Im Sommer 2021 zeigte eine Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), dass Menschen mit niedrigen Einkommen eine deutlich geringere Lebenserwartung als Besserverdienende haben (Versicherungsbote berichtete).

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Ähnliches lässt sich auch im Pflegebereich feststellen. „Nicht nur Einkommen und Lebenserwartung sind in Deutschland sozial ungleich verteilt, sondern auch das Pflegerisiko“, so Peter Haan, Leiter der Abteilung Staat am DIW Berlin. Gemeinsam mit seinen DIW-Kollegen Johannes Geyer, Hannes Kröger und Maximilian Schaller hat er Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ausgewertet, um die Verteilung des Pflegerisikos zu analysieren.

Wovon Pflegebedürftigkeit abhängt

Den Studien-Ergebnissen zufolge haben ärmere Personen haben ein höheres Risiko, pflegebedürftig zu werden und sind früher auf Pflege angewiesen als Menschen mit hohen Einkommen. So sind Männer, die direkt vor dem Renteneintritt weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient haben, etwa sechs Jahre früher auf die häusliche Pflege angewiesen als Männer mit mehr als 150 Prozent des mittleren Einkommens. Bei Frauen beträgt die Differenz rund dreieinhalb Jahre.

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Auch nach der beruflichen Stellung zeigen sich Unterschiede: Arbeiterinnen und Arbeiter werden durchschnittlich etwa vier Jahre früher pflegebedürftig als Beamtinnen und Beamte. Um den Einfluss von physischen und psychosozialen Arbeitsbelastungen zu untersuchen, wurde der zuletzt ausgeübten Tätigkeit ein Indexwert von eins (geringe Belastungen) bis zehn (hohe Belastungen) zugeordnet. Es zeigt sich: Männer und Frauen mit hohen beruflichen Belastungen haben durchschnittlich 4,7 beziehungsweise 2,7 weniger Lebensjahre, in denen sie nicht auf die Pflege durch andere angewiesen sind, als Personen mit niedrigen Belastungen.

Wie Ungleichheit bekämpft werden soll

„Pflegebedürftigkeit hängt also nicht nur vom Alter ab und tritt auch nicht zufällig auf. Im Gegenteil: Die Pflegebedürftigkeit wird durch Gesellschaft, Einkommen und Arbeitswelt beeinflusst“, erklärt Johannes Geyer.

Daraus ergibt sich eine soziale Ungleichheit, die das DIW so beschreibt: Menschen mit geringen Einkommen oder einer hohen beruflichen Belastung haben ein höheres Pflegerisiko. Deshalb treten Pflegekosten für sie häufiger auf und reduzieren die ohnehin geringeren verfügbaren Einkommen. „Um diese Ungleichheit zu bekämpfen, brauchen wir sozialpolitische Maßnahmen, die das ausgleichen. Wir brauchen dabei sowohl Konzepte, die sofort greifen, als auch solche, die langfristig angelegt sind“, fordert Peter Haan. Das DIW hat auch entsprechende Vorschläge mitgeliefert:

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  • In der Erwerbsphase sollten Arbeitsbelastungen reduziert werden, um das Pflegerisiko präventiv zu reduzieren.
  • die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung sollten kurzfristig ausgebaut werden
  • Qualität und Angebot in der Pflege sollte erhöht werden

Alternativ dazu könnten auch private Zuzahlungen stärker vom Einkommen abhängig gemacht werden, schlägt das DIW Berlin vor. Zudem halten die Wirtschaftsforscher an der Idee einer Art ‚Pflege-Einheitskasse‘ fest und schreiben: „Auch eine Bürgerversicherung, in der private und gesetzliche Pflegeversicherung zusammengebracht werden, könnte die Ungleichheit reduzieren, da das Pflegerisiko von Menschen mit privater Pflegeversicherung deutlich geringer ist als bei Menschen mit gesetzlicher Versicherung.“

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