Bisher eher verdächtig: Der Abschluss der Verträge

Fairer Deal oder Schlupfloch, um Kunden Gelder vorzuenthalten? Sogenannte Gewinnabführungsverträge in der kapitalbildenden Lebensversicherung waren seit Inkrafttreten des so genannten Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) in 2014 Gegenstand ständiger öffentlicher Kontroversen. Denn zum einen hatte das Gesetz zwar so genannte Ausschüttungssperren geregelt, um in Zeiten des Niedrigzins Dividendenzahlungen an Aktionäre durch die Lebensversicherer zu unterbinden und um dadurch Lebensversicherer – über gesetzlichen Zwang – krisenfester zu machen. Zum anderen aber hatte das Gesetz einen Umgehungs-Tatbestand nicht angerührt: Sobald Lebensversicherungs-Aktiengesellschaften aufgrund eines Gewinnabführungsvertrags ihren Jahresüberschuss an die Muttergesellschaften abführen müssen, gelten die Ausschüttungssperren nicht. Das hat seinen Grund: Im Gegenzug für die Ausschüttungen verpflichten sich die Muttergesellschaften, etwaige Verluste des Lebensversicherers auszugleichen. Muttergesellschaften übernehmen damit einen nicht geringen Teil des Risikos ihrer Leben-Töchter.

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Aus Sicht von Kritikern wie dem Grünen-Politiker Gerhard Schick freilich hatte der Deal einen gewaltigen Haken für die Kunden und machte das Instrument der Gewinnabführungsverträge trotz Risikoübernahme der Muttergesellschaften zu einer faulen Sache. Denn zwar flossen Gewinne an die Muttergesellschaften und wurden unter anderem an Aktionäre ausgeschüttet. Hingegen schrumpfte mit den Überschüssen der Lebensversicherer jener Teil, der für eine Beteiligung der Versicherungsnehmer zur Verfügung stand. Zahlen für 2017, die durch eine Anfrage der Linken im Bundestag bekannt wurden, zeigten die Größenordnung der Abflüsse für jene 35 Gesellschaften, die einen Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen hatten: Vor der Gewinnabführung wiesen die Gesellschaften ein Jahresergebnis von 2,1 Milliarden Euro (nach Steuern) aus. Nach der Ergebnisabführung blieben hingegen nur 573,6 Millionen Euro übrig (der Versicherungsbote berichtete).

Da auch Lebensversicherer mit drohenden Solvenzproblemen Gewinnabführungsverträge nutzten, um Gelder an die Aktionäre auszuschütten, sahen Kritiker in dem Instrument gegenseitiger Verpflichtungen zwischen Muttergesellschaft und Leben-Tochter ein Instrument des Missbrauchs, um den Kunden Gelder vorzuenthalten (der Versicherungsbote berichtete). Sogar der Bundesrat hatte vor dieser Gefahr gewarnt und monierte eine Gesetzeslücke, als das Lebensversicherungsreformgesetz beschlossen wurde. So gesehen war zumindest für die Kritiker bisher eher der Abschluss dieser Verträge statt ein Beenden der Verträge verdächtig.

Allianz: Sorgen um Zukunft der Konzern-Tochter?

Nun aber erregt die Meldung eines Vertrags-Endes Aufsehen, bekannt gemacht Dienstag dieser Woche durch die "Süddeutsche": Laut Bericht des Blattes hat die Allianz Deutschland ihren Gewinnabführungsvertrag mit der Leben-Tochter Allianz Lebensversicherung in Stuttgart auslaufen lassen, und zwar bereits 2017 und demnach weitgehend durch die Öffentlichkeit unbemerkt. Warum aber kann eine solche Meldung Wirbel machen, obwohl doch die Verträge selbst im Kreuzfeuer der Kritik stehen? Das hat mit einer möglichen Schwerpunktverlagerung der Verdacht-Momente zu tun – weg vom Verdacht, derartige Verträge wären durch lohnenswerte Ausschüttungen an Aktionäre motiviert und hin zur Vermutung, die Risiko-Scheu des Mutterkonzerns könnte zum Auslaufen des Gewinnabführungsvertrags geführt haben.

So heißt es in dem Beitrag des Münchener Blatts: Der freiwillige Verzicht könnte „darauf hindeuten, dass sich die Gesellschaft Sorgen um die Zukunft des Lebensversicherers macht und das Risiko nicht eingehen will, künftig für mögliche Verluste geradestehen zu müssen.“ Zwar wird dieser Verdacht zugleich durch ein Zitat eines Allianz-Sprechers relativiert. Sieht doch der Konzern die Zukunft der eigenen Tochter „positiv“ – was auch zur Information passen würde, dass Ausschüttungen durch den Vertrag in den Jahren 2015 bis 2017 immer deutlich über 20 Prozent des Eigenkapitals lagen. Aber dennoch liebäugelt auch die Überschrift des "Süddeutsche"-Beitrags mit einer anderen Assoziation des Lesers: „Lieber nicht haften“, heißt es da.

Tatsächlich verstärken insbesondere die Umstände des Vorgangs die Spekulationen, denn laut Meldung hat das Unternehmen die Tatsache des Vertragsendes bislang nicht veröffentlicht. Dass nun also, mit doch einigem Abstand zum Auslaufen des Vertrags in 2017 und einzig durch Recherche der "Süddeutschen", die Tatsache bekannt wird, mutet zumindest in einer Hinsicht verdächtig an: Breit publik machen wollte die Allianz das Auslaufen des Gewinnabführungsvertrags jedenfalls nicht.

Gesetzesreform droht den Lebensversicherern

Freilich spekuliert das Münchener Blatt zugleich über ein konkretes Motiv für den ungewöhnlichen Schritt. Und auch diese Spekulation unterstellt indirekt, der Mutterkonzern könne sich Sorgen um die Zukunft der Tochter machen. Wäre doch Deutschlands größter Versicherer einer Gesetzesänderung zuvorgekommen, die gerade vorbereitet wird.

Was gemeint ist, zeigt der Evaluierungsbericht des Lebensversicherungsreformgesetzes, der freilich erst im Juni 2018 durch das Bundesministerium der Finanzen vorgelegt wurde – und damit erst nach Auslaufen-Lassen des Vertrags durch die Allianz. Die Maßnahmen jedoch, die das Evaluierungspapier empfiehlt, wurden zuvor schon in Regierungskreisen diskutiert und waren demnach in der Branche zu erwarten.

So beinhaltet das "Maßnahmenpaket", das der Bericht "im Bereich der Lebensversicherung" zu schnüren empfiehlt, nicht nur den kontrovers diskutierten Provisionsdeckel, sondern auch eine „präzisere gesetzliche Regelungen zu Gewinnabführungsverträgen“. Und diese Forderung hat es ebenso in sich wie der gefürchtete Deckel. Denn die Kündigung oder auch vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags soll in Zukunft ausdrücklich von der Genehmigung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) abhängig gemacht werden. Diese Maßnahme soll verhindern, dass Muttergesellschaften zwar in guten Zeiten von Ausschüttungen profitieren, sich aber zugleich in Krisenzeiten aus der Haftung für ihre Leben-Töchter stehlen können.

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In diesem Kontext erwähnt die "Süddeutsche" eine heikle Auskunft "von Branchen-Insidern": Schon mehrfach hätten Konzerne mit problematischen Lebensversicherern die Gewinnabführungsverträge kündigen wollen, jedoch hätte sie die BaFin stets zur Rücknahme der Kündigungspläne überredet. In Zukunft aber könnte es sein, dass keine Überredungskünste mehr gefragt sind: Sollte sich der Vorschlag des Evaluierungspapiers tatsächlich durchsetzen, könnte die BaFin eine Kündigung eines Gewinnabführungsvertrags schlicht untersagen, sobald ein Lebensversicherer besonders angeschlagen ist.

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