Bei Aktien ist Deutschland immer noch Entwicklungsland

Deutschland ist im internationalen Vergleich nach wie vor ein Entwicklungsland in Sachen Aktienkultur. Nicht einmal jeder siebte Bundesbürger besitzt überhaupt Aktien und mit einer Aktionärsquote von deutlich unter 20 Prozent ist der Abstand zu anderen Industrienationen weiterhin sehr groß. Studien zufolge liegt das an der Angst vor finanziellen Verlusten, am vermeintlich zu kleinen Vermögen, einem fehlenden Wissen und dem Mangel an Vertrauen in die Märkte – allesamt nachvollziehbare Gründe, wenn man regelmäßig die öffentliche Debatte über die Altersvorsorge verfolgt. Wir reden das aktienbasierte Sparen schlichtweg schlecht. Denn die langfristige Entwicklung der Aktienmärkte verläuft tatsächlich nicht nur krisenbeständig, sondern auch positiv, indem regelmäßig Renditen erwirtschaftet werden, die bei anhaltenden Niedrigzinsen alternativlose Perspektiven ermöglichen. Und die Nachfrage danach wäre grundsätzlich vorhanden. Nur der Mut die Potentiale zu nutzen, der fehlt.

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Aktienbasiertes Sparen hoch im Kurs bei jungen Leuten

Als eines der größten Finanzberatungsunternehmen in Deutschland erleben wir eine andere Realität. Von unseren Neukunden sind rund 70 Prozent Millennials, also Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Gerade diese Kundengruppe ist es, die in Einklang mit dem jeweiligen Risikoprofil und informiert über Fakten und Rahmenbedingen, sich immer mehr für eine Vorsorge auf Aktienbasis bzw. für Fondssparpläne entscheidet. Allein im ersten Halbjahr 2020 und damit unmittelbar während der Corona-bedingten Kapitalmarktturbulenzen schlossen deutlich mehr Menschen diese Art der Vorsorge ab als im Jahr zuvor. Vor allem bei den unter 30-Jährigen sehen wir ein Nachfrageplus von mehr als 45 Prozent. Das gibt uns Grund zur Hoffnung und weckt Optimismus, dass wir durch eine ganzheitliche und qualitative Beratung einen Beitrag leisten können, die Chancen und Möglichkeiten von Fonds und Aktien als Vorsorgeinstrument transparent aufzuzeigen und letztlich die Altersarmut zu reduzieren.

Diese Potentiale lassen wir im Lande noch ungenutzt. Vielmehr neigen wir in Deutschland dazu, uns das Vertrauen in uns selbst abzusprechen. Ideen, wie eine zukunftsfähige Altersvorsorge aussehen soll, gibt es dennoch viele. Aus meiner Sicht zu schnell wird dann der Ruf nach verpflichtenden Lösungen laut oder es werden Modelle ins Feld geworfen, die nicht funktionieren können. Im gleichen Atemzug neigen wir dazu, Produkte, auf die viele Menschen vertrauen, schlecht zu reden und damit unattraktiv zu machen.

Riester ist besser als der Ruf

Ein Beispiel hierfür ist die Riester-Rente, sie ist besser als ihr Ruf. Über 16,5 Millionen Menschen besparen einen Riester-Vertrag. Eine beträchtliche Summe für ein freiwilliges Altersvorsorgeprodukt. Dennoch sind die Riester-Produkte in den letzten Jahren in Misskredit geraten: Transparenz und Renditen seien zu gering, die Kosten dagegen zu hoch, so der Tenor. Riester kann dennoch gut ankommen, wenn die Beratung das Produkt erklären und den Kundenbedarf erkennen kann. Auch das bestätigen unsere Zahlen: In der ersten Jahreshälfte 2020 haben 16 Prozent mehr Kunden Riester-Verträge abgeschlossen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Und wieder sind es vorrangig junge Menschen, die „riestern“. Bei den 16- bis 30-Jährigen haben bereits in den ersten Monaten des Jahres 2020 27 Prozent mehr eine Riester-Vorsorge abgeschlossen als im ersten Halbjahr des Vorjahres. Nicht zu vergessen: Gerade Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zu unterstützen, ist gesellschaftlich gesehen der richtige Ansatz. Ein Rechenbeispiel: Eine junge Kundin mit einem beispielhaften Bruttoeinkommen von 30.000 Euro im Jahr und einem Kind könnte bei einer Einzahlung in Höhe von 725 Euro in die Riester-Rente 475 Euro Zulagen vom Staat erhalten und sich damit eine Förderquote von über 65 Prozent im Jahr sichern.

Die Zukunft der Altersvorsorge ist auch eine Frage der Haltung: Mehr Eigenverantwortung wagen

Aus meiner Sicht muss die private Altersvorsorge freiwillig und flexibel bleiben, denn richtig betrieben ist sie ein funktionierendes Instrument, auf die unterschiedlichen Biographien und Zukunftspläne der Sparer einzugehen. Wir brauchen keine Experimente und ein Ansatz im Sinne von „one size fits all“ ist zu pauschal, zu starr und kontraproduktiv. Menschen, die beispielsweise ihre Vorsorge durch eine Immobilienfinanzierung stärken möchten, darf nicht die Liquidität dafür genommen werden. Was wir deshalb brauchen ist neben Flexibilität auch eine positive Sicht auf das Thema Altersvorsorge und den Mut, die Notwendigkeit von Garantien zu Gunsten einer Aktienkultur zu überdenken. Und das bedeutet eine Öffnung der zweiten Altersvorsorge-Säule für echte Renditechancen – und damit eine Abschaffung des Garantiezwangs. Dies gilt dann natürlich nicht nur für Riesterverträge, sondern auch für die betriebliche Altersvorsorge. Jeder Sparer sollte selbstbestimmt gemäß eigener Ziele, Wünsche und seines Risikoprofils festlegen können, ob es für seine Altersvorsorge einer Garantie bedarf oder nicht – ein staatlich verordneter Garantiezwang widerspricht dabei völlig unserem Verständnis von echter Selbstbestimmung. Eine Öffnung in der zweiten Schicht für flexible Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Garantieumfangs würde das bisherige Vorsorgesystem in positiver Weise dynamisch und flexibel beeinflussen: Insbesondere jungen Altersvorsorgesparern mit einem langen Anlagehorizont eröffnen sich Chancen von langfristigen Renditen einer schwerpunktmäßig auf Aktien ausgerichteten Anlagestrategie zu profitieren, was bislang aufgrund des Garantiezwangs nur sehr eingeschränkt möglich ist. Dies wäre nicht zuletzt auch eine vertretbare Antwort auf die anhaltende Niedrigzinspolitik der EZB und eine zu erwartende Senkung des Rechnungszinses. Wir sollten den Menschen zuhören: Ihr Wunsch ist es, Chancen im Vorsorgeplan zu ergreifen und zuversichtlich auf die Zukunft zu blicken als ängstlich und sorgenvoll.

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Beratung soll Menschen zu eigenverantwortlichem Handeln befähigen

Marktforschungen belegen ebenso wie unsere eigenen Daten, dass gerade junge Menschen aufgeschlossen für aktienbasierte Vorsorge sind. Dabei kommt der persönlichen Finanzberatung eine Schlüsselrolle zu, denn eine verantwortungsvolle Beratung wird gleichzeitig gewünscht. Berater und Makler stehen mit ihrer Expertise und auch ihrer Verantwortung unterstützend zur Seite, um die passenden Vorsorge-Lösungen zu identifizieren. Fachlich gut ausgebildet und mit Verständnis für die individuellen Wünsche der Menschen sind Berater und Makler bei der Wiederbelebung der Altersvorsorge unverzichtbar. Gerade junge Menschen vertrauen bei den komplexen Fragen rund um die Altersvorsorge lieber auf persönliche Ansprechpartner. Die können sich nicht nur in die Lebenswirklichkeit ihrer Kunden hineinversetzen, sondern auch befähigen, eigenverantwortlich zu handeln und dabei helfen, das erforderliche Vertrauen in die Aktienkultur nachhaltig in Deutschland aufzubauen. Wir sind also gut beraten, die Beratung für junge Menschen attraktiver zu gestalten und sie für diesen Beruf zu gewinnen. Denn Menschen lassen sich von Menschen der gleichen Generation lieber beraten, auch das zeigt unsere Erfahrung mit einem durchschnittlichen Berateralter von 35 Jahren.

Ich plädiere deshalb dafür, bei Reformen in die Zukunft des Landes auf diejenigen zu hören, die in dieser Zukunft leben werden. Was es jetzt braucht ist ein Umdenken in der Sozial- und Rentenpolitik – ein Perspektivwechsel von Garantien zu Renditen, mit Verständnis für die Bedürfnisse derjenigen, über die gesprochen wird. Weg von Bevormundung, hin zu Eigenverantwortung und Chancenorientierung – für ein selbstbestimmtes Leben im Alter und zum Vorteil der jungen Generationen.

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