Versicherungsbote: Zuletzt kamen wiederholt Warnungen aus Ihrem Haus, das Geschäftsmodell deutscher Lebensversicherer und Pensionskassen sei vakant. Wie steht es um die deutschen Lebensversicherer und Pensionskassen? Müssen sich die Kundinnen und Kunden Sorgen um ihre Altersvorsorge machen?

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Frank Grund: Den Lebensversicherern geht es trotz der widrigen Umstände gut. Dies hat auch unsere jüngste Prognoserechnung noch einmal gezeigt. Wir gehen aktuell davon aus, dass die deutschen Lebensversicherer robust genug sind, die nächsten Jahre zu überstehen.

Anders sieht es bei den Pensionskassen aus. Pensionskassen sind aufgrund ihres Geschäftsmodells – ihre Leistungen bestehen bekanntlich fast ausschließlich aus lebenslang laufenden Rentenzahlungen – noch stärker von der anhaltenden Niedrigzinsphase betroffen als Lebensversicherer. Viele Kassen werden in den kommenden Jahren teils erhebliche Unterstützung ihrer Träger benötigen. Sorgen bereiten uns vor allem die Pensionskassen, bei denen der Arbeitgeber als Träger nicht mehr existiert. Auch gibt es Pensionskassen mit einer Vielzahl von Trägerunternehmen, bei denen es schwierig sein kann, ein einheitliches Vorgehen abzustimmen. Positiv ist jedoch, dass in vielen Fällen bereits eine finanzielle Unterstützung erfolgt ist oder zumindest für den Bedarfsfall in Aussicht gestellt wurde.

Nach unseren letzten Informationen sind aktuell 15 Lebensversicherer und 31 Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht der BaFin. Können Sie die Zahl bestätigen? Rechnen Sie mit einer Zunahme der betroffenen Gesellschaften?

Aktuell stehen rund 20 Lebensversicherer und 36 Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht. Ich gehe jedoch davon aus, dass diese Zahlen steigen werden, sollte die Niedrigzinsphase weiter anhalten.

Die BaFin hat sich zeitig für einen harten Provisionsdeckel in der Lebensversicherung positioniert. Warum halten Sie diesen für notwendig? Und weshalb bedeutet er aus Ihrer Sicht keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungskaufleute, wie Verbände bemängeln?

Dass sich die BaFin für einen „harten Provisionsdeckel“ ausgesprochen hat, möchte ich so nicht stehen lassen. Wir haben seinerzeit einen Vorschlag unterbreitet für einen möglichen Provisionsrichtwert. Immerhin ist es unsere gesetzliche Aufgabe, Fehlanreize beim provisionsgestützten Vertrieb zu vermeiden. Zwischenzeitlich hat sich der Gesetzgeber dieser Sache angenommen und einen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung vorgeschlagen. Das ist aktuell unsere Arbeitshypothese.

Vermittlerverbände kritisieren, dass sie mit einem Provisionsdeckel zu Sündenböcken gemacht werden. Der Kunde profitiere kaum - alternativ müssten die laufenden Kosten der Lebensversicherer runter. Sind auch Schritte geplant, die Lebensversicherer stärker bei den Kosten in die Pflicht zu nehmen?

Lassen Sie mich zunächst anmerken, dass der Kunde durchaus von einem Provisionsdeckel profitieren würde. Zum einen sollen damit – wie bereits gesagt – Fehlanreize in der Beratung vermieden werden, so dass die Kundeninteressen im Beratungsprozess gestärkt werden. Zum anderen stellen Provisionen den mit Abstand größten Kostenblock dar: immerhin etwa die Hälfte der gesamten Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb.

Natürlich sind auch die Kosten insgesamt ein Thema für die Aufsicht. Wenn die Kosten aus dem Ruder laufen, kann das die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen gefährden. Die Unternehmen müssen dann die Kosten senken oder rechtzeitig ausreichende Rückstellungen bilden. Bei der Produktgestaltung müssen sich die Unternehmen nach der europäischen Richtlinie für den Versicherungsvertrieb mit dem Preisniveau ihrer Produkte beschäftigen. Sie müssen vor Verkaufsstart prüfen, ob das Preis-/Leistungsverhältnis der Produkte für den Zielmarkt passt, in dem sie vertrieben werden sollen.

Mehrere Lebensversicherer haben in den letzten Jahren aus finanziellen Nöten die Überschussbeteiligung gekürzt, Pensionskassen den Rentenfaktor nach unten korrigiert. Die BaFin muss die Kürzungen genehmigen. Wir wissen, dass viele Betroffene mit Enttäuschung und Wut reagieren. Können Sie kurz erklären, wann Sie diese Kürzungen erlauben? Wie verhindern Sie, dass Anbieter zu Unrecht den Rotstift ansetzen?

Der Beschluss zur Höhe der Überschussbeteiligung wird vom Vorstand eines Lebensversicherers auf Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars gefasst. Dieser Beschluss bedarf keiner Genehmigung durch die BaFin. Bei der Festlegung der Höhe der Überschussbeteiligung muss der Vorstand insbesondere darauf achten, dass alle Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen dauerhaft finanziert werden können. Falls sich die Ertragslage eines Lebensversicherers verschlechtert, ist die Absenkung der Überschussbeteiligung eine Option, um die garantierten Verpflichtungen einhalten zu können. Der Beschluss des Vorstands und der entsprechende Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars müssen der BaFin vorgelegt werden. Außerdem erstellt der Verantwortliche Aktuar einen sog. Angemessenheitsbericht, in dem er alle Gründe und Annahmen seines Vorschlags erläutert. Die BaFin prüft dann regelmäßig die in diesem Bericht enthaltenen Darlegungen und Erläuterungen auf ihre Angemessenheit.

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Die Anpassung der Verrentungsfaktoren für künftige Beiträge ist bei Pensionskassen möglich, wenn in ihrer Satzung oder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen eine Anpassungsklausel enthalten ist. Bei den betroffenen Pensionskassen handelt es sich überwiegend um Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, bei denen die oberste Vertretung zu mindestens 50 Prozent aus Versicherten bestehen muss – also aus den Personen, die von einer Absenkung der Verrentungsfaktoren unmittelbar betroffenen sind. Die BaFin prüft die Verhältnismäßigkeit der beabsichtigten Anpassung. Ist diese gegeben und liegen eine Anpassungsmöglichkeit sowie ein Beschluss der obersten Vertretung vor, so genehmigt die BaFin die Anpassung.

...ich glaube, wir haben zum richtigen Zeitpunkt gehandelt

Versicherungsbote: Mit der Caritas, der Kölner Pensionskasse und der Pensionskasse der Steuerberater sind drei Anbieter derart in Schieflage geraten, dass sie abgewickelt werden. Auch die BaFin wurden kritisiert: Die Finanzaufsicht hätte eher eingreifen und ihnen das Neugeschäft verbieten müssen, sagt der Ökonom Gerhard Schick, die Probleme der Anbieter seien zeitig erkennbar gewesen. Was erwidern Sie auf diese Kritik? Beziehungsweise warum ist es so schwierig, den richtigen Zeitpunkt für eine Warnung zu finden?

Frank Grund: Zu einzelnen Unternehmen äußere ich mich natürlich nicht. Grundsätzlich glaube ich aber, dass wir zum richtigen Zeitpunkt gehandelt haben. Wir haben alle Möglichkeiten ausgelotet, ob es die Kassen durch eigene Anstrengung oder durch Unterstützung ihrer Träger schaffen. Dann haben wir die aus unserer Sicht erforderlichen und dem Aufsichtsrecht entsprechenden Maßnahmen ergriffen. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Untersagung des Neugeschäfts – um nur ein Beispiel zu nennen – ein schwerwiegender Eingriff ist. Es müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein.

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Muss der Gesetzgeber bei den Solvenz- bzw. SFCR-Berichte der Lebensversicherer nachbessern, um sie kundenfreundlicher werden zu lassen? Die Berichte sollen auch Kundinnen und Kunden eine Orientierung bieten, wie stabil ihr Lebensversicherer dasteht. Gelesen werden sie kaum: auch, weil sie bis zu 160 Seiten lang sind und voller Fachsprech.

Bei den narrativen Berichten besteht sicherlich Verbesserungsbedarf, speziell beim SFCR. Die Berichte sollten adressatengerecht sein. Der SFCR hat ja eigentlich den Zweck, den Verbraucher zu erreichen. Dieses Ziel erfüllt er noch nicht optimal. Bei EIOPA zeichnet sich jedoch ab, dass hier bald Abhilfe geschaffen wird. Zukünftig könnte es zwei Versionen des SFCR geben: eine einfach gehaltene Version für die Kunden und eine umfangreichere für die Experten.

Viele Versicherer verlagern ihr Geschäftsmodell zunehmend ins Netz: auch in der Lebensversicherung und Altersvorsorge. Neben Neugründungen von Online-Versicherern wird spekuliert, ob nicht mittelfristig auch Anbieter wie Amazon oder Google ins Versicherungsgeschäft einsteigen. Erfordert das auch ein Neudenken der Finanzaufsicht? Beschäftigen Sie nun mehr Personal, das auch Algorithmen unter die Lupe nimmt?

Natürlich bringen die Entwicklungen auf dem weiten Feld der Digitalisierung Veränderungen für die Aufsicht mit sich. Wir haben daher innerhalb der BaFin ein spezielles Referat für innovative Finanztechnologien gegründet und investieren auch in entsprechendes Know-how, etwa im Bereich der Datenanalyse. Was die Verwendung von Algorithmen anbelangt, so erwarten wir von den Unternehmen, dass sie uns die Algorithmen erklären und die maßgeblichen Faktoren für eine vollautomatisierte Entscheidung darlegen können. Der Vorstand ist grundsätzlich für alle Vorgänge verantwortlich. Er muss also verstehen, was in seinem Unternehmen vor sich geht. Wenn der eigene Betrieb einer Black-Box gleicht, dann können wir keinen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb mehr annehmen.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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