sparkassen als auch für treue Kunden eine Win-win-Situation.

Obwohl die Verträge ganz verschieden gestaltet werden konnten, veranschaulicht eine Modellrechnung das dahinter stehende Prinzip: Wer zum Beispiel monatlich 100 Euro und damit jährlich 1.200 Euro für seinen Sparvertrag einzahlte, konnte im dritten Jahr drei Prozent Zinsen auf das in diesem Jahr eingezahlte Geld erhalten – 36 Euro für ein Sparguthaben von 3.600 Euro als Drei-Jahres-Gewinn und damit eine im Hochzins-Umfeld doch eher bescheidene Summe.

Jedoch: Stufenweise steigerte sich dieser Betrag. Nach 15 Jahren erreicht der Vertrag die höchste Sparstufe: 50 Prozent der Sparsumme, die im laufenden Jahr an Beitrag eingezahlt wurde, sollten nun als Prämie gutgeschrieben werden. Nach 15 Jahren also gab es 600 Euro für die 1.200 Euro Einzahlbetrag. Bis dahin gingen 20.000 Euro durch den Sparer auf dem Konto ein.

Für viele Kunden geht die Modellrechnung nicht mehr auf

Beworben wurden diese Sparverträge durch die Sparkassen als Vorsorgeprodukt. Modellrechnungen in den Prospekten waren auf 25 Jahre angelegt. Für viele Kunden jedoch geht just die grundlegende Rechnung, die zum Abschluss der Verträge führte, nicht mehr auf.

Das liegt am Verhalten der Sparkassen, die sich nun vorwerfen lassen müssen, sich mit ihren Produkten gründlich verkalkuliert zu haben. Rechnete doch in den neunziger Jahren, als Einnahmen aus Zinsen noch sprudelten, niemand mit dem aktuellen Niedrigzins-Umfeld. Das Erwirtschaften der teuren Garantien wird den Sparkassen aber durch die Nullzins-Politik zum aktuellen Problem, die alten Verträge werden zum Ärgernis. Da kommt es gelegen, dass viele der Verträge keine feste Mindestlaufzeit vorsahen.

Kündigung, sobald Sparverträge für Kunden lukrativ werden

Nicht nach 25 Jahren, sondern nach nur 16 Jahren kam deswegen für viele Kunden schon ab 2016 das völlig unverhoffte Prämien-Aus. So fingen Sparkassen an, mit einer dreimonatigen Frist die alten Verträge massenhaft zu kündigen – als Beispiel sei die Sparkasse Leipzig genannt, die tausende Verträge auf diese Weise los wurde (der Versicherungsbote berichtete). Ein Vorgehen, das auf Kritik durch Verbraucherschützer und Fachanwälte stieß. Wären doch Verträge zuvor mit der wesentlich längeren Laufzeit beworben worden. Die maßgebende Zeit für die Modellrechnung der Prospekte wäre folglich Vertragsbestandteil.

Zumal ein Werbeversprechen der Prospekte lautete: „Sie allein bestimmen, wie lange Sie sparen wollen!“ Die frühen Kündigungen wären aufgrund solcher durch die Prospekte geleisteten Vorgaben rechtswidrig. Verbraucherschützer von „Finanztest“ sowie Anwälte rieten letztendlich zu Widerspruch und Klage.

So kam es auch: Viele der gekündigten Sparer klagten vor Gericht. Jedoch machte jüngst ein Urteilsspruch für einen Prozess, der zunächst vor das Langericht (LG) Stendal und das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg ging und letztendlich durch den Bundesgerichtshof (BGH) entschieden wurde, vielen Hoffnungen der Sparer den Garaus (Az. XI ZR 345/18). Dürfen sich doch Sparkassen laut diesem Urteil auf eine Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (ABGs) berufen, die bei „Vorliegen eines sachgerechten Grundes“ eine Kündigung der Verträge ermöglicht.

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Der Bundesgerichtshof urteilte mit Datum vom 14.05.2019: Das niedrige Zinsumfeld stelle einen solchen zulässigen Kündigungsgrund dar. Hingegen handle es sich bei den Modellrechnungen „lediglich um eine werbende Anpreisung der Leistung“, auf die sich die Sparer nicht berufen können (der Versicherungsbote berichtete).

Kündigungswelle: Doch Verbraucherschützer wollen weiter klagen

Was aber bewirkt nun der Urteilsspruch des Bundesgerichtshofs? Mirko Wenig befürchtete bereits in einem Kommentar beim Versicherungsboten einen „Bärendienst“ für Banken und Sparkassen, da nun eine Kündigung von Vorsorgeverträgen schon nach relativ kurzer Vertragslaufzeit möglich wäre. Wenn selbst in der Lebensversicherung eine deutlich längere Vertragslaufzeit von 35 Jahren vermutet, aber für Vorsorgeverträge eine Kündigung schon nach 15 Jahren möglich wird, erschüttert dies das Vertrauen möglicher Kunden in die private Altersvorsorge.

Die Befürchtung negativer Konsequenzen durch das Urteil erhält nun zusätzliche Nahrung. Denn nicht nur legitimierte das Urteil des Bundesgerichtshofs bisherige Kündigungen, die sich auf die Klausel beriefen. Es weist zugleich einen bequemen Weg aus den Verträgen, da sich von nun ab Sparkassen im Sinne des Urteils auf die AGBs berufen können.

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Nach der ersten Kündigungswelle ist nun also eine wahre Kündigungsflut zu befürchten: Die Gelegenheit zu Kündigungen könnte zukünftig auch von jenen Instituten genutzt werden, die zuvor noch eine massenhafte Kündigung alter Verträge scheuten, da die Rechtslage nicht eindeutig war. Dieser Verdacht wird durch eine aktuelle Meldung des Handelsblatts bestärkt: 21.000 Sparverträge wurden nun einzig durch die Sparkasse Nürnberg gekündigt, per Ende September.

Die Sprecherin der Sparkasse beruft sich bei diesem Vorgehen explizit auf das Urteil des Bundesgerichtshofs. Dass weitere Sparkassen dem Beispiel der Sparkasse Nürnberg folgen, scheint nur noch eine Frage der Zeit.

Und doch gilt: Verbraucherschützer geben nicht auf

Stehen demnach, rechtlich gesehen, Kunden der „Prämiensparverträge“ auf verlorenem Posten? Zumindest aus Sicht der Verbraucherschützer gilt dies noch nicht oder zumindest noch nicht für jeden Fall, wie test.de auf seiner Webseite informiert. Denn zum einen hätte der Bundesgerichtshof für den Einzelfall entschieden – ist ein Fall aber anders gelagert, sind Widersprüche und Klagen dennoch erfolgsversprechend. Das trifft besonders dann zu, wenn eine konkrete Laufzeit durch die Verträge vereinbart ist. Müssen sich Sparkassen doch trotz des BGH-Urteils noch immer an vertraglich vereinbarte Laufzeiten halten.

Doch damit nicht genug. Hat doch die Verbraucherzentrale Sachsen zudem eine Muster­fest­stellungs­klage gegen die Sparkasse Leipzig eingereicht; Betroffene könnten sich ohne Prozess­kostenrisiko dieser Klage anschließen. Denn die Verbraucherzentrale hat den Verdacht, dass Zins­erhöhungen und -senkungen nicht in angemessener Weise an Kunden der Prämiensparverträge weitergegeben wurden. Nähere Informationen zu der Klage liefert ebenfalls die Webseite von test.de.

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Ob der Verdacht zutrifft, soll nun vor Gericht geklärt werden. Es steht viel auf dem Spiel. Denn laut Berechnungen der Verbraucherzentrale Sachsen könnten Betroffene auf durch­schnitt­lich 3.400 Euro Zins­nach­zahlung hoffen, falls die Verbraucherschützer im Prozess gegen die Sparkasse siegen.

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