In der Praxis heißt das beispielsweise: Ein Solarzellenhersteller, der überdurchschnittlich viel Wasser verbraucht und überdurchschnittlich viele Arbeitsunfälle hat, ist für einen Artikel 8-Fonds nur begrenzt geeignet, für einen Fonds, der nur den Klimawandel bekämpfen soll, hingegen gut geeignet. Artikel 9-Fonds sollen aber die höheren Nachhaltigkeitsstandards erfüllen. Anlegerinnen und Anleger mit Leidenschaft für ESG werden von der Mehrzahl der Artikel 9-Fonds somit enttäuscht sein, sollten sie herausfinden, was per Gesetz in ihnen zulässig ist. Dies liegt nicht an „bösen“ Fondsmanagern, denn diese müssen auch noch Rendite erwirtschaften und das Anlagerisiko unter Kontrolle halten. Sich auf ein einziges Nachhaltigkeitsziel zu konzentrieren, hat nichts mit ganzheitlicher Nachhaltigkeit zu tun, auch wenn ein Unternehmen, das die CO2-Reduktion anstrebt und dabei ein wenig Kinderarbeit nutzt, nach Artikel 9 als strenges ESG-Investment gelten kann. Hinzu kommt noch, dass die Klassifizierung von den Produktanbietern selbst vorgenommen wird, nicht von einer neutralen Instanz. Sie ist also kein Gütesiegel.

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Artikel 8 nicht strenger als Artikel 9

Das Problem: Im Rahmen der Auswertungen der Fondspaletten deutscher Lebensversicherer für den „Fondspolicenreport Nachhaltigkeit“ stieß das Institut für Vermögensaufbau darauf, dass Artikel 9-Fonds bei ganzheitlichen ESG Bewertungen im Durchschnitt nicht besser abschnitten als die Artikel 8-Fonds. Bei näherer Analyse zeigte sich, dass bei der Definition von „strenger Nachhaltigkeit“ für Artikel 9-Fonds das zuständige Gremium am Ziel vorbeigeschossen ist. Denn: Artikel 9 fordert, dass ein Fonds mindestens ein bestimmtes Nachhaltigkeitsziel verfolgt und dabei keinen „signifikanten Schaden“ anrichtet („Do no significant harm“). Die Folge: Schaden in diversen anderen Nachhaltigkeitsaspekten ist damit zulässig, er darf nur nicht übermäßig groß sein. Was genau „significant harm“ bedeutet, wird in den nächsten Jahren von der EU definiert, einstweilen muss es jeder Produktanbieter selbst entscheiden.

Verwendung externer ESG-Ratings sinnvoll

Daher ist es sinnvoll, sich an existierende, externe ESG-Ratings halten. Wichtig dabei ist, dass diese Ratings auf umfangreichen Daten basieren und systematisch erstellt werden. Da die Taxonomie noch nicht fertig ist, erlaubt die BaFin die Verwendung externer ESG-Ratings, zum Beispiel zur Verwendung in Best-in-Class-Ansätzen. Um ein ESG-Rating zu erhalten, das für möglichst viele Kunden passt, ist es daher entscheidend, dass die ESG-Qualität Titel für Titel aus der Sicht mehrerer etablierter ESG-Datenanbieter berechnet wird.

Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Vermögensaufbau IVA eine spezifische ESG-Zertifizierung entwickelt. Diese basiert auf einem regelmäßigen Prüfprozess, bei dem der Anbieter des Fonds oder Portfolios mindestens ein Jahr lang einmal pro Quartal die aktuelle Zusammensetzung des Portfolios vollständig übermittelt. Anhand dieses Bestandes bestimmt der Rating-Dienstleister ein differenziertes Nachhaltigkeitsprofil des Portfolios, das in einem Zertifikat als eigenes Dokument dargestellt wird. Das Siegel soll bei der Auswahl eines Produkt- beziehungsweise Strategieanbieters helfen und eine dauerhafte Qualitätsprüfung bieten. Die Bewertungen basieren auf den Daten und Ratings von verschiedenen großen ESG-Datenanbietern und auch Nischen-Ratingagenturen. Aktuell werden beim IVA insgesamt Ratings aus mehr als 700 Quellen verwendet. Viele Banken und Versicherungsgesellschaften nutzen das IVA-ESG-Rating.

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Die Bewertung mit fünf Bäumen stellt die höchste Qualitätsstufe dar und zeigt, dass ein Investment über alle ESG-Kriterien hinweg überdurchschnittlich ist, obwohl es vielleicht nicht ein einzelnes konkretes UN-Nachhaltigkeitsziel verfolgt – also kein Artikel 9-Fonds ist. Ein Fonds mit fünf Bäumen nach dem ganzheitlichen Konsens-Rating ist für Anlegerinnen und Anleger geeignet, denen eine bestmögliche Nachhaltigkeitsausrichtung besonders am Herzen liegt. Und Finanzanlagenvermittler können sich auf ein unabhängiges Siegel im Sinne der Nachhaltigkeit bei der Auswahl der Investmentfonds verlassen.

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