Haben die Versicherer bei fondsgebundenen Renten-Policen zu Unrecht die Renten gekürzt? Diese Frage wird bald mehrere Gerichte beschäftigen. Und die Dimension des Rechtsstreits ist immens. Allein beim Marktführer Allianz seien mehr als 700.000 Kunden betroffen, die in den Jahren zwischen 2001 und 2011 einen Vertrag nach dem Modell Indexselect abgeschlossen haben. Doch das Problem betrifft die ganze Branche: als weitere Beispiele werden unter anderem Verträge der Zurich, Generali, Ergo und Axa genannt: in der Summe mehr als eine Million Verträge. Das berichten übereinstimmend die "Wirtschaftswoche" und „Versicherungswirtschaft Heute

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Anhand welcher Klauseln darf Rentenfaktor gekürzt werden?

Konkret geht es um die Frage, ob und anhand welcher Klauseln die Versicherer den Rentenfaktor bei diesen Verträgen nach unten korrigieren dürfen: also jenen Faktor, mit dem die Versicherungen zu Rentenbeginn das gebildete Kapital in eine lebenslange Rente umrechnen.

Der Hintergrund: Bei fondsgebundenen Renten-Verträgen gibt es das Problem, dass der Versicherer noch nicht genau sagen kann, wie hoch das angesparte Kapital des Kunden zu Rentenbeginn sein wird. Das hängt schlicht davon ab, wie sich die Fonds am Markt entwickeln. Also kann der Versicherer auch die Rentenhöhe nicht genau garantieren. Stattdessen nennt er eine theoretische Größe, mit der das angesparte Kapital zu Beginn der Auszahlungsphase in eine Rente umgerechnet wird: den sogenannten Rentenfaktor.

Häufig gibt der Rentenfaktor an, wie hoch die monatliche Rente pro 10.000 Euro angespartem Kapital ist. Die Stiftung Warentest zeigt dies an einem Beispiel: Beträgt das angesparte Kapital 120.000 Euro, liegt die spätere Rente bei einem garantierten Rentenfaktor von 40 bei 480 Euro (120.000 Euro x 40 : 10.000 Euro).

Rentenfaktor und Treuhänderklausel: Was ist eigentlich garantiert?

Tückisch für viele Kunden: Hierbei muss zusätzlich zwischen einem garantierten und einem voraussichtlichen Rentenfaktor unterschieden werden. Denn viele Versicherer behalten sich das Recht vor, den Rentenfaktor mittels im Vertrag formulierter Klauseln zu senken, unter anderem auch der Marktführer Allianz. Weil ein Treuhänder diese Korrektur absegnen muss, spricht man auch von Treuhänderklauseln. Hierbei geht es um sehr viel Geld. In einigen Beispielen sollen Versicherte auf die Jahre hochgerechnet bis zu 100.000 Euro weniger bekommen haben, berichtet die „Wirtschaftswoche“.

Vereinfacht behalten sich die Versicherer eine Korrektur des Rentenfaktors in zwei Situationen vor:

  • wenn sich die Zinsen am Kapitalmarkt dauerhaft so schlecht entwickeln, dass die Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Kunden dadurch langfristig gefährdet sein können.
  • wenn die Menschen unerwartet älter werden, als dies ursprünglich vom Versicherer einkalkuliert war. Dann müssen auch länger Renten gezahlt werden, was es erforderlich machen kann, die Rentenzahlungen zu beschneiden.

Als Beispiel nennt die "Wirtschaftswoche" eine Klausel der Zurich Deutscher Herold. Dort heißt es: wenn sich „die Lebenserwartung unerwartet stark erhöht beziehungsweise die Rendite der Kapitalanlagen nicht nur vorübergehend absinkt und dadurch die langfristige Erfüllbarkeit einer lebenslangen Rentenzahlung nicht mehr sichergestellt ist, sind wir berechtigt, Ihre Monatsrente [...] so weit herabzusetzen, wie dies erforderlich ist, um diese langfristige Erfüllbarkeit zu gewährleisten“.

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Nun besteht der Verdacht, dass die Versicherer den Rentenfaktor nicht hätten anpassen dürfen. Die Wirtschaftswoche schreibt von "unfairen Rentenkürzungen". In einigen dieser Fälle hätten Sparer ihren Versicherer bereits verklagt, berichtet Niels Nauhauser, bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg für die Altersvorsorge verantwortlich. Doch die Sache ist nicht so eindeutig. Und auch die Versicherer haben gute Argumente, dass sie den Rotstift ansetzen dürfen.

Wo den Versicherern Ärger droht

Wie groß die Chancen der Verbraucher sind, sich gegen den Versicherer durchzusetzen, ist erwartungsgemäß umstritten. Bei vielen Korrekturen des Rentenfaktors nach unten dürfte es rechtens sein, dass den Versicherten die Rente zusammengestrichen wird. „Es gibt auch wirksame Klauseln, die die Änderung des Rentenfaktors ermöglichen, die Wirksamkeit hängt vom Versicherer ab“, erklärt Rechtsanwalt Knut Pilz von der Kanzlei Pilz, Wesser & Partner gegenüber „Versicherungswirtschaft heute“. Mit anderen Worten: Bei einem Rechtsstreit muss man sich genau anschauen, wie der Versicherer die Klausel formuliert hat - und ob er sie korrekt umsetzte.

So hat auch die Allianz ihre Korrektur des Rentenfaktors zum Jahresanfang 2017 damit begründet, dass der Treuhänder die Korrektheit bestätigt habe. Beim Rentenmodell „Indexselect“ wird demnach für die Umrechnung von Kapital in eine Monatsrente nicht mehr der Rechnungszins von 2,75 oder 2,25 Prozent zugrunde gelegt, sondern nur noch von 1,75 Prozent. Die Rentenfaktoren seien vertraglich zwar avisiert, aber nicht zugesichert worden, sagte damals ein Unternehmenssprecher der „FAZ“. Die Garantien würden aber weiterhin erfüllt.

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Versicherern droht Streit an mehreren Fronten

Dennoch gibt es nun gleich mehrere Ansatzpunkte, bei denen die Versicherer einen Rechtsstreit fürchten müssen. Abhängig ist das -wie oben bereits erwähnt- vom jeweiligen Einzelfall und dem konkreten Vertragstext:

  1. Fraglich ist, ob eine einseitige Kürzung zu Lasten des Kunden zulässig ist. Rechtsanwalt Pilz verweist gegenüber der “Wirtschaftswoche" auf Paragraph 163 des Versicherungsvertragsgesetzes. Dort ist festgesetzt, wann die Versicherer ihre Prämien neu festsetzen dürfen. Von einer Anpassung der Leistungen zum Nachteil der Kunden stehe da nichts. Ebenfalls problematisch: In den meisten Verträgen gebe es nur eine Klausel für das Kürzen der Leistung, nicht aber die Anhebung: also immer nur zum Nachteil des Kunden. Es müssten aber Änderungen in beide Richtungen möglich sein.
  2. War der Treuhänder unabhängig vom Versicherer? Dies ist Voraussetzung dafür, dass er über die Kürzung des Rentenfaktors entscheiden darf. Das bedeutet vor allem: der Treuhänder darf nicht materiell vom Versicherer abhängig sein, also über eine bestimmte Zeitspanne hinweg mehr als 30 Prozent seines Gehaltes von einem Unternehmen beziehen. Hier ist vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gerade der Rechtsstreit über einen Axa-Treuhänder anhängig, der über Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung entschieden hatte. Zweimal schon hatten die Vorinstanzen entschieden, dass der Treuhänder nicht unabhängig sei, und die Prämienänderungen für unwirksam erklärt (der Versicherungsbote berichtete).
  3. Wurden die Altersvorsorge-Kunden korrekt beraten? Hier stellt sich die Frage, ob die Sparer ausreichend im Beratungsgespräch darauf hingewiesen wurden, dass der Rentenfaktor eben nicht garantiert ist, sondern mittels einer Klausel nach unten korrigiert werden kann. Die entsprechenden Forderungen werden dann freilich gegenüber den Vermittlern erhoben, die für Beratungsfehler haften. Aber auch Prospekte und Werbeanzeigen der Versicherer werden sich Anwälte sehr genau anschauen.

Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg warnt gegenüber der "Wirtschaftswoche" davor, dass sich die Altersvorsorge-Sparer zu viele Hoffnungen machen. Die Klauseln in den Verträgen, die eine Korrektur des Rentenfaktors erlauben, seien von Versicherer zu Versicherer sehr verschieden und teils konkreter formuliert als im Beispiel der Zurich. Doch der Branche droht mindestens ein Image-Schaden: Renten-Fondspolicen werden auch mit dem Versprechen beworben, dass sie in Zeiten des Niedrigzinses höhere Renditechancen versprechen als klassische Garantiezins-Verträge. Nun werden hier die Leistungen teils stark gekürzt: mit Verweis auf den Niedrigzins.

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