Bei den gesetzlichen Krankenkassen klafft ein gewaltiges Finanzloch. Bereits dieses Jahr droht ein Defizit von 17 Milliarden Euro, unter anderem aufgrund von Nachwirkungen der Corona-Krise. Und auch im Jahr 2024 droht laut GKV-Spitzenverband eine Lücke zwischen 3,5 Milliarden und sieben Milliarden Euro, abhängig von der Konjunktur. Viele Krankenkassen mussten ihren Zusatzbeitrag bereits in diesem Jahr erhöhen, doch im kommenden Jahr wird ein weiteres Plus von 0,2 oder 0,3 Prozentpunkten erwartet. Versicherte müssten dann bis zu 180 Euro im Jahr mehr für ihren Krankenschutz zahlen.

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In dieser Situation sprechen sich die Parteivorsitzenden von SPD und Grünen, Saskia Esken und Ricarda Lang, dafür aus, Besserverdienende stärker zur Kasse zu bitten. Sie wollen die Beitragsbemessungsgrenze in der GKV anheben. Die Beitragsbemessungsgrenze gibt die Höhe des Einkommens an, das mit Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung belastet werden kann. Bis dahin ist das Einkommen beitragspflichtig, alles darüber ist beitragsfrei. Aktuell liegt diese Grenze bei einem Bruttolohn von 4.987,50 Euro im Monat. Diskutiert wird, sie auf das Niveau der Rentenversicherung anzuheben, sodass sie auf circa 7.300 Euro Monatslohn steigern würde.

Milliarden-Mehreinnahmen, aber…

Das von den Arbeitgebern finanzierte Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln hat sich in einer aktuellen Studie angeschaut, welche Mehreinnahmen die Krankenkassen erzielen würden, würde die Beitragsbemessungsgrenze tatsächlich angehoben würde. Nicht von ungefähr: Die Kassenbeiträge werden paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert, sodass auch den Unternehmen Mehrkosten drohen. Und diese Mehrkosten sind ein Grund, weshalb die deutschen Arbeitgeber mit Unbehagen auf das Vorhaben schauen.

Konkret haben die Autoren Jochen Pimpertz und Maximilian Stockhausen Daten des Sozio-oekonomischen Panels von 2019 angeschaut, um herauszufinden, wie sich die Einkommen über die Bevölkerung verteilen. Dies ist die größte Langzeitstudie zu den Einkommen und der finanziellen Situation der Deutschen. Diese Zahlen wurden dann teilweise für das Jahr 2023 hochgerechnet. Zugrunde lag zudem die Annahme, dass die Zahl der gesetzlich und privat Versicherten halbwegs stabil bleibe.

Tatsächlich zeigen die Berechnungen, dass eine Erhöhung deutlich mehr Geld in das gesetzliche Kassensystem spülen würde:

  • Wäre die Grenze im Jahr 2019 auf das Niveau der damals geltenden Versicherungspflichtgrenze angehoben worden (rund 5.000 Euro im Monat), wären die Beitragseinnahmen um 2,2 Prozent gestiegen. Das hätte Mehreinnahmen von rund 5,1 Milliarden Euro bedeutet.
  • Noch deutlicher wären die Mehreinnahmen gesprudelt, wenn die Bemessungsgrenze um das 1,5fache erhöht worden wäre. Sie hätte dann bei 6.800 Euro gelegen, knapp über der Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung. Die dadurch erzielten Mehreinnahmen hätten bei satten 15,7 Milliarden Euro gelegen.
  • Darüber hinaus haben die Ökonomen auch eine extreme Variante berechnet: Wenn die Beitragsbemessungsgrenze verdoppelt worden wäre. Ein Plus um 8,8 Prozent bei den Einnahmen bedeuten zusätzliche 20,9 Milliarden Euro in den Töpfen der Krankenkassen.

Ökonomen haben Einwände

Könnte die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze also das Finanzierungsproblem der Krankenkassen lösen? Im Jahr 2024 würden laut den Berechnungen bereits 5,8 Milliarden Euro zusätzlich sprudeln: Das entspricht ungefähr dem erwarteten Defizit. Aber die arbeitgeberfinanzierten Ökonomen haben Einwände. Grundsätzlich sehen Pimpertz und Stockhausen die Gefahr, dass durch diese Maßnahme dringend notwendige Strukturmaßnahmen nicht angegangen werden. Denn die Gesellschaft altert und die Gesundheitskosten steigen.

Solange die GKV im Umlageverfahren organisiert ist, „bleibt die Beitragsfinanzierung anfällig gegenüber demografischen Entwicklungen. Künftig werden die höheren, ausgabenintensiven Altersklassen häufiger besetzt. Damit steigen die Finanzierungserfordernisse. Gleichzeitig steigt der Anteil der Ruheständler, deren beitragspflichtiges Einkommen typischerweise niedriger ausfällt als das frühere Erwerbseinkommen. Deshalb drohen schon kurzfristig neue Defizite und der Beitragssatz bleibt unter Anpassungsdruck“, so schreiben die beiden Autoren. Sie sehen vor allem ein Ausgabenproblem: Kurzfristig höhere Einnahmen würden nicht ausreichen, den seit Jahren beobachtbaren, überproportional starken Anstieg der GKV-Ausgaben zu bremsen.

Zudem würden nicht nur gut verdienende Arbeitnehmer stärker belastet, sondern auch deren Arbeitgeber: die im internationalen Vergleich ohnehin hohe Lohnnebenkosten haben. Die GKV würde dadurch für Gutverdiener auch an Attraktivität verlieren.

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Worauf sich Arbeitgeber mit entsprechenden Lohngruppen einstellen müssen, wenn die Beitragsbemessungsgrenze an die Rentenwerte angepasst wird, hatte Ende März bereits die Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft (vbw) errechnet. Der Wirtschaftsverband berichtet: "Die Folgen für die Lohnzusatzkosten wären erheblich und ein klarer Standortnachteil. Bei den Arbeitgebern würden die von der Kranken- und Pflegeversicherung verursachten Lohnzusatzkosten um bis zu 46,4 Prozent steigen. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze wäre nichts anderes als eine Sondersteuer auf den Faktor Arbeit. Daher sagen wir klar: Der Wettbewerb zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen muss erhalten bleiben."

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